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Lederkoffer, gekauft in den fünfziger Jahren

Der kleine Koffer

Am 2. August 1961 stand Tante Leni, von Schwerin kommend, auf dem Bahnsteig in Lüneburg, neben sich den kleinen Koffer als einziges Gepäck für den kurzen Ferienbesuch bei ihrer Schwester und deren Familie. Zum erstenmal war ihr die Reise ohne Probleme gelungen. Denn Tante Leni war seit 1960 im Ruhestand, und die Reisegenehmigung wurde relativ unkompliziert erteilt.Als am 13. August die Nachricht verbreitet wurde, daß die Grenzen geschlossen seien und in Berlin an der Sektorengrenze eine Mauer errichtet werde, war Tante Leni ratlos und gänzlich verzweifelt. Bleiben war gleichbedeutend mit einem völligen Neuanfang. Bei sich hatte sie nur, was ihr kleiner Koffer barg: Waschzeug und etwas Wäsche zum Wechseln.
Letzten Endes entschied sich Tante Leni zum Bleiben. Der Aufbau neuer Kontakte gelang nur mühsam. Der Zweifel, ob die Entscheidung, im Westen zu bleiben, richtig gewesen sei, verließ sie lange nicht. Der kleine Koffer stand immer sichtbar in ihrem Schlafzimmer.

Fritz Lipkow

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