![]() |
![]() |
Michael Kahn-Ackermann Über
die Schwierigkeit, einzigartig zu sein. Die ersten Kontakte zwischen dem Goethe-Institut und
der VR China gehen in die Mitte der 70er Jahre zurück und waren bewegt:
1976 reisten drei GI-Dozenten zur Durchführung von Veranstaltungen
der Lehrerfortbildung nach Peking. Kaum eingetroffen, wurde Peking durch
das große Erdbeben von Tangshan so in Mitleidenschaft gezogen, dass
sie unverzüglich wieder abreisen mussten. Erst vier Jahre später, 1980, folgte die Einrichtung
des so genannten "Tongji-Kollegs". In Absprache mit der Kultusministerkonferenz
der Länder, dem DAAD und der Staatlichen Chinesischen Erziehungskommission
richtete das Goethe-Institut an der Tongji-Universität in Shanghai
ein Studien-Kolleg ein, das chinesischen postgraduierten Studenten den
unmittelbaren Zugang zu deutschen Universitäten ermöglichte.
Dieses Kolleg, an dem jeweils zwischen vier und sieben GI-Dozenten/innen
und jährlich für einige Monate fünf vom DAAD entsandte
Hochschulprofessoren tätig waren, bestand bis 1987. Formal eine chinesische
Einrichtung, wurde es faktisch von einem chinesischen Leiter und einem
deutschen "Sprecher" gemeinsam geleitet und stellte ein Novum
in der Bildungskooperation zwischen der VR China und
dem westlichen Ausland dar. Auf höchster politischer Ebene wurde
die Gründung eines Goethe-Instituts in China zum ersten Mal vom damaligen
Bundeskanzler Helmut Kohl bei seinem ersten Chinabesuch 1985 während
eines Gesprächs mit Deng Xiaoping angesprochen. Der Legende nach
soll Chinas großer alter Mann seine Einwilligung gegeben haben,
ohne die geringste Vorstellung davon zu besitzen, was ein Goethe-Institut
ist oder tut. Im Frühsommer 1985 hat sich eine Delegation des chinesischen Erziehungsministeriums bei mir (damals tätig am Tongji-Kolleg) angelegentlich nach Aufgaben und Struktur des GI erkundigt und sich eine Satzung und diverse andere Unterlagen geben lassen. Eine weitere Delegation reiste nach Belgrad, da Jugoslawien eines der wenigen sozialistischen Länder war, in denen ein Goethe-Institut existierte. Darauf erfolgte zunächst nichts. Vorstöße von deutscher Seite verliefen im Sande. Bei seinem zweiten Besuch in der VR China 1987
brachte der Bundeskanzler das Thema "Goethe-Institut" erneut
gegenüber Deng Xiaoping zur Sprache. Dem Ondit zufolge habe sich
Chinas Alleinherrscher über die Verschleppung erzürnt gezeigt
und geäußert, an diesem Beispiel sei zu ersehen, wie "lihai"
(gefährlich und mächtig) der chinesische Bürokratismus
sei. Und nach Kohls Besuch wurden dann die Verhandlungen sehr intensiv
geführt. Die wesentliche Hürde war der Wunsch der deutschen
Seite, das Goethe-Institut als eine deutsche Einrichtung auf chinesischem
Boden zu etablieren, während die chinesische Seite darauf bestand,
es als eine, zumindest der Form halber, chinesische Einrichtung zu betrachten.
|
|
Hintergrund des Konflikts ist ein bis heute nicht aufgehobener
Entschluss des Zentralkomitees der KPCH aus den 50er Jahren, der die Einrichtung
ausländischer Kultur- und Bildungseinrichtungen auf chinesischem
Boden untersagt. Diese Entscheidung reagiert auf die zahlreichen ausländischen
Einrichtungen in China (oft mit religiösem Hintergrund), die seit
dem Ende des 19. Jahrhunderts gegründet worden waren und auf Druck
der Herkunftsländer manchmal bis an Exterritorialität grenzende
Privilegien genossen. Die Schließung dieser Einrichtungen nach 1949
ist von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt worden, und
erst heute setzt sich in China eine differenziertere Betrachtung ihrer
Rolle durch. Ein weiteres Problem kam auf chinesischer Seite hinzu:
Keine der in Frage kommenden Institutionen (Kulturministerium, Außenministerium,
Erziehungskommission) wollte mit dem Kuckucksei Goethe-Institut zu tun
haben und Verantwortung übernehmen, falls etwas schief ging. So entspann
sich unter den betroffenen Behörden eine heftige und langwierige
Auseinandersetzung, jeder versuchte die Zuständigkeit weiterzuschieben.
Sie landete schließlich bei der Staatlichen Erziehungskommission.
Dass die Tätigkeit des GI Peking in den ersten Jahren auf sprachfördernde
Maßnahmen beschränkt war, ist mindestens so sehr auf diesen
Konflikt zwischen Bürokratien zurückzuführen wie auf die
Angst der chinesischen Behörden vor subversiven Kulturprogrammen.
Wie schwierig die Verhandlungen trotz Deng Xiaopings
Machtwort waren, ist daran zu erkennen, dass die praktisch ausgehandelten
Vertragsentwürfe einmal von der chinesischen und dann ein weiteres
Mal von der deutschen Seite zurückgewiesen wurden, bevor es im Frühjahr
1988 zur endgültigen Vertragsunterzeichnung kam. Man verstand in Deutschland kaum, dass die gefundene
Lösung für die chinesische Seite einen erheblichen Kompromiss
darstellte und deutlich machte, wie sehr China am Ausbau der deutsch-chinesischen
Beziehungen gelegen war: Das Goethe-Institut in Peking ist eine deutsche
Einrichtung. Es hat einen chinesischen Vizedirektor, der beratende Funktionen
hat und von der chinesischen Erziehungskommission ernannt wird. Bis auf
weiteres sollte das Institut in einer chinesischen Institution untergebracht
werden (Hochschule für Fremdsprachen). Seine Aufgaben beschränkten
sich bis 1993 auf die Förderung der deutschen Sprache in China. Die
Programme werden der chinesischen Erziehungskommission (seit 1994 auch
dem Kulturministerium) vorab zur Kenntnis gebracht. Das Goethe-Institut erwarb sich in den Folgejahren einen
guten Ruf und das Vertrauen seiner Partner und Kunden. Trotz anfänglicher
Befürchtungen auf beiden Seiten funktionierte (und funktioniert)
das ausgehandelte Modell im Alltag störungsfrei. Bei den bilateralen
Kulturverhandlungen 1993 bot die chinesische Seite überraschend die
Ausweitung des Tätigkeitsbereiches des GI Peking auf kulturelle Programme
an. Es war ein substanzieller Erfolg deutscher auswärtiger Kulturpolitik
und des Goethe-Instituts. Nach wie vor ist das GI Peking das einzige ausländische
Kulturinstitut auf dem Boden der VR China, wenn man vom Sonderfall Hongkong
absieht. Zu welchen Komplikationen das führen kann, zeigte sich 1994,
als der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin bei seinem Frankreichbesuch
vom französischen Präsidenten mit dem Wunsch nach der Etablierung
eines französischen Kulturinstituts konfrontiert wurde. Auf die ausweichende
Reaktion Jiangs, China erlaube grundsätzlich keine ausländischen
Kultureinrichtungen auf seinem Boden, soll Mitterand erklärt haben,
man wolle ja nur eine Einrichtung analog dem Goethe-Institut Peking. Jiang
Zemin, der zu diesem Zeitpunkt über die näheren Umstände
des deutschen Kulturinstituts in China offenbar nicht informiert war,
soll begreiflicherweise sehr verärgert gewesen sein. Das Ergebnis
dieses Ärgers bekam das GI Peking unmittelbar zu spüren: Die
chinesischen Behörden verhinderten umgehend das gesamte kulturelle
Herbstprogramm des Jahres 1994, darunter eine speziell für Peking
konzipierte und geschaffene große Gemeinschaftsausstellung Günther
Ückers mit chinesischen Künstlern. Die Wogen haben sich inzwischen geglättet. Das GI Peking arbeitet wieder normal und erfolgreich. Das von der Bundesrepublik und dem Goethe-Institut gewünschte Institut in Shanghai wird freilich warten müssen, bis das Goethe-Institut Peking seine unbequem einzigartige Stellung einbüßt und die VR China auch anderen Nationen die Gründung von Kulturinstituten erlaubt. Bis dahin wird man sich mit Zwischenlösungen begnügen müssen, die in China erfahrungsgemäß zwar langlebig, aber auch erfolgreich sein können. Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen: im
Kronprinzenpalais erschienen im C.H.
Beck Verlag
|