Heinz Griesbach Am
Anfang war fast nichts. Es war schon ein Abenteuer, auf das ich mich da eingelassen
hatte, als ich am 1. Mai 1953 die Aufgabe übernahm, Ausländern
unterschiedlicher Nationalität Deutschunterricht zu erteilen, ein
Abenteuer in zweifacher Hinsicht: Ich war zwar Dolmetscher für einige
Sprachen, aber über die deutsche Sprache hatte ich bis dahin kaum
reflektiert, und nun sollte ich Deutsch unterrichten. Was oder wer war das "Goethe-Institut"? Damals
konnte man noch nach Personen fragen. Das Goethe-Institut waren der Geschäftsführer
Herr Helmut Brückmann und Frau Dr. Dora Schulz, die beide in München
in der Herzog-Rudolf-Straße 6 in zwei unglaublich primitiven "Geschäftsräumen"
residierten, unterstützt von Frau Utz, einer Halbtagsbürokraft.
Das war im September 1952. Und sie taten es. Im Herbst 1952 startete in
Seeshaupt am Starnberger See ein so genannter Vorbereitungslehrgang, an
dem circa 20 Interessenten für eine Lektorenstelle im Ausland teilnahmen.
Die Dozenten des Lehrgangs boten nicht viel, was auch? Aber die Referate
über ihre Lektorentätigkeit im Ausland vor und während
des Krieges waren gut gemeint. Und zwar so sehr, dass ich mich bereit fand, quasi als
Beitrag zum Lehrgang eine Einführungslektion für Türkisch
auszuarbeiten, nach deren Absolvierung wir uns alle fragten, warum wir
uns früher beim Erwerb von Fremdsprachen so sehr abgequält hatten.
Die geglückte Probelektion in Türkisch war wahrscheinlich auch
der Grund dafür, dass ich ein halbes Jahr später beim Institut
"zur Erteilung von Deutschunterricht" eingestellt worden bin.
Dass das später beim ersten praktischen Deutschkurs in Bad Reichenhall
elendiglich scheitern musste, ahnten wir noch nicht. Schon nach drei Unterrichtstagen
mit je sechs Stunden streikten die ausländischen Sprachkursteilnehmer.
Wer will denn auch täglich sechs Stunden lang nach der Melodie "Morgen
kommt der Weihnachtsmann" singen, und das acht Wochen lang! Acht
Wochen war übrigens die magische Zeit, in der nach dieser Methode
Deutsch erlernt werden sollte. Noch aus dieser Zeit stammt der Achtwochenrhythmus
der Inlandskurse des Goethe-Instituts. |
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Ich verdiente als Lehrer und Rund-um-die-Uhr-Betreuer
monatlich DM 200,- brutto. Herr Lapper startete den Kurs mit Bravour nach seiner Methode "Morgen kommt der Weihnachtsmann"! Es verstand sich von selbst, dass alle Kursteilnehmer ohne Rücksicht auf Vorkenntnisse zusammengefasst wurden, hatte Herr Lapper doch einschlägige Erfahrungen in der Leitung einer einklassigen Dorfschule. Frau Dr. Schulz und ich konnten ihn nur mit Mühe davon abhalten, eine Einführungsrede vor dem gesamten "Auditorium" zu halten, um die Vorzüge seiner Methode zu erläutern, auf Deutsch versteht sich. Nach zwei Stunden verschwand er von der Bildfläche, denn er musste in seine Schule zurück, und überließ mir die übrigen vier Unterrichtsstunden. In den ersten beiden Tagen lief alles so weit ganz gut, wenn man die sauren Mienen der beiden Schwedinnen ignorierte. Schließlich nahm Frau Dr. Schulz aber doch die beiden Schwedinnen beiseite und gründete damit die erste "Mittelstufe". Ich dagegen sang und psalmodierte mit den Übrigen weiter, "lappern" nannten wir das. Das ging zwei Tage gut, bis der Däne, der sehr musikalisch war, streikte. Er konnte die Melodie nicht mehr ertragen. Die beiden Türken brummten nur mit, denn sie hatten eine andere Vorstellung von musikalischer Harmonie. Wir mussten also wohl oder übel den Unterricht umstellen und gingen dazu über, das Lappersche hektografierte Unterrichtsmaterial konventionell durchzuarbeiten. Wenn Herr Lapper allerdings kam und den Unterricht übernahm, wurde wieder "munter" gesungen. Er kam zweimal in der Woche für eine Stunde. Es dauerte nicht lange, bis die Kursteilnehmer herausbekamen, wann er kam, und dann durch Abwesenheit glänzten. Nichtsdestoweniger trommelte Herr Lapper alle möglichen
Presseleute herbei, u.a. auch Amerikaner von LIFE. Den Journalisten stellte
er eiskalt die beiden schwedischen Lehrerinnen, mit denen sich die deutschen
Journalisten glänzend auf Deutsch unterhielten, als Sprachanfänger
vor. Man kann sich vorstellen, was dann in der Presse über das "Singende
Lernen" gestanden hat. Nach einem klärenden Gespräch zwischen Herrn
Dr. Thierfelder, dem Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen,
dem das Goethe-Institut eine finanzielle Starthilfe verdankt, und Rektor
Lapper gab Herr Lapper sehr verärgert auf und verzichtete auf jede
weitere Mitarbeit. So saßen Frau Dr. Schulz, die eigentlich nach
Beginn des Kurses hatte nach München zurückkehren sollen, und
ich allein da. Sie blieb noch bis Ende Ich unterrichtete die Anfänger. Nun galt es, den
Sprachanfängern innerhalb von acht Wochen brauchbare Deutschkenntnisse
zu vermitteln. Ich versuchte das mit den damals verfügbaren Lehrbüchern,
das führte aber zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Inzwischen hatte sich gezeigt, dass Kursteilnehmer ohne
Vorkenntnisse innerhalb eines Kurses sprachlich so weit gefördert
werden konnten, dass sie in der Lage waren, an Universitäten ihr
Studium aufzunehmen oder eine Praktikantenausbildung bei der Industrie
zu beginnen. Der Erfolg war durchschlagend. Die Zahl der Kursteilnehmer
stieg mit jedem Kurs an, so dass die Unterrichtsstätte dem Ansturm
nicht mehr gewachsen war. Es wurden weitere Unterrichtsstätten im
Inland gegründet (in Murnau, Kochel, Bad Aibling usw.). Inzwischen
neu eingestellte Lehrer durchliefen anfangs in Bad Reichenhall eine praktische
Ausbildungszeit und gingen dann an die neu eingerichteten Unterrichtsstätten.
Das Goethe-Institut wuchs nach dem "Prinzip der Zellteilung"
weiter. Die Bezeichnung "Sprachlehrer" wurde in "Dozent
des Goethe-Instituts" verändert. Die während meiner Tätigkeit im Institut zusammen
mit Frau Dr. Schulz (sie starb 1974) konzipierten und von mir erstellten
Unterrichtsmaterialien wurden, zunächst als hektografiertes Material
von Bad Reichenhall aus an die verschiedenen Unterrichtsstätten verschickt,
an die Kursteilnehmer abgegeben. Da dieses Material ungeschützt war,
entschlossen wir uns, dafür einen Verlag zu finden. Der Max Hueber Verlag verlegte das Hauptgewicht seiner Produktion auf das Gebiet "Deutsch als Fremdsprache". In den kommenden Jahren vergrößerte er sich ständig und wurde in der ganzen Welt bekannt. Die erfolgreiche Entwicklung der Spracharbeit auf dem Gebiet "Deutsch als Fremdsprache" ist der Qualität der Spracharbeit des Goethe-Instituts in den frühen Jahren zu verdanken sowie dem engagierten Einsatz des Verlegers Herrn Ernst Hueber, der in aller Welt die geeigneten Bücher zur Verfügung gestellt hat, aus denen Millionen Deutsch Lernende und auch viele Lehrbuchautoren im In- und Ausland profitiert haben. Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen: im
Kronprinzenpalais erschienen im C.H.
Beck Verlag
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