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Jörg Lau Bildungsroman
Bundesrepublik: Was die Arbeit der Goethe-Institute für die Bundesrepublik geleistet hat und leisten soll, wird gewöhnlich in ziemlich gravitätischen Worten beschrieben:Unweigerlich fällt das berühmte Diktum Willy Brandts von der »dritten Säule« der deutschen Außenpolitik (es ist derart sprichwörtlich geworden, dass kaum jemand mehr zu sagen weiß, wofür genau die anderen beiden Säulen stehen); es ist dann auch oft von der »Modernisierung des Deutschlandbildes« die Rede, von Völkerverständigung« und »kulturellem Dialog« und ganz sicher von der »Erweiterung des Kulturbegriffs«. Das alles ist ja nicht falsch, aber solche Rede bleibt doch sehr im Bereich des Festrednerisch-Unanschaulichen. Wie tief greifend das Goethe-Institut in Wirklichkeit in die Geschichte der Bundesrepublik und die Geschichte der Bundesrepublik mit dem Rest der Welt verwoben ist, kann man eigentlich nur an konkreten Fallgeschichten deutlich machen. Zufällig bin ich bei Recherchen für ein Buch auf eine dieser unglaublichen Geschichten gestoßen, die in keinem Jahresbericht, in keiner Bilanz und in keinem Berichterstatter-Memo zu finden sind und doch, pathetisch gesprochen, vielleicht den wahren Seinsgrund dieses seltsamen und höchst unwahrscheinlichen Apparates namens GI ausmachen. Es ist auf den ersten Blick eine kleine und nebensächliche Episode der Institutsgeschichte, aus der sich aber auf den zweiten Blick ungeheure Folgen ergeben wie bei dem berühmten Schmetterlingsflügelschlag, der auf der anderen Seite der Welt einen Sturm auslöst. Die Pointe dieser Geschichte ist mit nur ein wenig Übertreibung gesprochen , dass die bundesrepublikanische Geschichte der Jahre 1967ff. ohne das Goethe-Institut eine andere wäre. Genauer gesagt: ohne das Institut in Teheran, in dem Anfang der sechziger Jahre ein persischer Germanist namens Bahman Nirumand als so genannte »Ortskraft« arbeitete. 1963 besuchte der junge und schon hochberühmte Dichter Hans Magnus Enzensberger während einer Orientreise die persische Hauptstadt. Nirumand, der in Tübingen Germanistik studiert hatte, fiel die Aufgabe zu, Enzensberger dem Publikum der deutschen Gemeinde Teherans vorzustellen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb so gut, dass sie es vorzogen, dem obligatorischen Stehempfang zu entfliehen. Es folgten lebhafte Gespräche über Persien und eutschland, an reiste zusammen nach Isfahan, und schließlich ermutigte Enzensberger Nirumand, Material über die Lage im Lande zu sammeln, solange man ihn noch gewähren lasse. Er, Nirumand, müsse eines Tages unbedingt ein Buch über die Missstände in Persien schreiben, und Hans Magnus Enzensberger werde dann gerne behilflich dabei sein, es bei einem Verlag unterzubringen. Man trennte sich mit dem Versprechen, Kontakt zu halten. |
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Das
Versprechen wurde gehalten. Bahman Nirumand kehrt ein Jahr später nach
Deutschland zurück und zieht im Sommer 1965 nach Berlin. Er schreibt
das von Enzensberger angeregte Buch »Persien, Modell eines Entwicklungslandes
oder Die Diktatur der Freien Welt«, das im März 1967 als rororo-Paperback
erscheint. Enzensberger liefert ein Nachwort, und es trägt sicherlich
zur Wirkung des Buches bei. Der Umstand, der Nirumands Studie schließlich
zu einem Politikum werden lässt, entzieht sich allerdings dem Einfluss
der Beteiligten: Der Schah hat sich für den Juni des Jahres 1967 zu
einem Staatsbesuch in Deutschland angekündigt. Enzensberger schreibt
im Nachwort: »Jetzt stellen wir das Buch zu den andern Büchern
ins Regal, neben Eichmann in Jerusalem, Die Endlösung,
The Crisis of India ... Das Regal füllt sich ... Dann betrachten
wir sorgfältig unsere Hände. Sie sind völlig leer und merkwürdig
weiß.« Die Leser des Buches bescheiden sich damit jedoch nicht,
als der Schah von Persien, dessen Diktatur in dem Buch angeprangert wird,
nach Deutschland kommt. Das Dritte-Welt-Thema, das die neue Linke in der
Bundesrepublik bis dato auf eine eher theoretisch-abstrakte Weise debattiert
hat, bekommt nun ein Gesicht. Beim Protest gegen den Vietnam-Krieg geht
es um die Verbrechen der USA, sosehr sich die Aktivisten auch bemühen,
die deutsche Verstrickung (als Teil der freien Welt, für deren Werte
hier angeblich gebombt wird) nachzuweisen. Nun aber ist endlich ein Despot
zu besichtigen, mit dem die Bundesrepublik verbandelt ist. Auf Druck der
persischen Regierung versucht der Berliner Senat, Nirumands Teach-in an
der FU zu verhindern. Der Streit zwischen Senat und Universität über
die Veranstaltung führt zu einer Massenmobilisierung der Studenten.
Am 2. Juni 1967 demonstrieren über 2000 von ihnen vor dem Schöneberger
Rathaus. Unter den Augen der Polizei prügeln persische Sicherheitsbeamten
auf Demonstranten ein. Bei einer weiteren Manifestation am Abend vor der
Deutschen Oper kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es fliegen
erstmals Steine. Der Kriminalobermeister Kurras erschießt den 26-jährigen
Studenten Benno Ohnesorg von hinten.
Der Rest ist Geschichte, mit bekanntermaßen weit reichenden Folgen, über deren Deutung bis heute gestritten wird. Es geht mir hier nicht darum, diese Episode aus bewegten Tagen zu bewerten. Es kommt nur darauf an zu zeigen, wie sehr das Institut allein schon durch die Möglichkeiten der Begegnung, die es bereitstellt, ein Teil dieser Geschichte ist. Die bloße Existenz solcher Begegnungsräume, wie sie die Institute in aller Welt bieten, kann buchstäblich das Leben verändern, nicht nur das eines Einzelnen, sondern manchmal auch das Schicksal ganzer Gruppen und Generationen. Bei einer Lesung in einem abgelegenen Kulturinstitut können sich Dinge anbahnen, die schließlich eine ganze Gesellschaft umwälzen. Es ist wichtig, sich an einem solchen Fall und ich bin sicher, es gäbe Tausende weitere zu erzählen einmal klar zu machen, was sich hinter abgenutzten Formeln wie »auswärtige Kulturarbeit« und »interkultureller Dialog« verbergen kann. Ich habe diese Geschichte hier nicht ohne Hintergedanken an den Beginn eines Rückblicks auf 50 Jahre Goethe-Institut gestellt. Wenn von Sinn und Zweck der auswärtigen Kulturpolitik die Rede ist, dann geht es meist um erhabene Dinge wie Programme und Konzepte, Leitlinien und Grundsätze. So wichtig die Debatte über dergleichen auch sein mag sie verdeckt manchmal eine ganz grundlegende Mission des Goethe-Instituts, die gewissermaßen allen programmatischen Fragen vorgelagert ist: die Ermöglichung von Kulturkontakten. Was aus solchen Kontakten entsteht auch dafür bürgt meine Anekdote aus Teheran , ist durch noch so wohl formulierte Programme nicht zu steuern. Aber Kulturkontakte sind, wie die neuere Kultursoziologie erkannt hat, die Voraussetzung für kulturelle Dynamik schlechthin. »Eine Kultur«, schreibt der Soziologe Dirk Baecker, »entsteht überhaupt erst aus einem Kulturkontakt. Vor dem Kontakt weiß sie nicht, dass sie eine Kultur ist. Erst der Kontakt zwingt sie, aus der Erfahrung des Fremden auf ein Eigenes zu schließen. Eine Kultur ist demnach die Form der Bearbeitung des Problems, dass es auch andere Kulturen gibt.« In die Programmatik des Goethe-Instituts hat diese Einsicht unter dem Titel »Dialog und Partnerschaft« Eingang gefunden so jedenfalls die Formel in den jüngsten »Grundsätzen für die zukünftige Arbeit« von 1998. Herrschende Lehre ist dieses Prinzip der Weltoffenheit und des Austausches aber schon spätestens mit den im Wesentlichen von Ralf Dahrendorf formulierten »Leitsätzen für die Auswärtige Kulturpolitik« aus dem Jahr 1970. Da heißt es: »Auswärtige Kulturpolitk ist nicht nur Information über unsere Kultur, sondern auch Austausch und Zusammenarbeit ... Was wir geben, ist nur so viel wert wie unsere Bereitschaft zu nehmen. Offenheit für andere ist daher ein Prinzip unserer Auswärtigen Kulturpolitik.« Der Fall Enzensberger/Nirumand ist ein Musterbeispiel dafür, dass die Institutsarbeit auch schon vor der Formulierung der berühmten Leitsätze deren Grundgedanken verpflichtet war: Man schickt einen Dichter, damit die iranische Öffentlichkeit sich ein Bild über den Stand der poetischen Dinge in Deutschland machen kann aber am Ende erweist sich als viel entscheidender, was dieser Dichter an Wissen über den Iran mit nach Hause bringt. Im Lichte dieses Wissens verändert sich das Bild des eigenen Landes und schließlich in diesem Fall gar das Land selbst. Nun soll hier freilich nicht der Eindruck erweckt werden, das Goethe-Institut sei immer nur auf eine solche indirekte und gewissermaßen zufällige Weise am Bildungsroman der Bundesrepublik beteiligt gewesen. Man kann im Rückblick in der Arbeit des Instituts vier abgeschlossene Phasen auswärtiger Kulturpolitik erkennen. Zunächst mussten in einem ersten Schritt die Strukturen überhaupt erst einmal (wieder) aufgebaut werden, um die vorrangigen kulturpolitischen Ziele der fünfziger Jahre verfolgen zu können: Sympathiewerbung, Vertrauensbildung, Prestigegewinn. 1951 wurde das Goethe-Institut in München gegründet, 1952 entstand die erste Zweigstelle in Athen, bereits 1953 begann man mit den ersten Deutschkursen für ausländische Lehrer. Ab 1955 wurden dann durch das Auswärtige Amt die ersten Kulturinstitute im Ausland gegründet, von 1959 an begann man damit, diese Häuser nach und nach auf das Goethe-Institut zu übertragen. Seit diesem Jahr wurden neue deutsche Kulturinstitute auch schon durch das GI errichtet. 1960 gab es bereits wieder 36 Zweigstellen in 23 Ländern mit 79 entsandten Dozenten ein beeindruckender Expansionskurs nur so wenige Jahre nach dem Ende des Krieges. 1961 kamen zur Sprachvermittlung, dem klassischen Aufgabenfeld des GI, die Kulturprogramme hinzu. Das Institut hieß nun »Goethe-Institut zur Pflege deutscher Sprache und Kultur im Ausland e.V.«. Damit beginnt eine zweite Phase, die eng mit den weltpolitischen Verschiebungen der Zeit verknüpft ist: Nach den Wiederaufbaujahren spitzte sich die Lage im Kalten Krieg bedrohlich zu. Ereignisse wie der Bau der Mauer von 1961 und die Kuba-Krise von 1962 warfen ihren Schatten auch auf die Kulturpolitik. An das Institut wurden nun neue Forderungen gerichtet. An die Stelle der bisherigen Sympathiewerbung durch Präsentation unkompromittierter geistig-kultureller Bestände der deutschen Tradition trat nun der Versuch der gezielten Image-Politik des »freien Deutschlands« im Kampf der politischen Systeme. Die Partei- und Tagespolitik sollte zwar aus der Arbeit der Institute herausgehalten werden, aber Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst der Bundesrepublik wurden jetzt stärker zum Thema gemacht. Willy Brandts berühmter Spruch von der Kulturpolitik als der »dritten Säule der Außenpolitik« ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen: Im Kalten Krieg wird die Kultur zum Mittel der Unterscheidung von dem anderen Deutschland, dem man politisch die Anerkennung versagt. Man kann hier durchaus von einem Paradigmenwechsel in der Kulturarbeit sprechen: Nicht mehr das vermeintlich Unbefleckte und Ewiggültige der deutschen Tradition steht jetzt im Mittelpunkt. Es kommt nun gerade darauf an, den Pluralismus und die bunte Widersprüchlichkeit der Gegenwartskultur auszustellen. Dass mit Hans Magnus Enzensberger ausgerechnet der »zornige junge Mann« der deutschen Literatur als Repräsentant ins Ausland geschickt wird einer, der die Bundesrepublik einmal »musterland mördergrube« genannt hat , ist ein deutliches Zeichen dieser neuen Ära. Es ist bekannt, dass mit dieser neuen Politik des Instituts auch die Kontroversen um seine Arbeit zunahmen. Wir werden uns diesem Umstand noch genauer widmen müssen; er ist besonders sprechend für die Schwierigkeiten der Bundesrepublik, ihre eigene Modernität zu begreifen. Mit
der Regierungsübernahme durch Willy Brandt 1969 begann eine dritte
Phase der Auswärtigen Kulturpolitik. Im Inneren bestimmte eine emphatische
Reformbegeisterung jetzt die Lage; nach außen hin verfolgte die
neue Regierung einen Entspannungskurs. Nicht mehr der Wettbewerb der Systeme,
sondern der »kulturelle Austausch« mit der Welt stand nun
im Mittelpunkt der Kulturpolitik. Man sprach gar vermehrt von »kultureller
Außenpolitik«, um die Wertschätzung der Mittlerarbeit
zu betonen. Ein institutioneller Ausdruck dieser Wertschätzung war
die Unterstellung der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen
Amtes unter die Ägide von Ralf Dahrendorf, der der Regierung Brandt/Scheel
als Parlamentarischer Staatssekretär diente. Seine bereits erwähnten
»Leitsätze« sollten für viele Jahre den konzeptuellen
Rahmen abstecken. Sie spiegelten die neue Lage der Bundesrepublik zwischen
Reformpathos und Entspannungspolitik wider. Man nahm Abstand von jeder
expansiv-»missionierenden« Form der Sprachpflege und akzeptierte
die jeweils gebräuchlichste Sprache als Medium der Arbeit vor Ort.
Die deutsche Sprache sollte nur mehr »Träger, nicht Ziel unseres
Wirkens im Ausland sein«. Und man bekannte sich zu einem »erweiterten
Kulturbegriff«: Damit war erstens eine egalitäre Konzeption
des Kanons gemeint, in dem »hohe« wie »niedere«
Künste, Eliten- und Massenkultur gleichermaßen Platz finden
sollten. Und zweitens Der Strukturwandel in den Ostbeziehungen der Bundesrepublik, der Mitte der achtziger Jahre durch die von Gorbatschow angestoßenen Veränderungen möglich wurde, läutete eine vierte Phase ein. Seit 1987 konnte die Bundesrepublik zunächst mit Ungarn, Bulgarien, der UdSSR, Polen und der CSFR, nach 1989 auch mit Lettland, der Ukraine, Usbekistan, Estland und vielen anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit schließen. In den neunziger Jahren brach, was Mittel- und Osteuropa angeht, eine neue Gründerzeit für das Goethe-Institut an: 11 neue Häuser wurden allein zwischen 1990 und 1998 in den nun befreundeten Ländern dieser Region eröffnet. Unter der Regierung Kohl/Genscher fand dann eine Renaissance der Spracharbeit statt, und in den neunziger Jahren wurde schließlich zusehends auf Kosten der Programmarbeit gespart. Es wurde zum festen Muster der Auseinandersetzung um die Arbeit des GI, dassgrob gesprochen die Linke die Programmarbeit, die Rechte aber die Spracharbeit in den Vordergrund zu rücken versuchte, und zwar jeweils auf Kosten der anderen Seite. Unbestritten blieb dabei von beiden Seiten die Exportorientierung der Auswärtigen Kulturpolitik, was angesichts der sich öffnenden neuen Räume auch verständlich scheinen mag. Mitte der neunziger Jahre mehrten sich die Anzeichen dafür, dass es mit diesem Konsens der Streitenden vorbei sein und abermals eine neue Phase der Selbstvergewisserung für das GI anbrechen würde. Sie ist bis heute nicht abgeschlossen: Die weltpolitische Konstellation wurde nun zunehmend unter dem Schlagwort der »Globalisierung« diskutiert, und die Revolution von 1989 erschien immer mehr wie ein Schritt auf dem Weg zu einer ganz und gar globalisierten Weltgesellschaft. Zugleich wurde das GI durch eine rigorose Sparpolitik unter Legitimationszwang gesetzt: Steigende Anforderungen bei sinkenden Mitteln führten zu einer heftigen Debatte um die Neudefinition und Strukturreform der Auswärtigen Kulturpolitik. Aus den vielen engagierten Stellungnahmen ragen die Beiträge von Hans Magnus Enzensberger und Wolf Lepenies, verfasst in den Jahren 1995 und 1996, heraus: Ersterer beklagte das neue Desinteresse an der Auswärtigen Kulturpolitik, das sich in den Mittelkürzungen und den zahlreichen Institutsschließungen ausdrückte, und forderte den Ausbau der vorhandenen Strukturen zu einem »dialogfähigen Frühwarnsystem« in einer unübersichtlichen, konfliktträchtigen Welt, die gleichermaßen vom vereinheitlichenden globalen Markt wie von neuen lokalen Sonderwegen gekennzeichnet sei. Lepenies schließlich forderte dazu auf, die Kulturpolitik auf »Importorientierung« umzustellen: Die europäischen Kulturen seien, allem Krisengefühl zum Trotz, »Belehrungskulturen geblieben. Ihre Zukunft aber wird nicht zuletzt von ihrer Fähigkeit abhängen, zu Lernkulturen zu werden.« Damit ist die Lage und die aus ihr ergehende Herausforderung bis heute treffend beschrieben. Das Goethe-Institut sollte also das Jubiläum seines fünfzigjährigen Bestehens dazu nutzen, sich Rechenschaft zu geben, welche Rolle es in der »Belehrungskultur« gespielt hat, die Wolf Lepenies für passé hält. Vielleicht ist die spezielle Belehrungskultur des Goethe-Instituts, die siehe mein Eingangsbeispiel immer schon reziprok funktionierte, gar nicht so entbehrlich, wie es in der momentanen Emphase für »Wissensgesellschaft«, »lebenslanges Lernen« und dergleichen erscheinen mag. Wer in den alten Jahresberichten blättert, wird jedenfalls von gemischten Gefühlen heimgesucht werden: Es wirkt im Rückblick manchmal schon ein wenig bizarr, wie auch die entlegensten Weltgegenden noch mit konkreter Poesie, neuem deutschem Film und den allseits bewährten Markenerzeugnissen der Nachkriegsliteratur Handke, Frisch, Walser, Weiss überzogen werden. Dann wieder hat dieses unstillbare, freundlich subventionierte Fernweh der deutschen Professoren, Symphoniker, Filmemacher, Journalisten, Poeten und Maler ja auch etwas Anrührendes: Warum denn eigentlich nicht zeitgenössische Musik in Hyderabad, Modefotografie in Peru, Vorträge über das Genossenschaftswesen in Rabat, ein Enzensberger-Symposium in New Delhi, neueste Linguistik in Kopenhagen, expressionistische Stummfilme in Algier, experimentelle Kurzfilme in Mexiko City? Und beim Blick auf manche Jahresbilanz kann den Nachgeborenen sogar ein Heimweh nach Zeiten erfassen, zu denen ihm nur die Einbildungskraft Zutritt verschaffen kann: Im Jahr 1969 zum Beispiel sprach Max Horkheimer über die »Periode des Übergangs (zur Krise der Gesellschaft heute)« (Rom), Max Bense über »Probleme der modernen Ästhetik« (Madrid), Marcel Reich-Ranicki über »Die Rolle des Schriftstellers im geteilten Deutschland« (Lyon, Nancy), Imanuel Geiss über »Die Ursachen der politischen Unruhen in der Bundesrepublik« (Nicosia), Helmut Gollwitzer über »Revolution als theologisches Problem« (Rom), Golo Mann über »Erinnerungen an Thomas Mann« (Stockholm) und Karl Rahner über »Die gesellschaftskritische Funktion der Kirche« (Rom). Man wird beim Lesen solcher Listen von einer Art nachholendem Stolz auf dieses merkwürdige Land gepackt, das tapfer neben seinen ewigen Werten auch seine Zerrissenheit und seine Skrupel an sich selbst ausstellt und dabei zugleich von einer ungeheuren Neugier auf die Komplexität der Welt gepackt scheint: Es geht zwar eigentlich immer um »Die Deutschen im modernen Welttheater«, wie der treffende Titel eines Athener Vortrags aus dem Jahr 1969 lautet. Aber das Goethe-Institut vergisst über den obligaten Identitätsthemen nicht die »Ambivalenz des marxistischen Ideologiekonzepts« (Rom), den »Welternährungsbedarf im Jahr 2000« (Rabat, Kairo), die »Psychiatrie im islamischen Mittelalter« (Algier, Oran) oder wahrlich drängende Probleme wie »Traffic and the City of the Future« (Dublin) all dies in nur einem Jahr, und zwar bereits bevor das Konzept des »erweiterten Kulturbegriffs« zur Verfügung stand. Es wäre ein Leichtes, sich über manche allzu eifrig erbrachten Tribute an den Zeitgeist zu mokieren, von denen die Jahrbücher vor allem der siebziger Jahre übersät sind: Was hat man nicht alles von den Sprachlaboren und von den »audiovisuellen Medien« erhofft, von »finnisch-deutschen Jazzworkshops«, von der Selbstverwaltung im Theater, von der modernen Museumspädagogik, von der Futurologie und der Kybernetik! Und so manches Mal tönt es unfreiwillig komisch, wie etwa in diesem Beitrag über »Technische Medien und Programme in der Sprach- und Kulturarbeit des Goethe-Instituts«: »Für soziale Lernphasen, die im Klassen- und Gruppenverband stattfinden«, schreibt da ein von seinen neuen Geräten entflammter Mitarbeiter, »stehen das Elektronische Klassenzimmer und das Klassenlehrgerät bereit, während visuelle Programme durch Audio-Visuelle Kombinationen ... präsentiert werden können ... Inwieweit Hafttafelmedien und ihre Programme, die noch für Deutsch als Fremdsprache zu produzieren sind, Entwicklungsländern Entlastung bringen, muss man noch erproben. Das Problem bei Hafttafeln liegt nun nicht mehr im Technischen, dafür aber, was den Erwachsenenunterricht angeht, im Inhaltlichen und Methodischen.« Was waren das für herrliche Zeiten, damals im Jahr 1973, als die deutsche auswärtige Belehrungskultur das Problem der Hafttafeln bereits gelöst hatte und nur noch ein paar kleine inhaltliche und methodische Fragen offen schienen! Und auch die waren eigentlich nicht sehr drängend, denn man hatte doch den Kanon der »progressiven Kultur« die Neue Musik von Kagel und Henze, neue Stücke von Handke und Kroetz, Zadek und Dorst, den Neuen Deutschen Film der Straub, Schroeter, Herzog und Faßbinder. Ach, der Neue Deutsche Film: Hätte es ihn nicht ohnehin schon gegeben, das Goethe-Institut hätte ihn erfinden müssen, so viele Programmplätze ließen sich mit ihm füllen. Der Neue Deutsche Film hat auch einmal als er freilich schon nicht mehr ganz so neu war in einer Rede von Franz Josef Strauß vor der Mitgliederversammlung des GI eine Rolle gespielt. Diese Rede aus dem Jahr 1986 ist noch heute berüchtigt. 1996 hat das Institut sie in einer Festschrift nachdrucken lassen, im Gedenken an eine bange Stunde. Es heißt darin an einer Stelle: »Müssen in Lissabon unbedingt alle 26 Filme von Helma Sanders-Brahms nacheinander aufgeführt werden, an der Spitze Deutschland, bleiche Mutter?« Die Straußsche Kritik am wie man später gesagt hätte politisch korrekten Kanon der Programmarbeit jener Jahre kommt mit gar nicht so unsympathischer Offenheit und Leidenschaft daher. Der Hintersinn seiner Attacke ist allerdings nicht der durchaus legitime Wunsch nach einer Kanon-Debatte. Strauß sieht durch die »nestbeschmutzerische« Programmauswahl den Erfolg der Auswärtigen Kulturpolitik schlechthin gefährdet. Und damit steht er in der Tradition einer konservativen Kritik an den Aktivitäten des Instituts, die ihre wahren Vorstellungen von gelungener Repräsentation selten so offen ausgesprochen hat wie in diesem Fall: »Die hellen und festlichen Farbtöne, mit denen die DDR ihr Land im Ausland malt, werden auf Dauer erfolgreicher sein als die düstere Götterdämmerungspalette der Bundesrepublik Deutschland. ... Angesichts dieser sich verschärfenden Wettbewerbssituation zur DDR können wir es uns keinesfalls erlauben, die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland der internationalen Kulturschickeria als Spielwiese freizugeben.« Aber leider, leider, kann man ja hier nicht so schalten und walten wie die Oberen in der DDR! Das sich in der Straußschen Rede so drastisch äußernde Unvermögen, die eigenwillige Modernität der Bundesrepublik und ihrer kulturellen Selbstdarstellung im Ausland zu begreifen, hatte damals schon Tradition. Der mehrfach erwähnte Hans Magnus Enzensberger zum Beispiel konnte im April 1967 mit diesem Unvermögen Bekanntschaft machen. Er hatte mit Mitteln aus einem Literaturpreis der Stadt Nürnberg einen Fonds für »politisch Verfolgte« in der Bundesrepublik eingerichtet. Das brachte die CSU auf den Plan, die diese Affäre sogar vor das Parlament schleppte: Am 13. April 1967 kommt in der Fragestunde des Deutschen Bundestages der Nürnberger CSU-Abgeordnete Stiller zum Zuge: »Teilt die Bundesregierung die Meinung des Schriftstellers Dr. Enzensberger, ... dass in unserem Land Personen wegen ihrer politischen Gesinnung vor Gericht gestellt werden ...?« Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister der Justiz, antwortet darauf mit einem »runden Nein«. Der Abgeordnete Stiller aber will sich damit nicht begnügen: Und so stellt er in einer weiteren Fragestunden Nachfragen über die Reisen, die Dr. Enzensberger im Auftrag des Goethe-Instituts unternommen habe auf Kosten des Steuerzahlers also. Enzensberger hatte in der Tat kürzlich als Goethe-Emissär Griechenland, die Türkei und Indien bereist. In der Türkei hätten, so weiß MdB Stiller mitzuteilen, die bekannt »deutschfreundlichen« Einheimischen mit Befremden auf die Äußerungen des Dr. Enzensberger über sein Land reagiert. Die konservativen Eliten, dafür steht diese alberne Affäre, haben große Schwierigkeiten, die Funktion der Öffentlichkeit in einer ausdifferenzierten Gesellschaft zu verstehen. Weil sie glauben, diese Gesellschaft müsse von oben her »formiert« also mit väterlicher Hand an bestimmten Ordnungsprinzipien, Grundwerten, Traditionen ausgerichtet werden, können sie Abweichung, Protest und Konflikt nur als Gefährdung der gewünschten »Stabilisierung der Lebensordnung« der »formierten Gesellschaft« (Erhard) begreifen. Sie bleiben befangen im überlebten Konzept einer »repräsentativen Kultur« und können nicht sehen, dass die Bundesrepublik ihr neues Ansehen in der Welt nicht zuletzt der Aufgabe dieses Konzepts verdankt. Die Bundesrepublik repräsentiert sich in der Tat eine kühne Wendung durch Kritik: Sie stellt offenherzig und großzügig die Ungebundenen und Unbequemen aus, die gerade nicht repräsentativ sein wollen und es dadurch umso mehr sind. Die Konservativen oder »reaktionären Kräfte«, wie man seinerzeit sagt, erweisen sich als unfähig, die »systemstabilisierenden« Effekte dieser Strategie zu erkennen. Sie träumten stattdessen stattdessen wie die Interventionen des Abgeordneten Stiller und des Ministerpräsidenten Strauß beweisen, zwischen denen immerhin zwei Jahrzehnte liegen von einer Art kulturellen Propaganda für ein besseres Deutschland, ungefähr so, wie sie von der DDR ungeniert unter Inanspruchnahme der klassischen deutschen Kultur betrieben wurde. Nun sind solche Träume aber spätestens mit der DDR untergegangen. Und beim Wiederlesen der Straußschen Rede in dem Geburtstagsband für das GI wird manchen auch eine gewisse Melancholie überkommen haben: Was waren das für Zeiten, als man noch solche Feinde hatte, die einem kostenlos eine Legitimation ex negativo verschafften! Diese Zeiten sind vorbei. Die späte Regierung Kohl schon hatte sich mit dem »erweiterten Kulturbegriff« abgefunden, und Klaus Kinkel sprach dann von »Dialog statt Monolog« und »globaler Lerngemeinschaft« als den Idealen der Auswärtigen Kulturpolitik. Heute bekennen sich alle politischen Kräfte, von der rot-grünen Regierung über die christkonservative Opposition bis zur PDS, zu dergleichen Parolen. Wenn aber nun alle dafür sind für den ganz weiten Kulturbegriff, für den Kulturimport, den Kulturaustausch und was der freundlichen Selbstverständlichkeiten mehr sind (solange sie nicht allzu viel kosten) , dann sollte man vielleicht nicht erleichtert, sondern alarmiert sein. Der Begriff der Kultur, der zentrale Sinn stiftende und operative Begriff für das Goethe-Institut, ist einem ungeheuren Verschleiß ausgesetzt. Vielleicht sollte man im Namen der Selbstvergewisserung darangehen, ihm den Schein der Harmlosigkeit zu nehmen, der ihm über die Jahre durch den Konsens der Kulturbeflissenen zugekommen ist. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt, der Begriff der Kultur sei »einer der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind«, und die Beobachtung von Religion, Kunst und Philosophie als Kultur habe »verheerende Folgen gehabt«. Das sind überraschende Feststellungen im Kontext der deutschen Tradition, die den Kulturbegriff als einen Wertbegriff benutzt: als das Gegenteil von Barbarei und Banausentum etwa oder auch im Sinne »wahrer Kultur« als Gegensatz zu »bloßer Zivilisiertheit«. In welchem Sinn kann der Begriff der Kultur nun ein »schlimmer« Begriff sein«? Kultur ist doch wohl das Bedeutende, das Wichtige, das Unverzichtbare, das Notwendige schlechthin (wie auch immer man es im Einzelnen bestimmen mag)? Was Luhmann mit seinem merkwürdigen Diktum im Sinn hat, ist aber gerade, diesem Kulturbegriff seine falsche Selbstverständlichkeit zu nehmen. Er will ihn entharmlosen, indem er den Sinn dafür schärft, worauf die moderne Gesellschaft sich eingelassen hat, indem sie »Kultur« zu einem Leitbegriff der Selbstverständigung erwählt hat. Es liegt auf der Hand, wie sehr diese doch abstrakten Überlegungen die ganz konkrete Arbeit gerade eines Instituts betreffen, das sich der auswärtigen Kulturpolitik verschrieben hat: Der moderne Kulturbegriff, so Luhmann, ist nämlich ein Nebenprodukt der intellektuellen Praxis des Vergleichens. »Kultur« ist schon seit Montaignes Essay über die Wilden das, was sich an den Lebensweisen der Menschen unterscheidet und in dieser Hinsicht mit den Lebensweisen anderer Menschen verglichen werden kann. Oder kürzer gesagt: »Kultur« ist das, was unvergleichbare Lebensweisen vergleichbar macht. Andere für Barbaren zu halten, nur weil sie anders leben, ist nicht mehr möglich, seit es den modernen Kulturbegriff gibt. Wer es dennoch tut, gilt nun selbst als Barbar. Der
»erweiterte Kulturbegriff« ist so gesehen eigentlich eine
Tautologie: Der Begriff der Kultur, aus dem Vergleich entstanden, kann
gar nicht anders, als sich ständig zu erweitern und dies ganz
ohne amtliche Weisung. Erweiterung ist seine Eigenlogik. Die Kehrseite
davon ist der Relativismus: Was immer man tut dank dem Kulturbegriff
hat man dabei stets die Formel »Wie interessant!« im Nacken.
Man muss in der modernen Gesellschaft nicht weit reisen, um diese Erfahrung
zu machen. Jeder ist seines Nächsten Ethnologe, jeder seines Nachbarn
edler Wilder. Wie man betet, liebt und streitet, seine Krankheit pflegt
und stirbt restlos alles ist eine Frage der Kultur, insofern, als
es Leute gibt, die es jeweils anders damit halten. Als Reaktion auf seine eigene Haltlosigkeit mobilisiert der Kulturbegriff aber auch den Einwand der Unvergleichbarkeit, des Authentischen und Identischen. Relativismus und Fundamentalismus bedingen einander. Diese unwiderstehliche Zweideutigkeit des Kulturbegriffs, schreibt Baecker, »hat die moderne Gesellschaft in die Katastrophe der Beobachtung zweiter Ordnung gestürzt, ohne dass sie eine Chance hatte zu merken, wie ihr mitgespielt wurde«. Ob das Goethe-Institut nicht helfen könnte, die Selbstaufklärung der modernen Gesellschaft über diesen Prozess zu befördern? Es würde sich jedenfalls lohnen, darüber nachzudenken. Vielleicht hat das Institut auch schon vieles dazu beigetragen, ohne sich davon Rechenschaft zu geben. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen: im
Kronprinzenpalais erschienen im C.H.
Beck Verlag
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