Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus
Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum
(DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015
Die
Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM
Auschwitz als Fabelgeschichte?
Art Spiegelman: Maus. Die Geschichte eines Überlebenden.
Über den Autor von "Maus"
Art Spiegelmann ist der Sohn zweier Überlebender der Shoah.
Er kam 1948 in Stockholm zur Welt und emigrierte mit seinen Eltern
wenige Jahre nach seiner Geburt in die USA. Neben seiner Arbeit
als Comic-Zeichner war Spiegelman u.a. als Illustrator für
diverse regelmäßig erscheinende Magazine tätig.
Zur Zeit arbeitet er zusammen mit dem Komponisten Phillip Johnston
an der Umsetzung einer Oper mit dem Titel "Drawn to Death:
Three Panel Opera".
Die Comic-Geschichte "Maus" ist sein berühmtestes
und erfolgreichstes Werk. 1989 erschien der erste Band in den USA
und 1991 folgte der zweite. Beide wurden Bestseller und Spiegelman
erhielt 1992 für seinen Comic den Pulitzer-Preis.
Zum Inhalt von "Maus"
"Maus" erzählt eigentlich zwei Geschichten. Die erste
schildert die schwierige Beziehung zwischen Spiegelman und seinem
Vater Wladek. Spiegelman zeichnet dabei ein sehr nahegehendes Bild
seines gebrochenen und verbitterten Vaters nach dem Selbstmord seiner
Mutter. Vor diesem Hintergrund fragt Spiegelman seinen Vater nach
der Zeit vor dessen Emigration in die USA. An diesem Punkt beginnt
die zweite Geschichte, die des polnischen Juden und Holocaust-Überlebenden
Wladek Spiegelman. "Maus" springt immer wieder zwischen
diesen beiden Erzählebenen hin und her und stellt dadurch eine
Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her.
Wie der Titel des Comics bereits andeutet werden die Menschen in
dieser Geschichte als Tiere gezeichnet. Polen werden als Schweine
dargestellt, US-Amerikaner als Hunde, Deutsche als Katzen und Juden
als Mäuse. Man kann sagen, dass "Maus" eigentlich
eine Fabelgeschichte in Comic-Form ist.
Der erste Band von "Maus" trägt den Titel "Mein
Vater kotzt Geschichte aus" und beginnt im Polen der 30er Jahre
des letzten Jahrhunderts. Der Autor schildert die zentralen Lebensabschnitte
seines Vaters und erzählt von den ersten Jahren der Familie
Spiegelman im polnischen Sosnowitz. Mit dem Überfall Deutschlands
auf Polen 1939 beginnt Wladeks eigentlicher Leidensweg. Er wird
in die polnische Armee einberufen und kommt bald in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Wladek kann seiner bevorstehenden Erschiessung entkommen und zu
seiner Familie nach Sosnowitz fliehen, das mittlerweile im von Deutschland
annektierten Teil Polens liegt. Hier erlebt er die Zwangsumsiedlung
ins Ghetto, die Selektionen, Greueltaten und Morde durch die Nazis
mit. Wladek und seine Frau können der Räumung des Ghettos
und den Deportationen entfliehen, werden aber schließlich
auf ihrer Flucht nach Ungarn denunziert. 1944 werden beide getrennt
und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht.
Hier setzt der zweite Band des Comics mit dem Titel "Und hier
begann mein Unglück" an. Er schildert das Überleben
Wladeks in Auschwitz. Spiegelman erzählt von dem alltäglichen
Terror und der Gewalt der SS, dem Hunger und dem Typhus, den Vergasungen
und dem Verbrennen der Ermordeten im Krematorium. Aber er erzählt
auch von den zahlreichen kleinen Versuchen und Strategien der Inhaftierten
zu überleben. Als 1945 das Ende des Krieges bereits abzusehen
ist und die Rote Armee immer weiter nach Westen vorrückt, wird
das KZ Auschwitz aufgelöst. Zusammen mit weiteren Gefangenen
wird Wladek über Groß-Rosen bei Breslau in das KZ Dachau
deportiert. Von dort wird er an die deutsch-schweizerische Grenze
gebracht, wo er und andere seiner Mithäftlinge gegen deutsche
Kriegsgefangene ausgetauscht werden sollen. Der Vormarsch der US-Amerikaner
in Süddeutschland zwingt ihre deutschen Bewacher jedoch zur
Flucht und führt Wladek in die Freiheit. Nach dem Kriegsende
kehrt er nach Sosnowitz zurück, findet dort seine Frau wieder,
die Auschwitz ebenfalls überlebt hat, und beide emigrieren
nach Schweden und von dort schließlich in die USA.
Fast die gesamte Familie der Spiegelmans stirbt durch den Holocaust,
unter ihnen auch der ältere Bruder Art Spiegelmans.
Einige Gedanken zu "Maus"
"Maus" versucht nicht die gesamte Geschichte der Vernichtung
der europäischen Juden zu erzählen, sondern eine der vielen
kleinen Geschichten, welche die Überlebenden der Shoah berichten
können. Es ist ein erstaunliches biographisches Dokument über
den Holocaust und die Auswirkungen und Traumata, die die Shoah in
Wladeks späterem Leben und dem seiner Familie hinterlassen
hat.
Natürlich muss man sich die Frage stellen, ob das Medium "Comic"
für das Thema "Holocaust" überhaupt geeignet
ist, ob populärkulturelle Produkte sich der Shoah überhaupt
angemessen annähern können. Doch diese Frage wird letztlich
nie zu beantworten sein. Generelle Antworten werden sich darauf
nicht finden lassen. Stattdessen sollte man sich von Fall zu Fall
diese Frage neu stellen. Meines Erachtens findet "Maus"
einen angemessenen Umgang mit dem Thema. Das mag vielleicht daran
liegen, dass es sich hier weniger um einen Comic im üblichen
Sinn mit dem Fokus auf der Bebilderung handelt. Die Zeichnungen
haben eher die Wirkung von Illustrationen. Im Vordergrund steht
der sehr dicht geschriebene Text der Erzählung Wladeks. "Maus"
ist deshalb nicht einfach als "leichte Kost" abzutun,
wie das das Genre "Comic" vielleicht suggerieren mag.
Selbstverständlich ist auch in Spiegelmans Geschichte das Problem
der angemessenen Bebilderung des unvorstellbaren Grauens der Shoah
nicht gelöst. Er selbst spricht dieses Problem im zweiten Band
des Comics an. Das ist mit Sicherheit auch einer der Gründe,
warum er die Personen in seinem Comic nicht als Menschen, sondern
als Tiere gezeichnet hat. Dadurch geht er nicht einfach über
dieses Problem hinweg, sondern stellt es ins Zentrum seiner Geschichte
und findet so einen Umgang damit.
"Maus" ist ein sehr anspruchsvoller Comic, der sowohl
den Holocaust aus der Sicht eines Überlebenden thematisiert,
als auch seine Erinnerung bei den Nachfahren. Dabei wird dem Leser
genug Raum für eigene Überlegungen gegeben. Zu empfehlen
ist "Maus" für Jugendliche ab 16 Jahren.
Christian Schmidt
SPIEGELMAN, Art, Maus. Die Geschichte eines
Überlebenden. Mein Vater kotzt Geschichte aus (Band 1), Reinbek
1999, 19,90 DM
SPIEGELMAN, Art, Maus. Die Geschichte eines Überlebenden. Und
hier begann mein Unglück (Band 2), Reinbek 1999, 19,90 DM
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