Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015

 

Die Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM

 

Gudrun Pausewang: Reise im August

Der Jugendroman "Reise im August" erzählt aus der Sicht der elfjährigen Alice Dubsky die Geschichte ihrer Deportation im Viehwaggon nach Auschwitz. Neunundvierzig Menschen mit unterschiedlicher Vergangenheit, Lebensart und religiöser Überzeugung versuchen auf dieser Fahrt einen letzten Rest ihrer Würde zu behalten. Doch im Laufe ihrer einen Tag und eine Nacht dauernden "Reise" werden die Kompromisse größer, die Schicksale beginnen sich zu gleichen und ein jeder muss am Leben des Anderen teilhaben. Die Nahrung und das Wasser werden knapp, die Luft immer schlechter. Ihr größtes gemeinsames Interesse gilt der notdürftig hergerichteten Toilette und einer niederkommenden jungen Frau.

Alice, die behütet und von der Realität ferngehalten aufgewachsen war, wird erst jetzt von der nur wenig älteren Rebecca im Waggon über die antisemitische Politik des "Dritten Reiches" aufgeklärt. Als ihr Großvater an einem Schwächeanfall stirbt, wird Alice von der Mutter der neuen Freundin aufgenommen. Alice beginnt rückblickend ihr Leben der vergangenen Jahre zu begreifen: Warum sie im Keller wohnen musste und weder zur Schule noch auf die Straße durfte; auch weshalb ihre Großeltern ihr sonderbare Geschichten über die von einem nächtlichen Zahnarzt-Besuch nicht zurück gekehrten Eltern erzählten. Und sie fängt an zu begreifen, wohin die vielen Verwandten und Bekannten ihrer Eltern "verreist" sind: Richtung Osten. Am Ende dieser Reise ist sie kein Kind mehr - und darf doch nicht erwachsen werden. Gemeinsam mit vielen anderen Frauen und Männern ihres Transportes wird sie vergast.

Die Autorin Gudrun Pausewang wurde 1928 in Böhmen geboren. Als sie siebzehn Jahre alt war, musste sie wegen der damaligen Vertreibungen von Deutschen mit der Familie ihre Heimat verlassen. Die Flucht endete in Hessen. Nach Abitur und Studium arbeitete sie viele Jahre als Lehrerin und Schulleiterin in Deutschland und Südamerika. Nach einem längeren Asienaufenthalt kam sie 1963 nach Deutschland zurück und schrieb zwei Jahre später ihr erstes Buch ("Der Weg nach Tongay"). Kurz darauf ging sie erneut nach Lateinamerika, von wo sie 1972 wieder nach Hessen zurückkehrte, um bis zu ihrer Pensionierung als Lehrerin zu arbeiten.

Pausewangs Bücher zeichnen sich durch ihre erbamungslose Konfrontation mit der (möglichen) Realität aus. In einem Jugendbuch zeichnet die Apokalypse eines Atomkrieges, in einem anderen die eines Reaktorunfalles so präzise und erbarmungslos nach, dass sich die Frage stellt, inwieweit ihre Bücher für Kinder und Jugendliche bestimmt sind. Ihr Werk wurde in der Vergangenheit oft mit Literaturpreisen gewürdigt, und auch aus dem Schulunterricht sind ihre Bücher nicht mehr wegzudenken. "Reise im August", das nicht auf eigenen Erlebnissen der Autorin beruht, wurde mit dem Züricher Jugendbuchpreis "La vache qui lit" ausgezeichnet.

"Reise im August" beschreibt den schauerlichen Weg nach Auschwitz mit den Augen eines elfjährigen Kindes, welches langsam sein Schicksal und die Welt zu verstehen beginnt. Mit Alice hat auch der Leser die Möglichkeit zu wachsen und die Bilder langsam zuzulassen. Dennoch sollte ein jugendlicher Leser über Vorkenntnisse zum behandelten Thema (der Judenverfolgung und ihrer Vernichtung im "Dritten Reich") verfügen sowie über eine gewisse Reife, um das Gelesene auf- und verarbeiten zu können. Auch wenn die Protagonistin erst elf Jahre alt ist, sollten meiner Meinung nach Jugendliche unter 13 Jahren das Buch noch nicht lesen. Doch auch bei älteren sollte für eventuelle Rückfragen ein kompetenter Ansprechpartner bereitstehen, der die Geschichte der Shoa, bei Nachfrage, altersgerecht näherbringen kann.


Gudrun Pausewang, Reise im August; Ravensburger Taschenbuch, 1995.


Katharina Rosenbaum

 

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