Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus
Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum
(DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015
Die
Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM
"STERNKINDER"
In ihrem Buch "Sternkinder"
beschreibt Clara Asscher-Pinkhof den Verlauf der Judenverfolgung
in den Niederlanden. Die Autorin schildert die Stationen des Leidensweges
jüdischer Kinder aus deren Perspektive: Die Stigmatisierung
durch den gelben Stern, den Ausschluß aus Kindergärten
und Schulen, das Leben im Ghetto und die Deportation in die Vernichtungslager.
Die "Sternkinder" bleiben stets anonym. Asscher-Pinkhof
gibt ihnen keine Namen. Es gibt keine durchgängige Hauptfigur.
Manchmal scheint es so, als tauche ein Kind, dass in einem früheren
Kapitel schon erzählte, wieder auf. Das bleibt allerdings eine
Vermutung. Auch konkrete historische Angaben fehlen häufig,
werden nur angedeutet oder lassen sich nur durch die Schilderungen
rekonstruieren. Die einzelnen Abschnitte des Buches bauen zeitlich
aufeinander auf.
Leben in der zweiten Reihe
Der Abschnitt "Sternstadt" widmet sich zunächst dem
Leben in den "Judenvierteln" der Stadt Amsterdam. Die
Juden durften nur in den gekennzeichneten Gebieten wohnen. Ihr Alltag
war durch viele Reglementierungen geprägt, wie z.B. Ausgangssperre
oder Einkaufsverbot in nichtjüdischen Geschäften. Das
Tragen des Judensterns war Pflicht. Zunächst erscheint der
Stern für die Kinder wie eine Auszeichnung. Sie erleben aber
schon bald, daß dem nicht so ist. Verhaftungen, Abtransport,
Selbstmord und Denunziationen bleiben auch den Kinderaugen nicht
verborgen. Nach und nach werden die Juden in den Vierteln verhaftet
und zunächst in ein ehemaliges Theater gebracht: Das "Sternhaus",
wie es Asscher-Pinkhof nennt. Hier heißt es abzuwarten, was
weiter geschieht. Nicht alle Menschen im "Sternhaus" sehen
die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Manche von ihnen hoffen auf
ein Wunder -die Weiterfahrt nach Palästina. Nur für wenige
gibt es eine Möglichkeit dem "Sternhaus" und dem
Abtransport noch einmal zu entfliehen. Dann ergeht jedoch der Befehl,
daß alle Juden aus Amsterdam abtransportiert werden müssen.
Die Juden werden in das Durchgangslager Westerbork transportiert,
in die "Sternwüste". Es ist ein niederträchtiges,
abscheuliches Leben ohne Intimsphäre. Enge, Ekel, Hunger und
Verzweiflung bestimmen das Leben in den Baracken, in denen Frauen
und Männer in getrennten Bereichen leben. Die panische Angst
vor "dem Montag" begleitet die Menschen die ganze Zeit.
Denn Montags kommt ein Zug ins Lager Westerbork, um immer neue Menschenmassen
ins Konzentrationslager Bergen-Belsen zu bringen.
Das Ende?
In der "Sternhölle" verschärft sich die Lage
der Juden unter den unerträglichen Lebensbedingungen weiter.
Und doch haben selbst die jüdischen Feste nach wie vor ihren
Platz und werden auch im Lager gefeiert. Die jüdische Geschichte
von Unterdrückung und Befreiung und der Glaube an Gott geben
Kraft und Hoffnung. "Sternkinder lernen keine Geschichte, sie
leben sie. Wenn sie nicht an die Befreiung glaubten, wäre ihre
Geschichte längst zu Ende und hätte einen traurigen Schluß!
Ihre Geschichte ist nicht zu Ende, noch lange nicht." Im Konzentrationslager
Bergen-Belsen sind Tausende von Juden umgekommen bzw. umgebracht
worden, aber die Hoffnung auf Rettung hat sich für einige "Auserwählte
Sterne" bestätigt. "Auserwählt" sind jene,
welche die sogenannten Palästina-Papiere besitzen. Diese ca.
250 jüdischen Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen
werden gegen deutsche Kriegsgefangene nach Palästina ausgetauscht.
So wie nur eine verschwindend kleine Zahl aus der Menge der jüdischen
Häftlinge auserwählt wird, so konzentriert sich Clara
Asscher-Pinkhof im letzten Abschnitt ihres Buches auf ein Mädchen,
das zu der Gruppe gehört und damit dem Tod entgeht. "Und
damit ist eigentlich die Geschichte von den Sternkindern zu Ende.
Sie sind keine Sternkinder mehr, sondern jüdische Kinder; sie
sind auf dem Wege in ihr eigenes Land und in die Freiheit. Und sie
lebten lange und glücklich, eine Hand voll Sternkinder, zufällig
ausgewählt aus den endlosen Scharen der anderen, die nicht
lange und nicht glücklich leben durften und denen Gott selbst
die Sterne abnahm, um sie als ewiges Zeugnis zwischen die anderen
Sterne am Himmel zu setzen." Positiv an diesem Werk ist die
schon erwähnte Erzählweise, denn die kindlichen, oft naiven
Fragen und Gedanken der jüdischen Kinder bieten dem jugendlichen
Leser von heute die Möglichkeit sich mit ihnen zu identifizieren
und die Frage "Warum konnte das geschehen?" besser zu
verstehen. Da das Buch nur andeutungsweise historische Informationen
vermittelt, ist einschränkend zu bemerken, daß Grundkenntnisse
über die Zeit des Dritten Reiches bei den Lesern vorhanden
sein sollten.
Denis Pulß
ASSCHER-PINKHOFF, Clara, Sternkinder, Oetinger
Verlag, Hamburg 1998, Preis: 7,50 EUR
C. Asscher-Pinkhof gehörte selbst zu der Gruppe von 250 Juden
in Bergen-Belsen, die im Juli 1944 gegen deutsche Kriegsgefangene
nach Palästina ausgetauscht wurden.
Zurück zur Übersicht
|