Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus
Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum
(DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015
Die
Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM
"Aktion T
4" - Erste Adresse der nationalsozialistischen Euthanasie
Die Fakten
Zwischen Januar 1940 und August 1941 wurden in sechs deutschen Heil-
und Pflegeanstalten 70.273 "Irre" und "Verrückte",
also Menschen mit geistiger Behinderung oder körperlichen Missbildungen,
aber auch "Asoziale" bzw. "sozial Entartete"
und Angehörige "nicht-arischer" Bevölkerungsgruppen,
getötet. Anlass dieser staatlich organisierten Tötungsaktion
war die sogenannte "Euthanasie", welche im Nationalsozialismus
für die Vernichtung von für lebensunwert erachtetem menschlichem
Leben stand. In Abgrenzung zu dieser Definition versteht die moderne
Medizin unter dem Begriff "Euthanasie" die Erleichterung
des Sterbens, z.B. durch Schmerzlinderung mit Narkotika, oder auch
die absichtliche Herbeiführung des Todes bei unheilbar Kranken
durch Medikamente oder durch Abbruch der Behandlung. So wurden Kranke,
Juden, Zigeuner und auch Künstler in die folgenden Anstalten
zwangseingewiesen und getötet:
Orte |
Zeitraum |
Zahl der Toten |
Bernburg an der Saale |
Januar 1940 - Dezember 1940 |
8.601 |
Brandenburg / Havel |
Februar 1940 - September 1940 |
9.772 |
Grafeneck / Württemberg |
Januar 1940 - Dezember 1940 |
9.839 |
Hadamar / Limburg |
Januar 1941 - August 1941 |
10.072 |
Hartheim / Linz |
Mai 1941 - August 1941 |
18.269 |
Sonnenstein / Pirna |
Juni 1940 - August 1941 |
13.720 |
Jede dieser Anstalten verfügte über eine
Gaskammer, in der die meisten Opfer ermordet wurden. In den ebenfalls
angeschlossenen Krematorien wurden die Leichen nach dem Tode wegen
angeblicher Seuchengefahr sofort verbrannt und die Überreste
in einer Urne den Heimatgemeinden übergeben. Das Verfahren
der Gaskammern wurde später in den großen Vernichtungslagern
wie z.B. Auschwitz übernommen. Die Dienststelle der Aktion
T 4 stellte 1942 mehr als 100 Mitarbeiter für Bau und Planung
der Konzentrationslager zur Verfügung. So kam auch der erste
Kommandant des KZ Treblinka aus dem Umfeld von T 4 und wurde noch
von dort entlohnt.
Die Villa
Der Deckname "Aktion T 4" bezieht sich auf die Adresse
des Dienstsitzes der organisierenden Behörde: Tiergartenstr.
4 in Berlin. Das Gebäude, eine Stadtvilla mit Büros, war
"arisiert" worden und bot seit April 1940 Platz für
ca. 100 Angestellte. Die Tiergartenstraße 4 wurde Sitz zunächst
dreier Tarnorganisationen: Die "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil-
und Pflegeanstalten" (RAG) übernahm die medizinischen
Bereiche, wie z.B. das Gutachterverfahren bei der Auswahl der einzuweisenden
Personen; die "Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege"
war für die etwa 300 bis 400 Arbeitsverträge der Angestellten,
die Kauf- und Pachtverträge sowie die Kostenverrechnung mit
Krankenkassen und Fürsorgeverbänden zuständig; die
"Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft GmbH"
(Gekrat) kümmerte sich um Organisation und Durchführung
der Krankentransporte. Die eigentliche Dienstleitstelle, die "Kanzlei
des Führers" (KdF), sollte mit der Aktion nicht in Verbindung
gebracht werden. Hitler entschied sich aus innen- und außenpolitischen
Erwägungen für eine Einstufung als "Geheime Reichssache".
Eine Rechtsgrundlage für die "Aktion T4" gab es somit
nicht, lediglich ein Schreiben vom Oktober 1939, welches auf den
1. September 1939 rückdatiert wurde. Hierin beauftragt Hitler
die Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt, "die Befugnisse
namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß
nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung
ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann".
Somit war die Tötung der Anstaltsinsassen auch nach nationalsozialistischer
Rechtssprechung illegal! Am 24. August 1941 wurde die erste, geplante
Phase dieser Euthanasie gestoppt, nachdem das "Planziel"
von 70.000 Toten um 273 überschritten war. Dies war jedoch
nicht das Ende der Morde. Vielmehr wurden in den Kliniken auch ohne
staatliche Koordination bis Kriegsende weiter getötet.
Der Widerstand
Am 3. August 1941 hatte der katholische Bischof von Münster,
Clemens August Graf von Galen, von der Kanzel herab die Tötungsaktionen
verdammt und bereits Ende Juli Strafanzeige gegen die mutmaßlichen
Täter erstattet. Ruchbar geworden waren die Morde, als immer
häufiger Psychiatrie-Patienten plötzlich verlegt wurden
und die Angehörigen bald darauf die Nachricht vom Tod der Kranken
erhielten, samt der Aufforderung, eine Adresse anzugeben, an welche
die Asche der Verstorbenen übersandt werden sollte. Doch blieb
der Widerstand insgesamt relativ erfolglos, er kann lediglich als
Sand im mörderischen Getriebe der Nationalsozialisten gesehen
werden.
Die Tiergartenstr. 4 heute
Die Tiergartenstr. 4 ist heute ein unscheinbarer Ort. Die Villa
wurde gegen Kriegsende zerbombt und nicht wieder aufgebaut. Besucher
der Philharmonie wandeln heute über den Vorplatz, fast ohne
Anzeichen der geschichtlichen Bedeutung des Ortes zu Gesicht zu
bekommen. Lediglich eine verwitterte, kaum lesbare Gedenktafel erinnert
der Opfer. Allerdings gibt es seit einigen Jahren Planungen einer
größer angelegten Gedenkstätte, welche neben der
Dokumentation der Aktion T 4 auch eine Galerie mit Bildern der getöteten
Künstler beinhalten soll.
Thorsten Petzold
Büchertipps
Zu dieser Thematik sind einige Bücher erschienen, die einen
umfassenden Einblick in die Aktion T 4 wie auch zur NS-Euthanasie
gewähren. Exemplarisch seien hierfür drei Werke genannt:
GÖTZ, Aly, Aktion T4 - Die Euthanasie-Zentrale
in der Tiergartenstr. 4, Berlin 1989
GREVE, Michael, Die organisierte Vernichtung "lebensunwerten
Lebens" im Rahmen der "Aktion T4" : dargestellt am
Beispiel des Wirkens und der strafrechtlichen Verfolgung ausgewählter
NS-Tötungsärzte, Pfaffenweiler 1998
KLEE, Ernst, Euthanasie im NS-Staat - Die Vernichtung "lebensunwerten
Lebens", Frankfurt 1986
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