Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015

 

Die Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM

 

Der Bahnhof Grunewald
Die Deportation der Juden aus Berlin (1941-1945)


Der Bahnhof Grunewald liegt in Berlin fernab von der Großstadthektik im Villenviertel Wilmersdorf, eine der besten Wohnadressen Berlins. Der heute nur als S-Bahn- Haltestelle genutzte Bahnhof fand früher vor allem als Güterbahnhof Verwendung. Im Zeitraum von 1941-1945 wurden von eben jenem Bahnhof Zehntausende Berliner Juden in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet.
Dieser Bahnhof war aus der Sicht der Täter besonders geeignet für die Deportation der Berliner Juden. Zum einen lag er nicht im Innenstadtbereich, die Deportationen fanden demnach nicht vor einer breiten Öffentlichkeit statt. Zum anderen war er als Güterbahnhof mit guten Verkehrsanbindungen ausgestattet, so dass von hier aus die Deportationen problemlos und schnell abgewickelt werden konnten.
Die Juden wie auch die deutsche Öffentlichkeit ließ man vor allem in der Anfangszeit in dem Glauben, dass die Juden nur in den Osten "umgesiedelt" würden. Mit der zahlenmäßigen Zunahme der Transporte war eine Geheimhaltung jedoch nicht mehr möglich. Nicht selten mussten Kolonnen von Juden bis zum Bahnhof Grunewald quer durch die Stadt laufen, also vor den Augen der Berliner Bevölkerung.
Der erste "Sonderzug" (so der damalige Fachjargon für die Züge, in denen die Juden aus dem Reich geschafft wurden) verliess am 18.10.1941 den Güterbahnhof Grunewald mit 1251 Juden. Mit dem 18.10.1941 begann die systematische Deportation der Juden aus Berlin. Berlin sollte "judenfrei" (so Joseph Goebbels, Gauleiter Berlins und Propagandaminister) gemacht werden. Die "Sonderzüge" mit den Berliner Juden fuhren von Oktober 1941 bis Frühjahr 1945 meist wöchentlich oder zeitweise auch täglich Richtung Osten. Allein vom Bahnhof Grunewald wurden in diesem Zeitraum über 50000 Juden deportiert.
Vom Oktober 1941 bis zum April 1942 wurden die Juden in die Ghettos Lodz, Minsk, Riga und ins Warschauer Ghetto transportiert. Einige der Transporte dorthin endeten damit, dass die Juden am Bestimmungsort durch Massenerschiessungen umgebracht wurden, wie beispielsweise die 1035 Juden, die den Bahnhof Grunewald am 27.11.1941 verliessen und am Zielort Riga direkt hingerichtet wurden.
Ältere Juden, jüdische Veteranen des Ersten Weltkrieges oder auch prominente Juden wurden ab Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert. Von nun an rollten die Züge beinah täglich mit jeweils 50 oder 100 Berliner Juden in das Altersghetto Theresienstadt.
Ende des Jahres 1942 fuhren die Züge nur noch in das Vernichtungslager Auschwitz oder nach Theresienstadt. Vom Bahnhof Grunewald fuhren etwa 35 Züge mit 17000 Juden nach Auschwitz.
Die Deutsche Reichsbahn trifft eine Mitschuld an der Massenvernichtung der europäischen Juden. Ohne die Mithilfe der Reichsbahn wäre eine reichsweite Deportation der Juden in die Vernichtungsstätten des Ostens nicht so schnell und effizient möglich gewesen. Für die Reichsbahn war der Transport der Juden eine rein geschäftliche Angelegenheit. Die Reichsbahn erhielt für jeden Juden 4 Pfennig pro Kilometer und bei einem Transport, der über 400 Personen beförderte, wurde ein Gruppentarif gewährt.
Der Bahnhof Grunewald war nur einer von vielen Bahnhöfen, von dem aus die Juden aus dem Deutschen Reich und seinen besetzten Gebieten in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt worden sind.
Es stellt sich die Frage, was heute am Bahnhof Grunewald an die Zeit von 1941-1945 erinnert bzw. wie und wann sich der Bahnhof zu einer kleinen Gedenkstätte entwickelte.
Erst im Jahr 1987 wurde eine Bronzetafel am Bahnhof Grunewald angebracht, die an die deportierten Juden erinnert.
Der Berliner Senat initiierte und finanzierte 1991 ein Mahnmal, das sich rechts neben dem Eingang des Bahnhofs befindet. Es besteht aus einer Betonmauer, in welche Negativumrisse von menschlichen Körpern eingelassen sind, die für die "Auslöschung des Leibes" stehen, sowie stellvertretend für die grosse Anzahl von Juden, die von hier aus den Weg in die Vernichtungsstätten antreten mussten.
Im Jahr 1998 stiftete die Deutsche Bahn AG ein Mahnmal, das direkt auf dem Bahnsteig 17 des ehemaligen Güterbahnhofs liegt. Auf Gleisschwellen wird in chronologischer Reihenfolge -ausgehend vom ersten Transport am 18.10.1941 bis zum abschliessenden letzten Zug am 27.3.1945- jede einzelne Deportation aufgelistet.
Die Anzahl der deportierten Berliner Juden ist eine abstrakte Zahl., die wohl schon unser Vorstellungsvermögen sprengt. Aus diesem Grund ist die Aufzählung jedes einzelnen Transportes mit Datum, Anzahl der Juden und Ankunftsort sehr sinnvoll, da der Besucher erst beim Abschreiten der Gleise wirklich begreift, wie viele Transporte und wie viele Juden es gewesen sind. Durch dieses Begreifen wird ein emotionaler Zugang zu den Opfern ermöglicht.
Der Besucher der Gedenkstätte wird mit der ausweglosen Situation der Opfer konfrontiert. Dies geschieht zum einen gewiss durch die geschichtliche Realität des Ortes selbst und zum anderen durch die schlichte Symbolik der beiden Mahnmale.
Leider findet dieser Ort des Gedenkens in der Bevölkerung zu wenig Beachtung. Es wäre aber wichtig auf die Geschichte dieser Stätte aufmerksam zu machen und so dem Vergessen und der Normalität an diesem Bahnhof entgegenzutreten.


Literatur:
· Die Grunewald- Rampe. Die Deportation der Berliner Juden. Begleitmaterial zum Schulfernsehen. Hrsg.: Zentrum für audiovisuelle Medien/Landesbildstelle Berlin, Berlin 1993.
· Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1990.

 


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