Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015

 

Die Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM

 

Zerbrochene Kontinuität

Das Jüdische Museum Berlin in der Lindenstraße 9-14/Kreuzberg begrüßt seine Besucher schon von weitem durch seine metallisch glänzende Oberfläche die von schmalen, wie Risse oder Koordinatenkreuze wirkenden Fenstern durchbrochen ist. Seine schroffen Formen, die vielen spitzen und stumpfen Winkel verunsichern einige der Passanten, mit anderen Häusern ist es nicht vergleichbar. Das Gebäude verrät nicht viel über seinen Inhalt, eigentlich nur daß es besonders ist. Wie ein gefangenes Untier drängt es sich zwischen ein barockes Gebäude auf der einen, und etwas trostlose Wohnblocks auf der anderen Seite.
Der seit Jahren umstrittene Bau ist das Werk des in Berlin lebenden Architekten Daniel Libeskind. Er beherbergt das Jüdische Museum Berlin, das nach vielen Verzögerungen im September 2001 eröffnet werden konnte.

Die Architektur des Gebäudes widerspricht der traditionellen Auffassung von Museumsräumen, die neutralen Behältern gleichen und erst vom Inhalt zum Leben erweckt werden können. Den einzelnen Bauelementen sind eindeutige historische Gehalte eingeschrieben; z.B. sind die im Untergeschoss befindlichen Gänge, die Achse des Exils und die Achse der Vernichtung durch ihren Abschluß im Garten des Exils bzw. dem Holocaust Turm, vom Architekten Libeskind inhaltlich vorherbestimmt. Um den inhaltlichen Gehalt der Architektur zu nutzen, muß das Ausstellungskonzept mit den baulichen Vorgaben Libeskinds arbeiten. Architektur und Ausstellungskonzept wurden zeitlich versetzt und voneinander unabhängig entworfen, lange sorgten sich die Feuilletons und die Fachwelt um die Zweckmäßigkeit des abstrakten Gebäudes.
Dem Libeskind-Bau wird eine Denkmals- oder Mahnmalsfunktion zugeschrieben. Im Architekturwettbewerb zum Holocaust-Mahnmal in Berlin reichte auch Daniel Libeskind einen Vorschlag ein, um zu verdeutlichen, daß das Museum kein Mahnmal sei, sondern ein "urbaner Ort öffentlichen Bewußtseins"; damit unterstreicht er den interaktiven und lebendigen Charakter der Ausstellung.

Das Jüdische Museum versteht sich als Familienmuseum. Vielfältige Angebote laden gerade auch Kinder dazu ein, das Museum als spannenden Ort zu begreifen, der eigenen Entdeckungen Raum gibt. Abwechslungsreiche Gestaltung der Ausstellung und anschauliche Objekte unterstreichen den Charakter des Museums als Lernort für alle Besucher.
Liebevoll ausgewählte Zeugnisse deutsch-jüdischen Lebens stehen neben den Lebensläufen bedeutender jüdischer Persönlichkeiten wie z.B. Wissenschaftlern, Künstlern oder Politikern. Den Besuchern bieten sich verschiedenste Multimedia-Angebote, um weitergehende Interessen zu befriedigen kann man sich nach dem Ausstellungsbesuch im Rafael Roth Learning Center über einzelne Objekte oder komplexere Zusammenhänge umfassend informieren. Gerade diese multimediale Verspieltheit wird nicht nur von deutschen Museumsbesuchern als oberflächlich kritisiert.
Die Ausstellung mündet nicht zwangsläufig in der Dramatik des Holocaust sondern reicht bis in die Gegenwart hinein, es werden Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen hergestellt. Wer in der Ausstellung über weltweite Prozesse der Migration und deren Auswirkungen auf Deutschlands nachdenkt, der wird die deutsch-jüdische Geschichte kaum als abgeschlossen und vergessen sehen können.
Das inhaltliche Programm der Ausstellung ist sehr weit gefaßt. Die Ausstellung erzählt zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte. Gerade das jüdische Alltagsleben findet in der Ausstellung besondere Beachtung. Der Nationalsozialismus ist zwar Teil der Ausstellung, wird aber vielfach aus der jüdischen Perspektive vermittelt, damit entsprechen die Juden nicht mehr der ihnen zugeschriebenen Rolle als passive Opfer.
Ausdrücklich widmet sich das Museum der Darstellung der deutsch-jüdischen Symbiose in Zeiten des fruchtbaren Miteinanders. Die deutsche und die jüdische Geschichte werden als Einheit verstanden, als weitgehende Integration, als Normalität. Gerade die Verbindungen zur Berliner Stadtgeschichte werden hier besonders deutlich gemacht.
Daneben blendet das Museum aber auch die schon sehr alten Traditionen der Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Bevölkerungsanteile in Deutschland nicht aus. Der Darstellung der positiven wie der negativen Kontinuitäten in der deutsch-jüdischen Geschichte wird viel Raum gegeben.

Diese Kontinuitäten werden durch die baulichen Elemente der "Voids" (Leere) im Verlauf der Ausstellung immer wieder unterbrochen. Tatsächlich tritt an dieser Stelle die in der Ausstellung betonte Kontinuität der deutsch-jüdischen Geschichte in Konkurrenz zu architektonisch vorherbestimmten Aussagen.
Voids sind fünf schwarz markierte, in sich geschlossene Bauelemente die das Gebäude senkrecht zerschneiden Der größte Void ist der Holocaust Turm, am Ende der Achse der Vernichtung. Als Void entspricht der Charakter des Turms dem eines Mahnmals. "Im Holocaust Turm sind wir isoliert, zwar können wir Geräusche hören und Licht sehen, doch wir sind abgeschnitten vom Leben draußen und von einer Sicht auf die Stadt. So erinnert der Holocaust Turm an all die Menschen die während der Deportation und in den Konzentrationslagern eingesperrt waren."
Libeskind versucht in den Voids die Abwesenheit und den Verlust zu verkörpern, den die Vernichtung der europäischen Juden im Holocaust in der deutschen und europäischen Gesellschaft hinterlassen hat.
Es ist wie eine Andeutung des Unausgesprochenen, eine Darstellung der entstandenen Leere, es ist auch ein mythischer Rest, der übrig bleibt, wenn man nach rationalen Erklärungen der Vernichtung der europäischen Juden sucht.
So als könne man die Frage nach dem "warum" der Vernichtung nie beantworten.
Ist es das Ende der Geschichte?
Der Widerstreit dieser beiden Elemente prägt sich dem Besucher ein, Kontinuität und Normalität einerseits und Brüche und Leere andererseits.
Diese Problemstellung ist aber keineswegs widersinnig, über der Geschichte der Juden in Deutschland liegt der irrationale Schatten des Holocaust. Die Vernichtung der europäischen Juden aus der Geschichte des jüdischen Volkes auszublenden ist aus heutiger Sicht schlicht nicht denkbar. Genauso fatal wäre es allerdings, deutsch-jüdische Geschichte auf die Geschichte des Holocaust zu reduzieren und damit eine Geschichte der Verfolgung zu schreiben.

Sandra Starke

Literatur zum Weiterlesen:
Libeskind, Daniel: Jüdisches Museum Berlin, Berlin 1999.
Geschichte einer Ausstellung, Jüdisches Museum Berlin (Katalog), Berlin 2001.


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