Erich Kästner zum 100. Geburtstag. |
Als junger Mann träumte
er davon, eines der Kavaliershäuschen in Dresdens Großem Garten zu bewohnen. Für den
Fall, daß er als Sohn der Stadt Berühmtheit erlangen würde, wünschte er es sich vom
Bürgermeister geschenkt. Dann würde er mit seiner Bibliothek dort einziehen, um ein
beschauliches Dasein zwischen Caféhaus und Büchern, Blumen und
Tieren, allein im menschenleeren Park zu führen..... Nichts von dieser Geschichte ist wahr geworden. Aber die Vision vom guten Leben hat sich Erich Kästner erfüllt - im Erfinden von Geschichten und in der Wirklichkeit. Beschaulich ging es dabei allerdings selten zu. Am 23. Februar 1999 jährt sich der 100. Geburtstag des Schriftstellers, dem die erste Ausstellung des Deutschen Historischen Museums im Kronprinzenpalais während der Umbauzeit des Zeughauses gewidmet ist. Sie erzählt die ebenso ungewöhnliche wie typische Geschichte des Kleinen Mannes in großer Zeit" und befragt sein Leben, das untrennbar mit dem seiner literarischen Figuren verbunden ist. Aus seiner Heimatstadt Dresden kommend, zieht es den jungen Mann für seine journalistischen Lehrjahre nach Leipzig. Aber erst Berlin wird die Stadt seiner Inspiration: Hier erlebt er die Welt als "Kino" oder "Drehbühne" und charakterisiert sich selbst als "Zuschauer im Welttheater". Mit Emil und die Detektive und Pünktchen und Anton schreibt sich Kästner in die Herzen der Großstädter und findet in dem Illustrator Walter Trier seinen kongenialen Partner. Erich Kästner gilt in seiner Zeit als Kenner der Hochkultur und ist zugleich ein Verfechter der Unterhaltungsliteratur. Er schreibt Romane und verfaßt Epigramme, ist Journalist und Lyriker, Lieferant für Kabarettnummern und Drehbuchautor für Kinofilme, Redner und Selbstdarsteller. Er ist der geborene Provinzler und der überzeugte Großstädter, der Beobachter des lasterhaften Berlin" und der Anwalt der kleinen Leute. Er ist Kinderfreund und Junggeselle, Pessimist und Lebenskünstler, sentimentaler Ironiker und Chronist der aufstiegsbesessenen Angestellten. Aber als selbsternannter Moralist leidet er unter inneren Widersprüchen: Obwohl ein gegenüber dem Nationalsozialismus resistenter Bürger, arrangiert er sich und verfolgt seine Karriere unter den gegebenen politischen Verhältnissen weiter. Seinen Ruf als Volksschriftsteller errang Kästner
schließlich an seinem letzten Wohnsitz in München. Mit der Verleihung des
Büchner-Preises 1957 wurde er zum Klassiker der deutschsprachigen Literatur - ein
Klassiker, der bis heute nichts von seiner Popularität eingebüßt hat. Kästners literarisches Paradigma war die Sicht auf den Kleinen Mann in großer Zeit", dem er Stimme und Gestalt verlieh und den er selbst verkörperte. Im Sinne einer transfigurierten Autobiographie" [Hermann Kesten] prägte der Bürgerschreck und erschreckte Kleinbürger" [Alfred Neumann] einen neuen deutschen Habitus: den modernen kleinen Mann" mit Stil und selbstbewußtem Witz, mit Herz aber ohne Illusionen, ein Zivilist ohne Weichlichkeit. Das ist viel weniger trivial als es klingen mag, denn dieses Konzept verschmilzt bislang Unvereinbares zu einem ausstrahlungskräftigen Bild. Der Kästnersche Habitus baut auf den Einzelgänger, der sich zugleich als repräsentativer Typ eines jungen und besseren Deutschland versteht. Er ist der elitäre Misanthrop mit demokratischen Überzeugungen, dessen Bereitschaft zu politischem Engagement sich gerade im Widerspruch zu aufopferndem Parteigängertum entfaltet und immer den Zivilisten hervorhebt.. Im Durchgang soll deutlich werden, welche literarischen Selbst-und Weltbilder dem Leser von Kästner zum Gebrauch angeboten werden. Fünf thematische Großräume spiegeln wesentliche Etappen der
Lebensgeschichte und der parallel hierzu stattfindenden schriftstellerischen Motivfindung
wider. Unterstationen innerhalb der Großräume bilden die topographische und
geistige" Welt modellhaft nach, die Kästners Schriften leitmotivisch
entwerfen: z.B. die bürgerliche Gute Stube als Ort und als Prinzip und der Salon als
semi-öffentlicher Treffpunkt der geistigen Elite; die kabaretthafte Weltbühne Berlin aus
der Perspektive des Journalisten und Caféhausliteraten; die doppeldeutige Figur des
Lebenswirbels", den nur die Großstadt zum Genuß und zur Qual für den
Gebrauchslyriker und Moralisten Kästner bereithält; das verlockende gläserne und
zugleich asphaltene Trottoire der Metropole und die Welt als Grandhotel
Abgrund". Zuletzt begegnet man dem desillusionierten
Autor im seinem Schwabinger Exil in München.
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Daten der Ausstellung:
Deutsches Historisches Museum Berlin: 24.2.1999 -
1.6.1999
Münchner Stadtmuseum: 2.7.1999 - 26.9. 1999
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog
mit 15 Beiträgen, ca. 380 s/w Abbildungen und einer farbig illustrierten Bibliographie
der selbständigen Erstausgaben Erich Kästners zum Preis von DM 42,--.