HARTMUT BOOCKMANN
Lebensgefühl und Repräsentationsstil
der Oberschicht in den deutschen Städten um 1500
Anmerkung
Die vier großen figurenreichen Gemälde,
die im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen, haben etwas von Vexierbildern.
Auf den ersten Blick erscheinen sie als so anschaulich, wie man nur denken
kann. Hat hier nicht das Leben selbst einen Abdruck hinterlassen? Muß
es nicht so gewesen sein, wenn im Augsburger Januar des 16. Jahrhunderts
ein Festmahl
veranstaltet, wenn im Februar
und März in der Stadt turniert wurde, wenn die Monate des Frühlings
und des frühen Sommers mit ländlichen
Vergnügungen gefüllt, wenn im Juli, August und September
die Ernte des Getreides
und des Weins als ein Schauspiel genossen wurde, wenn man im Oktober
die Tiere schlachtete und sich im folgenden Monat mit Schlittenfahrten
unterhielt und wenn im Dezember schließlich feierlich gekleidete
Ratsherren
das Rathaus der Stadt verließen?
Oder verträgt sich das eine schlecht mit dem anderen?
Was haben die Ratsherren mit der Badegesellschaft
zu tun, die man auf dem Mai-Bild sieht? Werden auf diesen Bildern etwa
Ernst und Spiel gegenübergestellt, erfährt man also etwas über
die Breite des Lebens derer, die da im Dezember aus dem Rathaus kommen?
Oder sind die den Monaten zugeordneten Tätigkeiten oder jedenfalls
die Darstellungen der vier Jahreszeiten Allegorien, die uns mit ihrer Anschaulichkeit
täuschen, die Wirklichkeitsnähe vorgeben, tatsächlich
aber etwas völlig anderes meinen?
All das ist nicht nur möglich. Es schließt
sich auch nicht aus. Gewiß bilden diese Darstellungen nicht Wirklichkeit
unmittelbar ab. Aber sie geben doch in ihrer Entstehungszeit und an ihrem
Entstehungsort angesiedelte Szenen, um mitzuteilen, was sie mitteilen wollen.
Kleider, wie man sie hier sieht, wurden im Augsburg des 16. Jahrhunderts
tatsächlich getragen. Ein Turnier
sah damals so aus, wie man es hier erblicken kann, und die Lokalitäten
jedenfalls auf dem letzten Bild sollen die Augsburger sein, und sie sind
es auch.
Doch damit ist offensichtlich nicht erschöpft, was
diese Bilder mitteilen wollen. Oberhalb dessen, was uns heute als kulturgeschichtlich
reizvoll erscheint, uns also zum Beispiel darüber unterrichtet,
wie die Ratsherren einer großen Stadt gekleidet waren, wenn
sie an einer Ratssitzung teilnahmen, hat man es hier offensichtlich
noch mit einer anderen Bedeutungsschicht zu tun. Die im Vordergrund der
Bilder dargestellten Szenen - und in wohl geringerem Grade auch
die reichen Szenarien, die sich einer genaueren Betrachtung der Bildhintergründe
erschließen - stehen in jahrhundertealten ikonographischen Traditionen,
sie fügen sich namentlich dem Darstellungstypus "Monatsbilder"
ein.
Doch was könnte das heißen? Hat der
Auftraggeber den Maler veranlaßt, Augsburger Wirklichkeit des 16.
Jahrhunderts so umzuformen, daß sie sich in diese Bildtradition
einfügen ließ, oder kann man den Maler selbst für das verantwortlich
machen, was man hier sieht? Oder hatte sich womöglich die Realität
selbst, also zum Beispiel das festliche Verhalten derer, die man
auf den Bildern sehen kann, dieser Darstellungstradition schon angepaßt?
Führten im 16. Jahrhundert die reichen und mächtigen Augsburger
in der Wirklichkeit sozusagen Monatsbilder auf?
All diese Fragen lassen sich nicht beantworten. Als gewiß
darf man nur annehmen, daß wir es hier mit einer Auftragskunst zu
tun haben - wie damals üblich, ja vielleicht noch in höherem
Maße als sonst. Diejenigen, die bis zur Reformation Altarbilder oder
Epitaphien in Auftrag gaben, waren vermutlich nicht an allen Details der
Darstellung interessiert gewesen. Die Maler hatten in Grenzen selbständig
verfahren können, und die kenntnisreicheren Auftraggeber, die an Qualität
interessiert waren, dürften um 1500 gewußt haben, daß
sie die Maler und Bildschnitzer nicht in jeder Einzelheit festlegen durften.
Bei den vier Augsburger Jahreszeitenbildern dürfte
das anders gewesen sein - vor allem deshalb, weil die Maler nun, nachdem
die Aufträge, welche auf Kirchenausstattungen zielten, infolge der
Reformation weggefallen waren, in einer schwierigen Situation waren. Wir
kennen aus dem gleichzeitigen Nürnberg die Klage der jetzt arbeitslosen
Künstler. Um 1530 dürfte ein deutscher Maler von seinem Auftraggeber
abhängiger gewesen sein als drei Jahrzehnte zuvor.
Umgekehrt hatte ein Auftraggeber nun weiterreichende Möglichkeiten
als in den Jahrzehnten, da fast alle aufwendigen Arbeiten der Maler und
Bildschnitzer für das Innere von Kirchen bestimmt waren. Daß
die vier Augsburger Bilder, wie immer man sie zu datieren hat, jedenfalls
erst gemalt worden sind, als der traditionelle Markt der Maler zusammengebrochen
war, dürfte kein Zufall sein. Vor dem Zusammenbruch dieses Marktes
wären diese Bilder für einen sehr reichen Augsburger gewiß
nicht unbezahlbar gewesen, aber sie wären doch wohl beträchtlich
teurer gewesen als zu ihrer Entstehungszeit.
Daß ein führender reicher Augsburger diese
Bilder während der Reformationszeit in Auftrag gab, liegt auf der
Hand. Doch das ist nahezu das einzige, was man über ihre Entstehung
mit Sicherheit sagen kann. Nicht nur daß wir keine Schriftquellen
haben, die darüber Auskunft geben könnten. Auch die Bilder selbst
sagen nicht allzuviel dazu - trotz der Jahreszahl
1531 auf der Darstellung des Februar, trotz dem Wappen
der Rehlinger und dem Wappenschemel
auf dem Januar-Bild. Eine verläßliche Auskunft darüber
wann diese Bilder gemalt worden sind und wer sie in Auftrag gab, erhält
man damit nicht.
Dazu aber kommt, daß wir uns nicht recht vorzustellen
vermögen, was damals, im mittleren 16. Jahrhundert, ein reicher und
mächtiger Bürger einer der großen deutschen Städte
für repräsentativ angesehen hat.
Seitdem im frühen 19. Jahrhundert die damaligen Bürger
das Bürgertum des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit
als ihre Vorgänger entdeckt haben, hat sich, so möchte man sagen,
ein dichter Schatten auf die Lebensformen jener frühen Stadtbürger
- und zumal der reichen und mächtigen unter ihnen - gelegt. Die bürgerlichen
Vordenker des 19. Jahrhunderts sahen sich und alle Bürger als im Kampf
gegen die Welt von Adel und Fürsten befindlich. Sie verstanden sich
als Kämpfer gegen die Welt des Feudalismus. Nichts könnte bürgerlicher
sein als die Vorstellung, das Mittelalter sei ein Zeitalter des Feudalismus
gewesen.
Angesichts solcher Vorstellungen führte es zu abfälligen,
aus einer Enttäuschung geborenen Urteilen, wenn man feststellen mußte,
daß die reichen und mächtigen Stadtbürger des 15. und 16.
Jahrhunderts Turniere veranstalteten, daß sie Ritterromane lasen,
daß sie sich wie vermögende Adlige kleideten und nichts erkennen
ließen, was sich als spezifisch bürgerlich hätte bezeichnen
lassen. So sprach die Wissenschaft des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts
davon, daß diese Bürger in Verkennung dessen, was sie als Bürger
hätten tun müssen, die Kultur des Adels nachgeahmt hätten,
und so hatte diese Wissenschaft wenig Anlaß, den Festen und dem repräsentativen
Tun der reichen Bürger viel Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Was man von diesen Bürgern erhoffte, wäre durch
eine solche Aufmerksamkeit gestört worden. Wie sich die Bürger
in Gustav Freytags Roman "Soll und Haben" durch ihren Fleiß von feudalistischen
Lebensformen fernhielten, so hätten sich nach den Wünschen des
19. Jahrhunderts auch die Bürger des 15. und 16. Jahrhunderts verhalten
sollen.
Doch wie darf man sich die Existenz dieser Bürger
tatsächlich vorstellen? Das kann man nur andeutungsweise sagen. Die
erwähnten Wünsche des 19. Jahrhunderts an die Zeit um 1500 haben
bestimmte - vor allem wirtschaftsgeschichtliche - Forschungen gefördert,
dagegen solche behindert, deren Gegenstand der Luxus, der repräsentative
Konsum, die Feste und vielleicht auch die Freizeit der reichen Bürger
des frühen 16. Jahrhunderts gewesen wären.
Tatsächlich hatte das spätmittelalterliche und
frühneuzeitliche Bürgertum eine andere Gestalt, als das liberale
Bürgertum des 19. Jahrhunderts hoffte. Dieses rechnete mit emsigen
Kaufleuten und fleißigen Handwerkern. Es stand auf der Seite der
Fugger oder Welser und der anderen bekannten Augsburger und aller anderen
stadtbürgerlichen Familien, die nun riesige Vermögen erwarben.
Doch was von diesen Vermögen in repräsentativen Konsum floß,
fand die gleiche Sympathie nicht. Und es fand auch nicht die Aufmerksamkeit,
die nötig gewesen wäre, wenn die Lebenswelt der spätmittelalterlichen
und frühneuzeitlichen führenden deutschen Stadtbürger hätte
erforscht werden sollen.
In Wahrheit erklären sich Turniere der reichen und
mächtigen Leute in den großen Städten leicht, wenn man
nach der Herkunft dieser Familien fragt. Namentlich in den alten Bischofsstädten
- zum Beispiel in Augsburg, weniger dagegen in denen des kolonisatorischen
Ostens - waren die Angehörigen der alten Ratsfamilien häufig
Nachfahren von bischöflichen Ministerialen. Ebenso hatten Ratsfamilien
in den Reichsstädten, zum Beispiel in Nürnberg, Reichsministerialen
zu Vorfahren, und für viele Territorialstädte galt das gleiche.
In Freiburg beispielsweise ging ein beträchtlicher Teil der städtischen
Elite auf die Ministerialität des Stadtgründers zurück,
des Herzogs von Zähringen.
Diese Ministerialen, die für den König ebenso
wie für geistliche und weltliche Reichsfürsten militärische
und administrative Führungsaufgaben wahrnahmen, hatten ihren
Lebens- und Dienstort nicht nur auf ländlichen Burgen gehabt, sondern
auch in Städten, wo sie Zoll, Münze und Gericht verwalteten und
von dieser Wahrnehmung der "Regalien" profitierten. Sie wurden reich und
vermehrten ihren Reichtum durch die weiteren in der Stadt gegebenen
Möglichkeiten, durch die Nutzung städtischen Grundbesitzes
und durch die Teilnahme am Handel.
Doch legten die Angehörigen dieser herausragenden
städtischen Familien, die in aller Regel Träger der Bemühungen
um die Emanzipation vom Stadtherrn waren und nach erfolgreicher Emanzipation
die Stadt auch politisch führten, ihren Besitz nicht nur innerhalb
der Stadtmauern an. Soweit sie nicht ohnehin über ländlichen
Grundbesitz verfügten, erwarben sie ihn; sie waren also ländliche
Grundherren ebenso wie jene Ministerialen, die außerhalb der
Städte lebten und dort im 13. und 14. Jahrhundert die Reste ihrer
Unfreiheit abstreiften und zum niederen Adel wurden.
Die vermögenden und mächtigen Leute in den Städten
gingen diesen Weg vielfach ebenfalls, zumal sie nicht nur in einem abstrakt-sozialgeschichtlichen
Sinne der gleichen Herkunft waren wie der nunmehrige niedere Adel auf dem
Lande. Städtische Ratsherren und Angehörige dieses Adels waren
oft miteinander verwandt, und diese Verwandtschaft war nicht nur eine
Sache der gemeinsamen Herkunft, sondern sie wurde vielfach durch
Heiratsverbindungen erneuert oder erst geschaffen.
Das aber galt nicht nur für jene städtischen
Familien, die aus der Ministerialität stammten. Ebenso wie sich eine
solche Herkunft mit städtischen Reichtum und kaufmännischer Tätigkeit
durchaus vertrug, eröffnete der durch Handel erworbene Reichtum auch
Bürgern nichtministerialische Herkunft den Weg in den Kreis jener
Familien, welche die Städte regierten.
Zu den irreführenden Hoffnungen, die das Bürgertum
des 19. Jahrhunderts mit den spätmittelalterlichen Städten verknüpfte,
gehörte die Vorstellung von deren demokratischer Verfassung. Diese
Hoffnung hat durchaus Geschichte gemacht. Die städtische Selbstverwaltung,
die das Resultat der Staatsreformen des frühen 19. Jahrhunderts war,
ist mit Bezug auf die mittelalterliche städtische Autonomie und Bürgerfreiheit
als eine - vermeintliche - Rückkehr zu früheren Zuständen
durchgesetzt worden. Die Wirklichkeit spätmittelalterlicher Städte
haben diese Hoffnungen aber verdunkelt.
Diese Städte wurden oligarchisch regiert - und zwar
in aller Regel auch dann, wenn die Ratsherren nicht oder nicht allein aus
jenen Familien kamen, die einen gleichsam erblichen Zugang zum Rat hatten.
Auch wenn durch einen jener Aufstände, die man zunächst Zunftrevolutionen
genannt hat und heute richtiger Bürgerkämpfe nennt, die traditionellen
Herrschaftsverhältnisse in der Stadt aufgebrochen oder beseitigt worden
waren, auch wenn der Rat nicht mehr - oder nicht mehr nur - aus den Angehörigen
jener alten Ratsfamilien bestand, war doch nicht die Demokratie an die
Stelle der Oligarchie getreten. Sehr bald nach einem solchen Umsturz pflegte
sichtbar zu werden, daß es sich dabei vielmehr um die Erneuerung
der herkömmlichen Oligarchie gehandelt hat. Auch in Städten,
wo die Räte nach einem derartigen Umsturz ganz oder teilweise aus
Vertretern der Zünfte bestanden, waren es doch nur bestimmte Zünfte
und nur wenige Familien von Zunftangehörigen, die an der politischen
Führung in den Städten Anteil hatten und auf diese Weise ihrem
Vermögen, aber auch ihrem Habitus nach neben die alten Familien traten.
Solche Bürgerkämpfe waren in der Regel die Folge
davon, daß sich die traditionelle Oligarchie gefestigt hatte, daß
Reichtum nicht mehr zu politischer Macht führte, daß jemand,
der zu einem großen Vermögen gekommen war, nicht als Ratsangehöriger
akzeptiert wurde, und das auch in der nächsten Generation nicht geschah.
Im allgemeinen war das nicht der Fall. Der Kreis der Ratsfamilien in den
spätmittelalterlichen Städten war nirgends ausdrücklich
begrenzt. Ein Patriziat im strengen Sinne gab es also nicht. Die Oligarchien
waren im Prinzip für denjenigen, der zu Vermögen und Ansehen
gekommen war, offen. Erst um 1500 wurden jene Schranken errichtet, die
man herkömmlicherweise für typisch mittelalterlich hält.
Nun grenzte sich der ländliche Adel vielfach von
den mit ihm so eng verbundenen mächtigen Stadtfamilien ab. Die traditionellen
Heiratsverbindungen wurden ebenso untersagt wie die gemeinsamen Turniere.
Entsprechend wurden auch innerhalb der Städte Schranken errichtet
- in Nürnberg zum Beispiel 1521 in Gestalt des Tanzstatuts. Eine Kommission
des Rates stellte eine Liste von Familien zusammen, deren Angehörige
künftig zum Tanz auf dem Rathaus zugelassen werden sollten. Damit
war zugleich der Kreis der Familien geschlossen, aus denen die Ratsherren
kommen durften. Nun gab es in Nürnberg tatsächlich ein Patriziat
- bis zum Ende der Reichsunmittelbarkeit der Stadt im Jahre 1806. Nur einmal,
1536, wurde der geschlossene Kreis der patrizischen Familien für ein
neues Geschlecht, für die Schlüsselfelder, geöffnet. Ansonsten
herrschte gesellschaftlich wie politisch eine Exklusivität, wie es
sie im Mittelalter niemals gegeben hatte. Sehr mittelalterlich erscheint
dagegen, daß diese neue Exklusivität nicht etwa verfassungsrechtlich
definiert wurde, sondern durch eine Vorschrift, die sich auf die Repräsentation
von sozialem Rang und politischer Macht bezog. Die Ratszugehörigkeit
erscheint in jenem Tanzstatut als Folgeerscheinung der Zulassung zu repräsentativen
Festlichkeiten auf dem Rathaus und nicht, wie man von modernen Verhältnissen
aus erwarten würde, umgekehrt.
Doch legten die Nürnberger Patrizier nicht nur Wert
darauf, sich innerhalb der Stadt nach unten abzugrenzen. Ungeachtet der
erwähnten Abgrenzung des außerstädtischen Adels
beharrten sie darauf, auch weiterhin den gleichen Rang zu haben
wie die Adelsfamilien. Und sie hatten damit Erfolg. Wie schon seine
Vorgänger bestätigte Kaiser Karl V. einer Reihe von Nürnberger
Ratsfamilien den Adel durch Wappenverleihungen oder -besserungen. Und
wenn die Nürnberger Patrizier nicht mehr zu den repräsentativen
Adelsturnieren zugelassen wurden, so veranstalteten sie ihre eigenen Gesellenstechen.
Man darf dieses Wort nicht mißverstehen. Die "Gesellen" waren
keine jungen Handwerker, die da Turnier-Parodien veranstalteten, sondern
die Söhne der patrizischen Ratsherren, die genauso ausgerüstet
wie die Angehörigen vermögender adliger Familien ins Turnier
ritten, die dabei die gleichen Regeln wie die adligen Kämpfer
beachteten und im übrigen schon als Kinder auf diese Lebensform vorbereitet
worden waren. Zu dem "Lehrspielzeug", das in den reichen Bürgerfamilien
gebraucht wurde und sich wegen seiner Kostbarkeit vielfach bis in die Gegenwart
in den Museen erhalten hat, gehörten nicht nur die bekannten "Puppenstuben",
tatsächlich außerordentlich aufwendige Hausmodelle, an denen
das Leben im Hause, aber auch Elemente des Handels vorgeführt werden
konnten. Daneben gab es wenigstens ebenso kostbares Turnierspielzeug .
Nicht selten erkennt man schon an den Namen, woher diese
Ratsfamilien kamen. Sowohl Reichtum wie auch höfische Kultur werden
in den typischen Namen sichtbar. So begegnen in Köln die Unmaze,
das heißt die maßlos Reichen, in Augsburg dagegen die Stolzhirsch.
Dieser Name ist auch in lateinischer Version überliefert, und die
macht deutlich, daß mit "stolz" nicht eine abstrakte Eigenschaft
gemeint war, sondern ein Bezugsfeld. Stolzhirsch hieß auf lateinisch
"Cervus curialis", also, wie man auch übersetzen könnte, Hofhirsch,
und Hof (curia) meinte nicht nur die Herkunft dieser Familie aus der bischöflichen
Ministerialität, also dem Hof des Bischofs, sondern auch die Lebensweise,
die dort üblich war. Ähnlich lassen auch die Augsburger Geschlechter-Namen
Ohnsorg und Langenmantel nicht etwas Anekdotisch-Individuelles erkennen
- als sei der erste Ohnsorg ein Bruder Leichtfuß gewesen und der
erste Langenmantel jemand, der einen Kleider-Tic hatte. Der lange Mantel
war der Ausweis einer sozialen Position, und das gleiche galt für
die Sorglosigkeit, deren Basis ein reiches und gesichertes Vermögen
war.
In Augsburg war im Jahre 1368 die traditionelle Stadtherrschaft
der Langenmantel und der anderen Geschlechter in eine Krise geraten. Die
Stadt hatte eine expansive Außenpolitik betrieben und den Versuch
unternommen, deren Kosten durch eine Verbrauchssteuer aufzubringen. Die
daraufhin in der Stadt entstandene Unruhe verband sich mit dem schon wiederholt
zutage getretenen Wunsch, Zünfte zu bilden, die Anteil am Stadtregiment
haben sollten. Und es kam hinzu, daß die Bürger nicht nur -
wie stets - bewaffnet, sondern zudem im Zusammenhang mit der erwähnten
Außenpolitik militärisch neu organisiert worden waren. Das Bürgerheer
sollte außerhalb der Stadt eingesetzt werden können. Nun versammelte
es sich nicht zum Auszug aus der Stadt, sondern zum Sturm auf das Rathaus.
Zu diesem Sturm kam es nicht, da die Ratsherren mit den zum Aufstand bereiten
Bürgern einen Kompromiß schlossen. Bis zur Wiederherstellung
der alten Geschlechterherrschaft durch Kaiser Karl V. im Jahre 1548 wurde
nun der Augsburger Rat aus zwei Klassen von Ratsherren zusammengesetzt:
aus Angehörigen der bisher regierenden Geschlechter und aus Repräsentanten
der jetzt gebildeten Zünfte. Zünfte und Geschlechter stellten
je einen der beiden Augsburger Bürgermeister. In der Folgezeit wurde
der Kreis der Geschlechterfamilien begrenzt, aber nicht gänzlich abgeschlossen,
so daß die wirtschaftliche Dynamik, die das Augsburg der beiden folgenden
Jahrhunderte bestimmen sollte, bis zu einem gewissen Grade von der politischen
Verfassung aufgefangen werden konnte. Die Erneuerung der Oligarchie, als
die man auch diesen Augsburger Verfassungsumbruch von 1368 verstehen kann,
wird nicht nur daran sichtbar, daß die aus den Zünften kommenden
Bürgermeister keineswegs aus allen Zünften kamen, sondern nur
aus wenigen und auch hier nur aus einigen Familien. Ebenso charakteristisch
für das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Augsburg
war, daß es Angehörige der neuen Elite rasch zu einem Vermögen
brachten, das größer war als das der meisten Geschlechter. Als
eine Art Brücke zwischen solchen wirtschaftlichen Verhältnissen
und der städtischen Rechtsordnung wurde 1478 die Gesellschaft der
"Mehrer" geschaffen, deren Angehörige den gleichen sozialen Rang haben
sollten wie die der Geschlechter, die ihrerseits in der Herrentrinkstube
zusammengeschlossen waren.
Die Augsburger Führungsschicht im 16. Jahrhundert
war also nicht so streng abgeschlossen wie die Nürnberger. Politische
Macht und Reichtum stimmten personell nicht gänzlich überein,
traten aber nicht auseinander. Die Welser und die Rehlinger bieten Beispiele
dafür, daß Geschlechterfamilien weiterhin zur kleinen Gruppe
derer gehörten, die in Augsburg sehr reich waren. Auf der anderen
Seite waren die Fugger, um 1500 die weitaus reichsten Augsburger, keine
Geschlechter-Familie.
Erst 1367 war Hans Fugger aus dem Umland in die Stadt
eingewandert, ein Weber, der in Augsburg allerdings nicht Handwerker blieb,
sondern von jenem Barchent-Boom profitierte, der damals die wirtschaftliche
Situation Augsburgs und seiner Umgebung prägte. Hans Fugger und seine
Nachfahren wurden Verleger, steuerten also die Arbeit anderer Weber und
profitierten von ihr. Schon Hans Fuggers Witwe versteuerte ein Vermögen,
das größer war als das der Welser. Ihr Sohn Jakob war 1467 dem
Vermögen nach der siebente Augsburger. Dessen Sohn Jakob, "der Reiche",
war im frühen 16. Jahrhundert nicht nur in Augsburg und wohl auch
nicht nur im Reich der vermögendste Mann.
Blieb dieser Krösus in den Augen der Welser und ihresgleichen
ein Parvenü? Oder wurde die Herkunft der Fugger dadurch ausgeglichen,
daß Jakob, der im Jahre 1507 von Kaiser Maximilian die Grafschaft
Kirchberg, die Stadt Weißenhorn und weitere Herrschaftsrechte gekauft
hatte, vier Jahre später einen kaiserlichen Adelsbrief erhielt und
1514 gar zum Grafen gemacht wurde? Die Nagelprobe darauf, ob sich aus dieser
Standeserhöhung tatsächlich die Gleichrangigkeit mit den Augsburger
Geschlechtern ergeben hatte, wäre eine Heiratsverbindung gewesen,
doch diese Probe konnte unmittelbar angesichts von Jakob Fuggers Kinderlosigkeit
nicht erbracht werden. Immerhin war Jakob selbst mit der Tochter eines
"Mehrers" verheiratet, und solche Verbindungen gab es unter den Fuggern
seiner Generation mehrfach. Sein älterer Bruder Ulrich war gar mit
einer Lauginger verheiratet und seine Schwester Barbara mit einem Meuting.
Doch diese beiden ursprünglich zu den Geschlechtern zählenden
Familien hatten sich 1368 unter die Zünfte begeben. Eine Verbindung
zwischen einem Mitglied der Familie Fugger und einer der tatsächlich
zu den Geschlechtern zählenden Augsburger Familien kam erst 1527 zustande,
als Anton Fugger, Jakobs Neffe und Nachfolger, Anna Rehlinger ehelichte.
Im übrigen entstammten die Ehepartner der Fugger nun vorzugsweise
dem süddeutschen und dem österreichischen Adel.
Damit soll aber nicht gesagt sein, die Fugger hätten
sich von den reichen und mächtigen Augsburger Familien abgesetzt.
Sie blieben mit ihrem Lebenszuschnitt vielmehr im Rahmen dessen, was damals
in den großen süddeutschen Städten üblich war und
sich in ähnlicher Weise auch in den norddeutschen Metropolen findet.
Der Landbesitz führte ebensowenig wie der Adels-
oder - im Falle Fugger - der Grafentitel zu einem Auszug aus der Stadt.
Lebensmittelpunkt blieb einstweilen das Stadthaus. Zwar konnte es die Ausmaße
eines Palais annehmen und reich geschmückt sein - in Augsburg nicht
zuletzt mit Fassadengemälden, die sich nicht erhalten haben, so daß
man nicht sagen kann, ob man es hier vielleicht mit Kunstwerken
zu tun hatte, die in die Nachbarschaft der Jahreszeitenbilder gehören.
Doch auch solche Paläste durchbrachen nicht den Rahmen des
Stadtbildes, und die reichen Gärten, die dazugehörten, sprengten
die Stadtgestalt ebenfalls nicht. Ungeachtet der hohen Fortifikationskosten
war in den spätmittelalterlichen Städten freier Platz für
Gärten gewesen. Neu war im 16. Jahrhundert allerdings, daß die
reichen Bürger in ihren Häusern ebenso wie einige Fürsten
Kunst- und Raritätenkabinette hatten, die Urzellen der heutigen Museen,
in denen nicht nur kostbare Waffen oder Kuriositäten aus fernen
Ländern aufbewahrt und gezeigt wurden, sondern auch Kunstwerke, die
als solche und für diese Kabinette geschaffen worden waren.
Auf den Jahreszeiten-Bildern wird davon allerdings nichts
sichtbar, auch nicht auf dem Januar-Bild,
das einen reichen städtischen Innenraum mit kostbarem Gerät zeigt.
Doch handelt es sich bei diesem Gerät um Schaugeschirr,
das man in den Rathäusern, aber auch in den Wohnungen der reichen
Bürger fand. Ein Kunstkabinett hätte die Darstellung jener Geselligkeit
verboten, auf die es hier offensichtlich ankam.
So sieht man auf diesen Bildern, von dem erwähnten
Innenraum abgesehen, nicht die städtischen, wohl aber die ländlichen
Wohnsitze der reichen Stadtfamilien. Die im April-Bild
gezeigte Architektur könnte ebenso wie die des September-Bildes
für diese Landsitze stehen, die einerseits, wie man beim April-Bild
sieht, traditionelle feste Häuser, also Burgen, waren, andererseits
aber Formen der Renaissance-Architektur erkennen lassen.
Ob man in der ländlichen
Geselligkeit, die den Vordergrund der Frühjahrs- und Sommerbilder
füllt, ebenso wie in der zugehörigen Architektur ein Abbild von
Wirklichkeit oder wenigstens eine Reminiszenz erkennen darf, steht, wie
schon eingangs bemerkt, dahin. Geläufigen Meinungen über die
Geschichte der Festkultur zufolge gab es ländliche Lustbarkeiten der
feinen Leute, wie sie hier sichtbar zu werden scheinen, erst im 18. Jahrhundert,
da Adlige und Fürsten verkleidet als Schäfer und Landleute agierten.
Andererseits gibt es die Meinung, der "Prozeß der Zivilisation" habe
die mittelalterliche Unmittelbarkeit beseitigt, während zuvor Sexualität
in einer für spätere Verhältnisse erstaunlichen Öffentlichkeit
praktiziert worden sei.
Wenn das richtig wäre, so hätte man es bei dem
feuchten Mai-Treiben - um von dem entblößten Narren-Gesäß
bei der Darstellung des April gar nicht zu reden - mit etwas zu tun, was
es in der Mitte des 16. Jahrhunderts gar nicht mehr geben konnte, während
es für die offensichtlich spielerische Partizipation reichgekleideter
Leute an ländlichen Frühjahrs- und Sommerarbeiten, wie man sie
auf den Bildern des April bis September sieht, in der Mitte des 16. Jahrhunderts
ebenso zu früh war wie zum Beispiel für das Spazierengehen im
Freien, das man im April neben jener unzüchtigen Narrenfigur doch
wohl erkennt.
Wären jene Einsichten in die Festgeschichte wirklich
fundiert, so könnten diese Darstellungen sie sicherlich nicht erschüttern.
Aber es scheint, daß diese zeitlichen Zuordnungen so solide nicht
sind. Der "Prozeß der Zivilisation" bleibt gewiß eine bahnbrechende
geistes- und sozialgeschichtliche Erkenntnis, doch auch er kann nicht dem
Schicksal allen Menschenwerks entgehen, historisiert und damit relativiert
zu werden. Inzwischen sieht man, daß man es hier auch mit einer utopischen
Idee zu tun hat, mit einem Beispiel dafür, daß den Zwängen
der Neuzeit ein freies Mittelalter gegenübergestellt wird.
Die Meinung aber, die Geselligkeit im Freien habe eigentlich
erst im 18. Jahrhundert begonnen, dürfte sich einerseits daraus erklären,
daß sie von der späteren Zeit her begründet ist, also von
einer Geschichtssicht, die aus dem 19. Jahrhundert in ältere Zustände
immer nur so weit hineinleuchtet, als sie das zur Erkenntnis vermeintlicher
Vorgeschichten oder gegensätzlicher Zustände zu tun genötigt
scheint. Da ist Mittelalter dann immer wieder ein finsteres Zeitalter,
das die Menschen hinter engen Stadt- und Burgmauern verschlossen hält.
Schon der reichliche Gebrauch, den mittelalterliche Literatur von dem Topos
"locus amoenus" macht, spricht gegen eine solche Datierung. Doch geraten
die einschlägigen Quellen offensichtlich nicht in den Horizont derer,
die über frühneuzeitliche Festkultur nachdenken.
Ein Wandel auf diesem Feld läßt sich mit Hilfe
weniger Zeilen nicht schaffen. Doch mag daran erinnert sein, daß
es auch aus den Jahrzehnten vor der Entstehung unserer Bilder Darstellungen
gibt, die Lustbarkeiten im Freien erkennen lassen. So zeigen die im Jahre
1516 in einem Saal des Klosters St. Georgen in Stein am Rhein gemalten
Fresken eine Szene vor der Stadt Zurzach. Die Bürger und die Besucher
der dortigen Messe ergehen sich im Freien, sie tanzen, sie spielen Schach
und sie üben sich im Kugelstoßen. Das um 1500 gemalte Panorama
von Zürich ist nicht nur eine ungemein reiche Bildquelle für
die städtische Topographie, sondern es zeigt auch den "Lindenhof"
als einen Ort von städtischer Festlichkeit unter Bäumen, als
den man diesen Platz noch im gegenwärtigen Zürich erleben kann.
Von ähnlicher Art sind die Lustbarkeiten im Freien, die man auf einem
Rothenburger Hochzeitsbild aus dem Jahre 1538 sieht. Da wird getafelt,
turniert, aber auch gerungen, auf den Händen gestanden, und es wird
musiziert. Wurde die Hochzeit, für die dieses Bild angesichts der
Wappendarstellungen unzweifelhaft steht, auf diese Weise gefeiert? Das
weiß man nicht. Aber daß es sich bei diesen festlichen Betätigungen
unter freiem Himmel um Fiktionen gehandelt hätte, wird man schwerlich
behaupten können.
Das Rothenburger Bild, das sich so einordnen und datieren
läßt, wie das für die Augsburger Jahreszeiten-Bilder einstweilen
leider nicht möglich ist, hat seinerseits Bildparallelen im gleichzeitigen
Augsburg, nämlich in den dort üblichen Darstellungen des Geschlechtertanzes.
Da gibt es die inschriftlich für das Jahr 1500 gesicherte
Darstellung eines feierlichen Schreitens, die zu dem erwähnten Nürnberger
Tanzstatut paßt. Die reichen und mächtigen Familien demonstrierten
ihren politischen und sozialen Status, indem sie reichgekleidet paradierten,
begleitet von der Musik der städtischen Bläser, die keine Musikanten
waren, sondern vielmehr so etwas wie ein Verfassungsorgan. Die Inschrift,
die dieses Bild auf das Jahr 1500 datiert, spricht auch davon, daß
damals diese Kleidung in Augsburg die übliche gewesen sei. Damit wird
ein gerade in dieser Stadt gut bezeugter Komplex berührt. Daß
Kleidung der Repräsentation dient, ist eine Trivialität, und
daß in der alten Welt formale und informelle Kleidungsnormen bestanden,
ist ebenso bekannt. Aus Augsburg hat man aber nicht nur dieses Bild als
ein Zeugnis dafür, daß die Kleidung der Mächtigen über
ihren aktuellen Gebrauch hinaus für die Zukunft dokumentiert werden
sollte. Das sogenannte Trachtenbuch des Matthäus Schwarz ist ein weiteres
Beispiel.
Die Augsburger Geschlechtertänze fanden, wenn man
den bildlichen Darstellungen - auch sie ein offensichtlich feststehender
Typus der Dokumentation von Oberschicht-Kultur des 16. Jahrhunderts - folgt,
nicht nur in städtischen Innenräumen statt. Ein nicht mehr erhaltenes
Bild aus dem Jahre 1522 zeigte diesen Schreit-Tanz im Freien und gab damit
eine Darstellung, die sich mit dem eben erwähnten Rothenburger Bild
berührt. Auch hier hat man ein Fest in der freien Natur, auch hier
hat man nicht nur die mächtigen Tänzer, sondern auch das gemeine
Volk, freilich nicht auf den Händen stehend, sondern als Zuschauer.
Auf den Frühjahrs- und Sommer-Darstellungen der Jahreszeiten-Bilder
hat man den gewissermaßen umgekehrten Sachverhalt. Die feinen Leute
schauen zu, und das Volk
bietet ein Schauspiel - es sei denn, daß die Schnitter, die Garbenbinder
und auch die badenden Personen verkleidete oder entkleidete vornehme Augsburger
sein sollten.
Man wird die Distanz zwischen diesen Darstellungen und
der ihnen zugrunde liegenden Realität einstweilen nicht genau ermessen
können. Immerhin, daß hier einfach, im Sinne von Huizinga, ein
"Traum vom schöneren Leben" dargestellt sei, wäre wohl eine zu
einfache Antwort auf die Frage nach diesen Bildern als historischen Quellen.
Wenn die Feste der mächtigen Augsburger ausschließlich in Innenräumen
stattgefunden hätten, würde man auf diesen Bildern gewiß
etwas anderes sehen. Oder umgekehrt: Die ikonographische Tradition der
Monatsdarstellungen prägt diese Bilder nicht in dem Maße, daß
man sie einfach mit dieser Tradition erklären und von der Lebenswirklichkeit
ihrer Auftraggeber radikal absetzen könnte.
Von Bildern wie der erwähnten Darstellung der Zurzacher
Messe oder dem Rothenburger Hochzeitsbild unterscheiden sich die Augsburger
Darbietungen dadurch, daß sie die traditionellen Freiluft-Festlichkeiten
der gewöhnlichen Leute, also das Kegeln, das Kugelstoßen, das
Ringen und so weiter nicht zeigen. Sind jene anderen Bilder damit realistischer
oder täuschen sie vielmehr eine Harmonie vor, die zu zeigen in den
Augsburger Bildern gar nicht intendiert wird? Diese Frage läßt
sich einstweilen nicht beantworten. Nimmt man einen weitreichenden Realismus
der Augsburger Bilder an, so könnte man erwägen, daß diese
reichen Ratsherren und Kaufleute mit ihrem Landbesitz und den abhängigen
Dorfleuten ja durchaus über die Möglichkeit verfügten, sich
eine Art Frühjahrs- und Sommertheater vorspielen zu lassen. Daß
sie das getan hätten, wird man jedoch auf die Existenz dieser Bilder
allein nicht stützen können. Hier bedürfte es schon der
Spuren in den schriftlichen Quellen. Daß diese nach solchen Spuren
gründlich durchsucht worden seien, wird man schwerlich sagen dürfen.
Die Darstellungen der Monate Januar
bis März und Oktober
bis Dezember führen in das Innere Augsburgs. Lassen auch sie etwas
vom Lebensgefühl und Repräsentationsstil der führenden und
vermögenden Augsburger erkennen? Das ist insofern gewiß der
Fall, als man, wie schon gesagt, auf dem letzten Bild tatsächlich
einen Blick in das Innere
der Stadt tut. Bei dem ersten Bild sieht die Sache anders aus. Welcher
Innenraum bei der Januar-
Darstellung gemeint ist, läßt sich ebensowenig sagen, wie
man die Bogenarchitektur,
die das Turniergeschehen umgibt, fixieren kann. Um eine reine Festarchitektur,
wie man sie von höfischen Festen dieser Zeit kennt, handelt es sich
offensichtlich nicht. Dargestellt ist ja augenscheinlich ein solides Gebäude.
Man kennt Bauplanungen aus dem Augsburg des 16. Jahrhunderts, die auf eine
solche Architektur zielten. Vielleicht haben diese Planungen etwas mit
dieser Darstellung zu tun.
Daß ein solches Turnier zum Umkreis dessen gehörte,
was an Möglichkeiten zur Verfügung stand, den sozialen Rang führender
Stadtfamilien zu bezeugen, liegt auf der Hand. Doch fanden in den Städten
auch adlige und fürstliche Turniere statt. Die Darstellung läßt
nicht erkennen, ob hier ein Schaugefecht von der ersten oder der zweiten
Art gemeint ist. Falls es sich um ein Fürstenturnier handeln sollte,
dann hätte man es auch bei den Teilnehmern des Festmahls mit Repräsentanten
dieser Sozialschicht zu tun. Nimmt man dagegen an, diese Bilder wollten
den Rang und die Macht der führenden Augsburger Familien dokumentieren,
so müßte es sich um ein anderes Turnier und eine andere Festgesellschaft
handeln.
Für diese Interpretation spricht, daß wir es
auf dem letzten
Bild offensichtlich mit intern städtischen Vorgängen und
mit den Tätigkeiten und dem Erscheinungsbild von Stadtbürgern
zu tun haben. Es wäre selbstverständlich auch möglich, daß
die feierlich gekleideten Herren, die da das Rathaus verlassen, etwa die
Gesandten des Kaisers oder von Fürsten wären, doch das würde
eine einigermaßen gezwungene Annahme sein. Im einen wie im anderen
Falle paßt, was auf der linken Seite des Bildes gezeigt wird, zu
der Rathaus-Szene offensichtlich nicht besonders gut. Was soll man von
diesem Schweineschlachten und Geflügelverkauf halten?
Genreszenen? Das scheint eine anachronistische Antwort
zu sein. Blickt man auf die Sommer-Darstellungen,
so vermindert sich der Verdacht, daß eine solche Interpretation einfach
anachronistisch wäre. Auf der anderen Seite hilft einem zum Verständnis
jedenfalls der Oktober- und der November-Darstellung die ikonographische
Tradition der Monatsbilder. Diese Tradition erzwang die Bilder vom Geflügelverkauf
und vom Schlachten zwar nicht, aber sie legte sie sehr nahe. Und was hätte
man auch statt dessen zeigen können?
Diese Frage ist selbstverständlich verfänglich.
Setzt man jedoch voraus, diese Bilder hätten die Absicht gehabt
darzustellen, auf welche Weise mächtige Stadtfamilien ihren Rang und
ihre Lebenswirklichkeit ins Bild gesetzt zu sehen wünschten, so kommt
man um negative Feststellungen nicht herum. Oder es stellt sich, anders
gesagt, die Frage, was auf diesen Bildern sozusagen fehlt, wenn
man sie als eine Art Katalog dessen versteht, was den agierenden städtischen
Familien damals zur Verfügung stand, um ihren Rang zu demonstrieren.
Die Erwägungen, die sich an eine solche Frage anschließen
lassen, könnten uferlos erscheinen. Doch das brauchen sie gerade bei
Bildern aus dem Augsburger 16. Jahrhundert nicht zu sein. Unterstellt man,
daß diese Darstellungen den Lebensanspruch der führenden
Familien ins Bild setzen sollten, so erkennt man, soweit hier von
Erkennen gesprochen werden darf, ein großes schwarzes Loch.
Die gewissermaßen klassischen Arten, den eigenen
Rang zu dokumentieren, sind auf diesen Bildern nicht zu finden,
weil man es hier mit einer Welt ohne Kirchen und ohne Geistliche
zu tun hat.
Die meisten Möglichkeiten, den eigenen Rang sichtbar
zu machen, hatten die Kirchen geboten. Wer Wert darauf legte, sein
eigenes Bildnis den Nachlebenden zu überliefern, das eigene
Wappen öffentlich darzustellen, Zeugnisse des eigenen Reichtums auch
künftig sichtbar zu machen oder schließlich auch die eigene
Frömmigkeit auf Dauer zu dokumentieren, der stiftete Epitaphien, Altarbilder,
ganze Kapellen oder auch Ausstattungsteile von Kirchen und verband diese
Stiftungen mit der Darstellung der eigenen Person oder wenigstens des Familienwappens.
So war es bis zur Reformation seit langen Jahrzehnten üblich gewesen.
Andere Möglichkeiten, den eigenen Rang öffentlich zu dokumentieren,
gab es so gut wie nicht.
Versucht man sich vorzustellen, welche Gestalt diese Bilderfolge
gehabt haben könnte, wenn sie ein halbes Jahrhundert zuvor in Auftrag
gegeben worden wäre, so verliert man sich leicht in Fragwürdigkeiten
oder haltlosen Spekulationen. Wie schon gesagt: Der Wegfall der traditionellen
kirchlichen Aufträge gehört sicherlich zu den Entstehungsbedingungen
dieser vier Gemälde, so daß die Frage danach, wie diese Gemälde
ausgesehen haben könnten, wenn sie vor der Reformation in Auftrag
gegeben worden wären, ins Leere zu zielen scheint.
Erlaubt man sich diese Frage dennoch, so wird man jedenfalls
sagen können, daß die städtischen Szenen, die man in der
Darstellung des Oktobers,
Novembers und Dezembers sieht, im Falle einer Entstehung vor der Reformation
gewiß auch Geistliche gezeigt hätten. Anstelle des Ratsherren-Marsches
hätte der Maler vielleicht eine Prozession ins Bild gesetzt, eine
ähnliche Zeremonie vielleicht wie die, die man in der bekannten Darstellung
der Geschichte des Konstanzer Konzils von Ulrich Riechental dort sieht,
wo das Johannisfest der Florentiner Wechsler gezeigt wird
Eine Spekulation? Gewiß. Aber man muß doch
wohl sagen, daß das Straßenbild, das man auf der letzten Darstellung
sieht, schon einigermaßen künstlich ist, weil man hier nur Laien
erkennen kann - es sei denn, daß man sie gerade deshalb für
realistisch hält und als ein Zeugnis dafür ansieht, daß
zur Entstehungszeit des Gemäldes die Augsburger Geistlichen sich entweder
nicht öffentlich zeigten oder in einer Weise öffentlich auftraten,
daß man sie von den Laien nicht unterscheiden konnte. Das mag so
gewesen sein, zumal dann, wenn die Bilder nach der Vernichtung der Augsburger
Kirchenausstattungen, also dem Bildersturm des Jahres 1537, entstanden
sein sollten. Doch diesem fielen nur die Kirchenausstattungen zum Opfer,
nicht jedoch die Kirchengebäude, während das letzte Augsburger
Bild ein städtisches
Interieur bietet, das insoweit unrealistisch ist, als es die Sakralarchitektur
gewissermaßen minimalisiert.
Je mehr man in diese Bilder einzudringen versucht, desto
rätselhafter erscheinen sie. Vielleicht liegt darin die beste Rechtfertigung
dafür, sie öffentlich zu zeigen und zum Nachdenken über
sie einzuladen. Daß man hier der Selbstdarstellung einer Oberschicht
ansichtig wird, der die traditionellen Mittel, den eigenen Rang öffentlich
zu präsentieren, im Gefolge der Reformation sozusagen aus der Hand
geschlagen waren, wäre eine Erklärung für die Gestalt dieser
Gemälde. Zwingend wäre diese Erklärung jedoch nicht, zumal
sie ja von einer Antwort auf die Frage abhinge, wie man diese Bilder zu
datieren hat, wobei sich diese Antwort aus ihnen selbst offensichtlich
ergibt, so daß man sich sehr leicht in Zirkelschlüssen verfangen
könnte. Es ist durchaus die Frage, ob diese Darstellungen eine ganz
bestimmte Situation des 16. Jahrhunderts repräsentieren oder ob sie
nicht doch für längerfristige Möglichkeiten der Repräsentation
von städtischer Macht und städtischem Reichtum stehen. Diese
Augsburger Bilder laden dazu ein, Antworten auf solche Fragen hartnäckiger
als bisher zu suchen, sie bieten sich als eine Quelle für derartige
Antworten an, aber sie lassen doch zugleich erkennen, daß man viele
andere Zeugnisse heranziehen muß.
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