DHM


CHRISTOPH STÖLZL

Vorwort

Wie bei anderen berühmten Beispielen war die Restaurierung von Gemälden mittelbarer Anlaß, der zur Entstehung dieses Buches führte. Die Erwerbung von vier großformatigen Bildern, deren Darstellungen im Augsburg der Renaissance anzusiedeln sind, durch das Deutsche Historische Museum in Berlin, war der Ausgangspunkt für gründliche materielle und geistesgeschichtliche Untersuchungen, in deren Brennpunkt jene Bilder standen. Ikonographisch an die lange Tradition der Monatsdarstellungen anknüpfend, die seit der Spätantike zunächst in der Skulptur und Plastik, auf Mosaiken, Wandbildern oder Miniaturen immer wieder auftauchen, sind sie durch topographische und heraldische Einzelheiten ganz eindeutig im Umfeld der Reichsstadt Augsburg zu sehen. Zahlreiche motivische Übernahmen aus Zeichnungen Jörg Breus d.Ä., der ja auch in Augsburg lebte und wirkte, bestätigen dies. Obwohl es das 16. Jahrhundert ist, das dem Betrachter hier vor Augen geführt wird, ein Zeitalter der großen Umwälzungen und Veränderungen, gibt es auf den Bildern keine Anspielung auf die bedeutsamen und folgenreichen Ereignisse, die die damalige Welt erschütterten. Nichts ist zu spüren von der Entdeckung der "Neuen Welt", vom Bauernkrieg oder der Reformation. Die Bilder lassen beinahe an ein Arkadien denken, an eine Idylle inmitten einer bewegten Welt, in der die Ereignisse sich überschlugen, weitreichende Veränderungen beinahe alle Bereiche der menschlichen Existenz berührten. Eine festliche Welt wird vorgeführt, Alltag und Muße der Menschen, die die Zeitzeugen dieser Ereignisse waren und deren Existenz man bislang vor allem in diesem Zusammenhang untersucht hat. Die "Augsburger Monatsbilder" aber vermitteln ein ganz anderes Bild jener Epoche zwischen Mittelalter und Neuzeit. Das, was Menschen von jeher und überall zusammengeführt hat, kommt hier zum Ausdruck: die Lust am Feiern, am Spielen, am Essen und Trinken, an unterhaltsamen Freizeitvergnügungen und - die Lust an der Lust.

Was hat es auf sich mit diesen Gemälden aus bayerischem Privatbesitz, die schon relativ früh in der kunsthistorischen Literatur Erwähnung gefunden haben? Sind sie als Quelle zu betrachten, als authentische Zeitzeugen des Jahres 1531, wie man wegen der Jahreszahl auf einem der beiden "Winterbilder" vermuten könnte? Oder sind es "Historienbilder", später entstandene Gemälde, die die Zeit um 1530, die hier zweifellos dargestellt ist, nur nacherzählen? Ist es historische Wahrheit, was einem hier begegnet, oder dienten die Bilder nur der Repräsentation ihres Auftraggebers, der damit vielleicht an ein familiengeschichtlich bedeutsames Ereignis erinnern, seine Abstammung gesellschaftlich manifestieren wollte?

Dies sind - grob umrissen - die Fragen, die dieses Buch stellt und in den verschiedenen Aufsätzen zu beantworten sucht. Um es vorwegzunehmen: Der Entstehungszusammenhang der Bilder bleibt vorerst ungeklärt. Die Suche nach dem Urheber, nach einer Datierung der Gemälde, die mit dem quellenkundigen Spürsinn der Historiker, dem stil- und motivkritischen Instrumentarium der Kunsthistoriker und mit den maltechnischen Untersuchungsergebnissen der Restauratoren aufgenommen wurde, führte im Einzelfall zu einleuchtenden, in ihrem Zusammentreffen sich mitunter ausschließenden Ergebnissen.

Im ersten Teil des Buches geht es zunächst um den historischen Hintergrund, vor dem die Bilder zu sehen sind, um geschichtliche Zusammenhänge, die mit deren Entstehung zu tun haben könnten. Die städtischen Eliten werden beleuchtet, die Oberschicht, in der man den Auftraggeber der Bilder suchte, und die ökonomischen Grundlagen, auf die die Augsburger Patrizier ihre Kunstförderung gründeten, hinterfragt.

Die Essays im zweiten Teil halten sich enger an den Gegenstand der Untersuchung: Ikonographische Traditionen, die die Folie, das Grundgerüst der Darstellungen auf den Monatsbildern vorgeben und ihre strukturelle Anlage bestimmen, werden aufgezeigt, der kunsthistorische Kontext der Gemälde, ihre Vorzeichnungen, aber auch Kopien und Nachzeichnungen aufgespürt. Die detaillierte Beschreibung und Analyse der verschiedenen Bildszenen sucht die Bilder in ihrem historischen Kontext zu verankern, während der letzte Beitrag von den Bildern berichtet, wie sie waren, und von dem Weg, der beschritten werden mußte, bevor sie nun wieder - nach der Restaurierung - in neuer, überraschender Farbigkeit präsentiert werden können.

Die Textbeiträge wie auch die reichhaltige Bebilderung breiten eine Fülle an Material aus, das geeignet ist, dem Leser Anregungen und Anstöße zu geben, sich weiter auf die Gemälde und damit auf das Lebensgefühl einer vergangenen Epoche einzulassen.

Dezember 1993

Zur Startseite