Ausstellungen

 

Reihe "FOTOGALERIE IM PEI-BAU"
PEI-Bau/ 1. OG, 9. Dezember 2005 bis 9. April 2006

 

Das Porträt im XX. Jahrhundert.
Fotografien aus der Sammlung des
Deutschen Historischen Museums

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
Kuratoren: Dr. Dieter Vorsteher und Dr. des. Andreas Quermann



Zur Ausstellung

Im Rahmen der Reihe „Fotogalerie im Pei-Bau“ zeigt das Deutsche Historische Museum Porträtfotografien von 1900 bis 2000. Seit seiner Gründung hat das DHM Fotografien gesammelt, vor allem als zeithistorische Dokumente des 20. Jahrhunderts und als eine Form der Darstellung von Ereignisgeschichte. Aus diesen Beständen wurde im Jahr 2004 die Ausstellung Das XX. Jahrhundert. Fotografien zur Deutschen Geschichte zusammengestellt.

Die Porträtausstellung gilt nun dem inszenierten Abbild des Menschen, dem Erinnerungsbild und dem fotografischen Bildnis, das aus einer Übereinkunft zwischen dem Fotografen und dem Porträtierten hervorgeht.

Beginnend mit einem Blick auf die Porträtateliers um 1900 wird die Geschichte und Entwicklung der Porträtfotografie in Deutschland in chronologischen Kapiteln an ausgewählten Beispielen dargestellt. Dabei geht es vor allem um die historischen und gesellschaftlichen Einflüsse auf das fotografische Bild des Menschen und sein dadurch zum Ausdruck kommendes Selbstbild. In der inszenierten Porträtfotografie spiegelt sich die Entwicklung idealisierter Menschenbilder sowie deren Veränderung im Laufe des Jahrhunderts.

Die frühen Porträts aus den Ateliers der Fotografen waren noch stark geprägt von der Tradition und der Ästhetik ihrer Vorgänger, den gemalten Herrscherbildnissen des 19. Jahrhunderts. Mit der Entwicklung der kleinformatigen Carte-de-visite-Fotografien im Jahre 1854 verbreitete sich die Mode der Porträtaufnahmen mit großer Geschwindigkeit über die Adelshäuser hinaus in weite Teile der Gesellschaft, vor allem in das erstarkende Bürgertum.

Kaiser Wilhelm II. hatte sehr früh die Massenwirkung der Medien und ihre Bedeutung für den Machterhalt erfasst. Er bediente sich des neuen Mediums und ließ sich bereitwillig als Staatsmann und militärischen Führer in wechselnden Uniformen, aber auch in ziviler Kleidung und im Kreise seiner Familie von „Hofphotographen“ ablichten.

Die Cartes-de-visite unterlagen strengen Gestaltungsprinzipien: Man trug seine beste Kleidung, posierte sitzend oder stehend vor gemalten Hintergründen, Accessoires wie Blumen für die Damen, Spielzeuge für die Kinder oder ein Buch zur Hervorhebung der Bildung betonten die gewünschte Aussage. Ende des 19. Jahrhunderts waren fotografische Porträts ein zentrales Mittel bürgerlicher Selbstdarstellung. Lebensstationen wurden dokumentiert und in Alben gesammelt, die uns heute einen faszinierenden Einblick in die Lebensweisen und Werte bekannter und unbekannter Familien liefern.

Die tiefen Erschütterungen und Verletzungen, die die Menschen durch den Ersten Weltkrieg erlitten – und zugefügt – hatten, veränderten den Blick auf die Menschen und deren bildliche Darstellung. Gestellte Aufnahmen von Soldaten, die sie als Fotopostkarten von der Front nach Hause schickten, wurden oft zum letzten Erinnerungsbild an den gefallenen Mann, Sohn oder Vater. Fotos von Schwerverletzten und Toten dokumentieren das Antlitz des Krieges. In seinem Buch „Krieg dem Kriege“ (1924) setzte der Pazifist Ernst Friedrich Fotos von Kriegstoten und zerstörten Gesichtern als Mittel im Kampf gegen den Krieg ein.

In den 1920er Jahren verließen mehr und mehr Fotografen die Ateliers und suchten die Menschen auf der Straße, in ihren Häusern oder bei der Arbeit auf. Einflüsse der dokumentarischen Fotografie, deren Ziel die größtmögliche Realitätsnähe ist, veränderten die traditionelle Porträtfotografie. August Sander begann mit seinem epochalen Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“, einer umfassenden Enzyklopädie der Gesellschaft.

Die Entwicklung der künstlerischen Richtung der Neuen Sachlichkeit , die sich zunächst vor allem in der Malerei, der Literatur und der Architektur das Bemühen um eine Darstellung der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit zum ästhetischen Prinzip gemacht hatte, prägte auch die Fotografie entscheidend. Sie wurde aufgrund ihrer Technik als prädestiniertes Medium für ein Neues Sehen in der Auseinandersetzung mit der Realität erkannt. Die Bildsprache veränderte sich, die Kamera rückte näher an die Gesichter, die Bandbreite der Darstellungsformen in der Bildnisfotografie wurde vielschichtiger und facettenreicher. Im Zuge der zunehmenden Emanzipation der Frauen wurden Fotografinnen wie Lotte Jacobi und Yva berühmt. Ihre Fotos von selbstbewussten Frauen trugen maßgeblich zur Verbreitung des neuen Frauenbildes bei.

Ende der 1920er Jahre begannen die Nationalsozialisten alle verfügbaren Medien zu Propagandazwecken einzusetzen. Fotos von Adolf Hitler und anderen Nazi-Größen waren allgegenwärtig, ob in den illustrierten Zeitungen oder als Postkartenserien. Die Inszenierung Hitlers in den Fotografien seines „Leibphotographen“ Heinrich Hoffmann dienten der bildlichen Unterstützung seines Persönlichkeitsentwurfs als seriöser Staatsmann und „Führer“, als mitreißender Redner, aber auch als Menschenfreund und Erlöser mit mythisch-religiösen Attributen. Im wirtschaftlichen Chaos der 1930er Jahre begannen Vertreter der sozialengagierten Fotografie wie der Arbeiterfotograf Walter Ballhause, sich Randgruppen der Gesellschaft zuzuwenden, die zuvor kaum wahrgenommen und nicht für bildwürdig erachtet worden waren. Mit versteckter Kamera streifte er durch die Straßen und setzte in seinen Fotoreportagen Opfer des Krieges, Arbeitslose, Arme und Rentner ins Bild.

Mit der „Gleichschaltung“ der Presse wurden Fotos dieser Art verboten, die Fotografen am Arbeiten gehindert und verfolgt. Zulässig waren nun nur noch Bilder, die den nationalsozialistischen Staat und seine Ideale positiv darstellten. Eine der wichtigsten Fotografinnen dieser Zeit war Erna Lendvai-Dircksen, die mit ihren Porträts in den Bildbänden über „Das deutsche Volksgesicht“ der völkischen Ideologie Gesichter gab. Ihre scheinbar dokumentarischen Aufnahmen suggerierten die augenscheinliche Belegbarkeit der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Das Kriegsende im Mai 1945 markiert eine Zäsur: Die ersten Reportagen, die von Fotografen wie Lee Miller gemacht wurden, die mit den vorrückenden Alliierten reisten, zeigten vor allem die Opfer und die Täter – letztere zusammengeschlagen, vor Gericht oder als Tote. Es sind ebenfalls zunächst ausländische Fotografen wie Yousuf Karsh oder Katherine Young, die Porträts von Deutschen im Exil oder den Politikern der jungen Bundesrepublik machten.

In der professionellen Porträtfotografie koexistierten nach dem Krieg eine Vielzahl von Ansätzen und Sichtweisen. Der Impuls zur Anfertigung einer Porträtfotografie erfolgte nun in den allermeisten Fällen auf Initiative des Fotografen. Viele Porträts der Nachkriegszeit entstanden im Rahmen von Serien oder wurden nachträglich zu Serien zusammengestellt. In den beiden deutschen Staaten begann die fotografische Suche nach den Gesichtern der Zeit. Der Lichtbildgestalter Edmund Kesting aus Dresden schuf mit Doppelbelichtungen künstlerische Porträts von bekannten Persönlichkeiten. Walter Ballhause fotografierte Anfang der 1950er Jahre die Arbeiter der Plamag-Gießerei in Plauen, deren Technischer Leiter er nach dem Krieg wurde. Gundula Schulze Eldowys Straßenszenen aus Berlin, Helga Paris‘ Reportage über die Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims im Prenzlauer Berg und die Porträts von Menschen in Dörfern von Jürgen Nagel sind einfühlsame Aufnahmen von Randfiguren der sozialistischen Gesellschaft. Im westlichen Teil des Landes porträtierte Stefan Moses für das Projekt „Deutsche“ in den 1960er Jahren Repräsentanten unterschiedlicher Berufsgruppen mit ihren Arbeitsutensilien und in Berufskleidung, aber vor neutralem Hintergrund und damit vom Arbeitsumfeld freigestellt. Wenig später begann er ein Langzeitprojekt, für das er Prominente im Wald fotografierte. Im Zusammenspiel der „großen Alten“ mit dem „deutschen Wald“ entstanden außergewöhnliche Porträts. Der Großindustrielle Alfried Krupp von Bohlen und Halbach gewährte dem Fotografen Werner Bokelberg Einblicke in sein privates und berufliches Umfeld. Die Serien von Michael Ruetz über „Deutsche Charaktere“ oder die „Bonner Köpfe“ von Richard Schulze-Vorberg sind szenische Porträts von Politikern, Aktivisten und Künstlern, die das politische und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik in den 1970er und 1980er Jahren prägten.

Nach dem Mauerfall begab sich Stefan Moses wiederum auf die Suche nach den Deutschen, und auch seine ostdeutschen Porträts widmen sich den Vertretern bestimmter Berufsgruppen. In der Langzeitstudie von Angelika Kampfer und Ewald Hentze werden die Veränderungen durch die Vereinigung Deutschlands an den Arbeitsplätzen und -situationen Einzelner deutlich, während sich die ehemalige Teilung des Landes in den Berliner Porträts von Ursula Kelm nur noch in den Biografien der Dargestellten finden lässt. Katharina Vogel präsentiert ihre Bildserie über „Kinder aus Heimen der DDR“ fast gänzlich ohne Interpretationshilfen, der Betrachter erfährt nichts über das Alter, die Namen und die Geschichten dieser Kinder. Konrad R. Müllers Kanzlerporträts von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder zeigen die Gesichter fokussiert und ästhetisiert und geben dem sonst genormten Politikerporträt ein Stück Individualität.

Nach dem Krieg trat die Bedeutung von standardisierten Porträts in den Hintergrund. Als eines der letzten Überbleibsel dieser noch aus dem Kaiserreich stammenden Tradition blieb noch das offizielle Staatsporträt in den Amtsstuben erhalten. Die aktuelle Pressefotografie und mehr noch das Fernsehen übernahmen seit 1950 die flächendeckende Popularisierung der Gesichter des öffentlichen Lebens. Diese medialen Bilder der politischen und gesellschaftlichen Sieger und Verlierer, der Stars und Sternchen, sind kurzlebig und nutzen sich in ihrer permanenten Aktualisierung ab. In der Masse finden nur noch wenige Porträts Eingang in das kollektive Gedächtnis.

(Katrin Peters-Klaphake, Projektmitarbeiterin)

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