Ausstellungen

 

Reihe "FOTOGALERIE IM PEI-BAU"
PEI-Bau/ 2. OG, 9. Dezember 2005 bis 9. April 2006

 

Das Porträt im XX. Jahrhundert.
Die Fotografen Theo und Hans Schafgans

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
Kurator: Boris Schafgans
Ansprechpartner DHM: Dr. Dieter Vorsteher

 

1. Anfänge und Etappen
Im September 1908 begleitet Maria Schafgans ihren sechzehnjährigen Sohn im Nachtzug nach München. Für Theo Schafgans ist es der Beginn einer fotografischen Lebensreise, die über sechs Jahrzehnte anhalten wird.
In München erlebt er die Fotografie als gleichwertige Ausdrucksform neben der Malerei. Auf der „Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt“ begegnet er Frank Eugene Smith, einem der Hauptvertreter der kunstfotografischen Bewegung, der ihn lehrt, die spezifische fotografische Realität zu begreifen.
Seine Leidenschaften gelten dem Porträt, aber die umfassenden Kriterien seiner Ausbildung lassen ihn auf vielen Gebieten tätig werden. Landschaften, dokumentarische Sequenzen und komplexe Verfahren der Nachbearbeitung lassen noch in späteren Jahren und Jahrzehnten den großen Impuls erkennen, den der junge Theo Schafgans in München zwischen 1908 und 1911 erfuhr.

2. Gebrauchsfotografie
Porträt als Auftrag
„1911 kam ich nach Bonn zurück, warf den ganzen Krempel an Dekorationen und Kopfhaltern hinaus und zeigte den Bonnern unsere neuen Lichtbilder, die neben der Naturwahrheit auch darauf Anspruch machen konnten, B i l d e r zu sein.“
Schnell zeitigen die Errungenschaften der Münchner Ausbildung Erfolge. Es gelingt dem 19-jährigen, das Atelier seines früh verstorbenen Vaters wiederzuerrichten und mit neuem Prestige zu versehen.
Das Prinzip von Auftrag und Erwerb bleibt davon unberührt: Menschen lassen sich vom Fotografen aufnehmen, zahlen dafür und nehmen die Bilder mit nach Hause.
Die Resultate dieser eigenartigen Begegnung werden in den Familien von Generation zu Generation weitergereicht. Als Erinnerungsgegenstände und Zeitdokumente sind Porträtfotos ebenso Gebrauchsgüter wie dekorative Objekte und gehören oft zu den wenigen visuellen Zeugnissen, die vom vergangenen Leben übrig bleiben.

3. Bildmäßige Porträtfotografie
1913 – 1938
Schon früh porträtiert Theo Schafgans Künstler und Prominente, darunter zahlreiche Musiker wie den Komponisten Max Reger, dessen Bild von 1913 internationale Beachtung findet.
1919 wird Theo Schafgans Mitbegründer und jüngstes Mitglied der „Gesellschaft Deutscher Lichtbildner (G.D.L.) “, die als maßgebliche Fotografenorganisation die Entwicklung der deutschen Fotografie in der Weimarer Republik nachhaltig beeinflusst.
Die Bildnisse aus der Zwischenkriegszeit zeigen Theo Schafgans auf der Höhe des verinnerlichten „seelischen“ Porträts. Expressive Charakterstudien lassen die Dargestellten als Trägerinnen und Träger einer düsteren Melancholie erscheinen, andere beschreiben den untergründigen Typus des modernen Stadtmenschen.

4. Realismus
Zwischen Pictorial Photography und Neuem Sehen

Noch bis zum Ende der zwanziger Jahre bediente sich Theo Schafgans der Bromöldrucktechnik, die auch von anderen Fotografen wie Hugo Erfurth bevorzugt verwendet wurde. Sie gestattete den ambitionierten Porträtisten nach wie vor eine schöpferische Weiterbehandlung der Bildvorlage.
Am Übergang der zwanziger zu den dreißiger Jahren macht sich ein neuer Zug in den Porträts bemerkbar. Nachbearbeitungen des belichteten Originals entfielen jetzt allmählich, vielmehr wurde das Modell durch differenzierte Ausleuchtung in eine deutlichere Konfrontation zum Fotografen versetzt. Als technisches Detail diente eine Weichzeichnerlinse, auch sie wird später fortfallen.
Theo Schafgans verabschiedete sich damit vom Impetus seiner frühen Werke. Die umsichtige Versachlichung, die um 1930 einsetzte, zeigt einen Wandel an und antizipierte bereits die Grundlage für den Porträtstil der fünfziger Jahre.

5. Landschaften der dreißiger Jahre
Naturmotive im Schatten der Diktatur
Zeugt der fotografische Ertrag der Paris-Reise vom Herbst 1926 noch von einem Leben im Frieden, ist das Atelier nach 1933 nicht mehr der Ort, an dem sich so unbeschwert wie zuvor arbeiten lässt. Die neuen Machthaber bedrängen Theo Schafgans, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen und drohen, das Atelier zu schließen.
In Landstrichen der Umgebung fotografiert Theo Schafgans Motive, die in einem eigentümlichen Verhältnis zu Vorahnungen und Hoffnungen stehen. Die Reihe der Naturaufnahmen erscheint wie eine Parabel auf den Abschied. Und in das Nachtmotiv der Köln-Bonner Autobahn von 1936 stellt er sein Cabriolet auf, als wollte er damit ausdrücken: der Wagen gehört noch mir, ich kann damit noch wegfahren, und seine Scheinwerfer leuchten noch wie der Mond.
Theo Schafgans lässt sich von seiner Frau nicht scheiden, und er vermag es mit Geschick, das Atelier zu halten. Aber er spürt, dass es am Ende darum gehen wird, sich an geheimen Orten zu verbergen, um das Regime zu überleben.

6. Das Atelier im Dritten Reich
Als „arischer Teil einer Mischehe“ in einer antisemitischen Diktatur den „deutschen Fotografen “ zu mimen, wird zum komplexen Überlebensprogramm, das von vielen Unwägbarkeiten abhängt.
Parteimitgliedern ist es verboten, sich von Theo Schafgans ablichten zu lassen, nur wenige setzen sich darüber hinweg. Durch Aberkennung von Ämtern und Berufsrechten immer stärker eingeschränkt, zieht sich Theo Schafgans nach und nach aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, um seinen Namen nicht weiter auffallen zu lassen.
Eine Würdigung zum 50. Geburtstag des Fotografen erscheint zwar noch 1942, zu einer Zeit, in der sich Hilde Schafgans schon nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen darf. In seiner Lage kann Theo Schafgans anderen Verfolgten helfen und stellt in seinem Labor gefälschte Pässe her.

7. Tarnung
Im August 1944 wird Theo Schafgans verhaftet. Kurz darauf droht eine „Säuberungsaktion“, die Daheimgebliebenen zu erfassen. Hilde und Hans Schafgans tauchen unter, Theo Schafgans gelingt die Flucht aus dem Arbeitslager. Noch einmal kommt die Familie zusammen, um sich mit gefälschten Papieren auszustatten.
Das Leben in der Illegalität beginnt. Während Theo und Hilde in Richtung Südwesten fliehen, versteckt sich Hans zunächst auf einem Rheinkahn. Nach einer abenteuerlichen Odyssee, die ihn bis nach Berlin führt und bei der ihn mutige Freunde unterstützen, trifft auch er in dem kleinen Schwarzwaldort ein, in den sich seine Eltern flüchten konnten. In einer Pension erwartet die Familie unter dem Namen „Wiese“ das Ende des Dritten Reichs.
Im Juni 1945 kehrt man nach Bonn zurück. Das alte Ateliergebäude liegt in Schutt und Asche. Ein provisorisches Domizil wird bezogen. Am 2. Oktober 1945 nimmt Theo Schafgans dort sein erstes Porträt nach dem Krieg auf.

8. „Wir waren wieder frei.“
Theo Schafgans erinnert sich an die Rückkehr nach Bonn im Juni 1945
(Aus: Theo Schafgans, Sechs Jahrzehnte hinter der Kamera, 1969)
„Die Gerüchte, dass meine Frau und der Sohn sich das Leben genommen und ich im KZ umgekommen sei, waren uns ganz lieb gewesen, denn desto weniger suchte man nach uns.“
Wir besuchten die Ruine unseres Hauses und stiegen in den Keller hinunter, wo die wertvollen alten Glasnegative zu schweren unförmigen Brocken zusammengeschmolzen waren. [...]
In der Baumschulallee, in einem alten Patrizierhaus, mieteten wir die Parterrewohnung und begannen, den großen Salon zu einem Atelier herzurichten.
Aus einigen Latten und Pappdeckeln baute ich eine kleine Dunkelkammer, um die Negative einlegen zu können. Ein Kollege, der zu alt war, um weiter zu arbeiten, verkaufte mir seine alte ‚ehrwürdige’ Atelierkamera mit zwei Kassetten, die nur geringe Schäden davongetragen hatten, und ein Okuli 13x18-cm-Vergrößerungsgerät.
Mein altes Petzvalobjektiv hatte den Krieg, im Garten versteckt, überlebt. Meine Leica mit zwei Objektiven hatte ich wieder mitgebracht. Ein großes Beleuchtungsgerät holte ich aus unseren Trümmern und richtete es wieder mit Lampen ein. [...]
Im Oktober 1945 eröffnete ich mein Atelier wieder, nachdem es ein ganzes Jahr geschlossen gewesen war.“

9. Zeitgeschichtliche Porträts
Bildnisse der fünfziger und sechziger Jahre
Die Wahl Bonns zum Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland stellt Theo Schafgans vor neue Aufgaben. Den Anfang macht 1950 das offizielle Porträt von Theodor Heuss, das das öffentliche Bild des ersten deutschen Bundespräsidenten weithin prägt.
Ausgehend vom fortgeschrittenen Modell bildnismäßiger Porträtgestaltung, das in die dreißiger Jahre zurückreicht, entwickelt Theo Schafgans im Laufe der fünfziger Jahre einen zeitgemäßen Stil ausdrucksvoller Persönlichkeitsdarstellung: die „repräsentative Porträtfotografie“. Ab 1955 kommt auch der schwarze Hintergrund als kontrastbildendes Mittel wieder häufiger zum Einsatz.
Als sich Theo Schafgans 1967 zur Ruhe setzt, hat er seit der Wiedereröffnung des Ateliers im Oktober 1945 mehr als 16.000 Menschen aufgenommen und hinterlässt ein Zeitzeugnis der sich neu formierenden westdeutschen Gesellschaft im Spannungsfeld von Auftragsfotografie, künstlerischem Porträt und Amtsbildnis.

10. Architekturfotografie der Nachkriegszeit
Stationen und Wege
Die Phase des Wiederaufbaus bedeutet für den jungen Architekturfotografen Hans Schafgans eine besondere Herausforderung. Seit den späten vierziger Jahren fotografiert er für Behörden und Architekten eine Vielzahl öffentlicher Gebäude und Wohnungsbauten, oft in den unterschiedlichen Phasen ihrer Entstehung.
Fast beiläufig dokumentiert er auf diese Weise wichtige Etappen der räumlichen Entwicklung Bonns zum politischen Zentrum der Bundesrepublik.
Für Hans Schafgans, der sich seit seiner Jugend auch als Lyriker, Essayist und später als Romanautor betätigt, ist Architekturfotografie ein erzählerischer Vorgang. Vorausschauend schildert er die dauerhafte Prägung des Stadtbilds, die von den Planungen der fünfziger und sechziger Jahre ausgeht.

11. „Beim Porträtieren sind wir Menschen unter uns.“
Porträtfotografie seit 1973
1967 übernimmt Hans Schafgans die Leitung des Ateliers. Anfang der siebziger Jahre setzt seine intensive Auseinandersetzung mit der Porträtfotografie ein.
Hans Schafgans bezieht sich auf die Tradition des Künstler- und Politikerbildnisses, verfolgt jedoch seinen eigenen sachlichen Stil der „gleichen Augenhöhe“, in dessen Mittelpunkt zwar wie bei seinem Vater der seelische Ausdruck des Menschen steht, jedoch unverfänglicher und direkter aus der Konfrontation mit dem Fotografen erwächst und die psychologische Komponente des Dargestellten stärker betont als seine ästhetische Inszenierung.
„Ich verzichte auf jede Form von Inszenierung. Ich bevorzuge die Schwarzweiß-Fotografie, benutze eine Lichtquelle und glatte Hintergründe. Der Rest ist Gespräch und die Beobachtung, wann hinter der Schutzmaske des „Fotografier-Gesichtes“ die seelische Authentizität auftaucht, die repräsentativ für den Dargestellten ist. Ich mache Porträts von innen nach außen. Das Gesicht des Menschen muss sich öffnen.“

12. 151 Jahre Fotografie
Verfahren, Techniken und Arbeitsweisen im Lichtbildatelier Schafgans
Seit der Gründung 1854, die gerade 15 Jahre nach Erfindung der Fotografie erfolgte, gab es kaum ein gängiges fotografisches Verfahren, das nicht im Atelier Schafgans ausgeführt wurde.
Von kolorierten Salzdrucken, die nach Talbotypien gefertigt wurden, bis zum Schwarz-Weiß-Großabzug erstrecken sich die Zeugnisse aus dem Zeitalter der analogen Fotografie. Darunter finden sich manche Besonderheiten wie etwa die Drei-Farben-Handdrucke, die Theo Schafgans in den zwanziger Jahren nach dem Jos-Pe-Verfahren herstellte.
Das seit nunmehr 60 Jahren bestehende Nachkriegsarchiv enthält die gesamte Arbeit von Theo und Hans Schafgans seit 1945 in Form von nahezu einer Million Negativen.
Der Querschnitt aus der Technikgeschichte des Ateliers wurde mit wertvollen Originalkameras aus den Beständen des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg und des Deutschen Museums München angereichert. Bei allen gezeigten Modellen handelt es sich um Kameratypen, die Theo und Hans Schafgans nachweislich benutzt haben.

Link: Text zur Ausstellung
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