Der liberale Kronprinz stimmte ebenfalls dieser Staatsform zu. Die Realität sah jedoch ganz anders aus. Nach dem Tode König Friedrich Wilhelms IV. 1861 folgte sein Bruder Wilhelm I. auf den Thron, ein konservativer Monarch, der erst 1888, 91jährig, starb. Vickys Rolle und die ihres Mannes am preußischen Hof beschränkte sich auf ein langes Warten auf die Thronfolge. Als Fritz 1888 deutscher Kaiser wurde, war er bereits todkrank und starb nach 99tägiger Herrschaft an Kehlkopfkrebs. Wäre Vicky ein Mann gewesen, wäre ihr Leben anders verlaufen. Sie hätte in England bleiben und als ältester Sohn eines Tages König werden können. Als Frau mußte sie jedoch schon früh ihre Eltern verlassen, in ein fremdes, rückständiges Land ziehen und konnte politisch nur durch ihren Mann beziehungsweise durch ihren erstgeborenen Sohn wirksam werden.

Wie ihre Mutter war Vicky willensstark und emotional, gepaart mit wenig diplomatischem Geschick - Eigenschaften, die es ihr nicht gerade leichtmachten, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Der preußische Hof war durch strenge Etikette geprägt. Beispielsweise wurde das Abendessen um 17 Uhr in Abendkleid oder Uniform, hochdekoriert mit Schmuck und Orden, eingenommen. Danach folgten Empfänge, Theaterbesuche und Soireen. Vicky hatte wie ihr Vater Albert keinen Spaß an gesellschaftlicher Zerstreuung, ganz im Gegensatz zu ihrer Schwiegermutter Augusta. Erschwerend kam hinzu, daß das neue Heim von Vicky und Fritz zum Zeitpunkt ihrer Heirat noch nicht fertig war und die beiden vorübergehend ins Berliner Schloß zogen. Das Schlafzimmer der Prinzessin lag neben dem Sterbezimmer des Großvaters ihres Gatten, König Friedrich Wilhelms III. Dieser Raum war aus Ehrfurcht vor dem Toten seit Jahrzehnten nicht angetastet worden. Die junge Frau fürchtete sich, wenn sie den Raum auf dem Weg zu ihrem Boudoir oder Ankleidezimmer durchqueren mußte. Im Schloß gab es noch nicht einmal Badezimmer, was ihren Ehemann, der sich nach Soldatenmanier mit kaltem Wasser wusch, nicht störte. Die Fenster wurden nur selten aufgemacht, waren mit dicken Vorhängen verhängt, und in den düsteren Gängen war es zugig. Die Prinzessin ließ keine Gelegenheit aus, ihren Wunsch nach Licht, Luft und heißem Wasser zu äußern. Sie sprach ganz offen aus, daß "zu Hause" alles besser sei, zeigte ihre Abneigung gegen das preußische Zeremoniell und zog interessante Menschen den Angehörigen des Hofes vor. Vicky genoß die wenigen freien Stunden, die sie mit ihrem Mann alleine verbringen durfte und in denen sie der rigiden preußischen Etikette entfliehen konnte.