Von seiner frühesten Kindheit an hatte man Wilhelm zu verstehen gegeben, daß das Land, das er dereinst regieren würde, dem Britischen Empire unterlegen sei, und die grimmige Entschlossenheit, sich als gleichberechtigtes Gegenüber zu beweisen, verfolgte ihn sein ganzes Leben lang. Mit einem atemberaubenden Mangel an Einfühlungsvermögen klärte ihn seine "englische" Mutter darüber auf, daß England "das größte und mächtigste Reich der Welt [ist], in dem die Sonne nie untergeht! Und da England die freieste, die fortschrittlichste und fortgeschrittenste, und liberalste und die meist entwickelte Rasse der Welt ist, auch die reichste, so ist sie offensichtlich geeigneter als jede andere, um andere Länder zu zivilisieren!"12 Als der 17jährige Thronfolger einwandte, das Deutsche Reich werde eines Tages zur führenden Macht Europas aufsteigen, fuhr seine Mutter ihm dazwischen: "Du kannst sagen, daß Ihr den waghalsigsten Staatsmann in Europa besitzt und auch die größte und mächtigste Armee und außerdem, daß Eure Bevölkerung einen ansehnlichen Teil guter Eigenschaften besitzt, intelligent ist und zahlreiche gute und nützliche Einrichtungen hat, mit denen sie regiert werden kann. Aber leider kann ich die Meinung weder akzeptieren, daß die Regierungsform erstklassig ist noch die Entwicklung Eures Handels und der Landwirtschaft noch die sozialen Zustände bei Euch, selbst in der Kunst könnt Ihr die anderen nicht schlagen - und Ihr seid rückständig in vielen vielen Dingen, in denen zivilisierte moderne Nationen perfekt sein müssen, wenn sie sich mit dem Gedanken tragen, Führer der anderen zu sein!"13 Ein solches "Urgiren englischer Überlegenheit", wie Wilhelms Lehrer Hinzpeter es nannte14, mußte natürlich die Arbeit seiner militärischen Ausbilder, die den künftigen König und Kaiser in eine "preußische" Richtung lenken sollten, erheblich erleichtern, und dies um so mehr, nachdem man Hinzpeters Plan aufgegeben hatte, den Prinzen für ein Jahr nach Oxford zu schicken. Es wäre vielleicht die letzte Gelegenheit gewesen, seine Einstellung zu ändern.Im Lauf der 1880er Jahre verfestigten sich Wilhelms reaktionäre und englandfeindliche Ansichten. In Briefen an den Zaren beschimpfte er seine Eltern und seinen Onkel Albert Edward, den Prince of Wales, als liberale englische Agenten, die nichts anderes im Sinn hätten, als Königin Victorias anglo-coburgisches Programm durchzusetzen. Seinem Großvater hinterbrachte er ausführliche Informationen über die sexuellen Ausschweifungen des Prince of Wales in Wien.15 In einem ersten von zahlreichen kontraproduktiven Versuchen, Wilhelm zu einer freundlicheren Einstellung zu zwingen, ließ Victoria ihm 1885 durch den Prince of Wales mitteilen, daß er in England derzeit nicht willkommen sei.
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