Als Victoria nach ihrer in London gefeierten Hochzeit England verläßt und am 8. Februar 1858 in Berlin festlich empfangen wird, trifft sie die Hauptstadt des Königreichs Preußen als eine Residenzstadt im Wandel an. Der Hof und sein Kulturbeamtentum sind zwar noch immer der bestimmende Faktor bei der Umsetzung künstlerischer Ideen. Daneben kommen aber in einer aufstrebenden Industriestadt wie Berlin die Fabrikanten und auch die Bankiers allmählich immer stärker zum Zug. Private Sammlungen von Gewicht sind selten, jedenfalls nicht mit denen in Paris und London vergleichbar. Die Museen prosperieren und erhalten Neubauten wie das Neue Museum und den Tempelbau der Nationalgalerie, nun schon in der dritten Generation von Klassizisten aus der Nachfolge Karl Friedrich Schinkels. Es hat den Anschein, als wolle man sich von diesem in Berlin so erfolgreichen, durchgeistigt wirkenden, Assoziationen an die moralischen und geistigen Werte der griechischen Antike, die Förderung der Bildenden und Darstellenden Künste vermittelnden, in der Zwischenzeit "preußisch" gewordenen Kunststil nie mehr trennen.

Eben jener der Schinkel-Tradition entstammende Architekt, der gerade noch mit einer monumentalen Tempelkopie für eine Nationalgalerie befaßt war, Heinrich Strack, erhält den Auftrag, das sogenannte "Königliche Palais" umzubauen. Dieses ursprünglich in den Ausmaßen eher bescheidene, aus der Barockzeit stammende Gebäude ist seit dem Tode des Königs Friedrich Wilhelm III. seit 1840 verwaist. Mit dem nun wieder so genannten Kronprinzenpalais erhält Berlin nach der radikalen Umgestaltung der Fassade einen Bau, der - zumindest, was die Palais des Hofes anbelangt - ein Gründungsbau des von der Schinkel-Tradition sich abkehrenden Historismus genannt werden kann. Da er zwischen 1856 und 1857 im Hinblick auf eine Verheiratung des Prinzen umgestaltet wurde, reflektiert er den Geschmack Friedrich Wilhelms. Der zukünftige Ehemann der Princess Royal von Großbritannien und Irland ist zu jener Zeit 25 Jahre alt und durch Ausbildung und Studium durchaus befähigt, sich zu seinen Vorlieben auf dem Gebiet der Architektur und der Kunst allgemein zu artikulieren. Er ist in verschiedenen Funktionen gereist, kennt London, Paris und St. Petersburg. Friedrich Wilhelm wird zeit seines Lebens "Fridericiana" sammeln, um den großen Vorfahren immer vor Augen zu haben. Friderizianisch und international zugleich soll in der Nachbarschaft von Oper und Universität und gegenüber dem Zeughaus die neue Fassade des Kronprinzenpalais mit ihren dichten Pilastergliederungen und engen Fensterstellungen, bei der viel "Schulmäßiges" aus Stichwerken des 18. Jahrhunderts und die Erfahrung des weitgereisten Architekten mit der europäischen Palastarchitektur - Risalite des Schlosses von Versailles - mitklingt, auch sein.