PFAHLHEIM: EINE AUSGRABUNGSRUINE DES 19. JAHRHUNDERTS
 
Die Deutung
Die Analyse des Fundmaterials zeigt, ungeachtet der unzulänglichen Fundüberlieferung, dass dem Friedhof von Pfahlheim eine Sonderrolle zukommt. Obwohl das Gräberfeld nur teilweise ausgegraben ist und vermutlich eine Reihe von Bestattungen nicht bekannt oder fehlgedeutet wurden, kann aus dem Fundgut rekonstruiert werden, dass in dem untersuchten Areal zwischen 1883 und 1905 mindestens 49 Gräber mit 60 bis 70 Bestattungen angetroffen wurden. Beigabenlose Gräber und Kindergräber wurden allerdings nicht erfasst. Aufgrund geschlechtsspezifischer Beigaben sind 38 Männer- und 19 Frauengräber nachzuweisen. Bei den Männern waren 34 mit Waffen ausgerüstet, wobei die hohe Anzahl von mindestens 13 Reiterbestattungen auffällt. Die bisher bekannten Grabinventare gehören ausnahmslos dem 7. Jahrhundert an, woraus aber in keinem Fall zu folgern ist, dass die zum Friedhof gehörige Siedlung nur in dieser Zeit bestand. Vielmehr ist zu vermuten, dass nur ein willkürlicher Ausschnitt aus dem Friedhof erfasst ist, dessen Belegung schon im 6. Jahrhundert begann. Dies tut aber der Feststellung keinen Abbruch, dass die in Pfahlheim ansässige Bevölkerung im 7. Jahrhundert eine besondere Funktion gehabt haben muss, die keinesfalls agrarisch begründet werden kann. Der hohe Prozentsatz von Reiterbestattungen, deren zum Teil qualitätvolle Beigaben weitreichende kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen belegen, ist außergewöhnlich und hat schon früh Anlass zu Spekulationen über die politische Funktion der hier Bestatteten gegeben.
So wurde vermutet, dass der Friedhof auf dem Mühlberg die Grablege eines landfremden Reiterpostens gewesen sei, der im fränkischen Auftrag die wichtige Fernstraße von Worms über Nördlingen nach Augsburg vor den unruhigen Alamannen zu schützen hatte. Andere Überlegungen gingen dahin, dass die hervorragende Stellung des Friedhofs mit der geographisch-politischen Situation im Grenzraum des fränkisch-alamannisch-bayerischen Siedlungsgebietes am Rande des großen schwäbisch-fränkischen Waldgürtels im Zusammenhang stehe. Teilfaktoren dieser Auslegungen können sicher nicht außer acht gelassen werden, doch dürfte es sich bei den aufgedeckten Gräbern eher um den willkürlichen Ausschnitt eines größeren Friedhofs handeln, der zum Sitz einer bedeutenden Grundherrschaft gehörte, auf dem der ortsansässige "Adel" mit seinen Dienstmannen und Abhängigen bestattete. Wahrscheinlich hat die Konzentration von Reitergräbern in Pfahlheim einen realen, heute nicht mehr erkennbaren politischen Hintergrund, der mit der Straßen- und Gebietssicherung in Zusammenhang steht. Vermutlich kam Pfahlheim im 7. Jahrhundert eine militärisch-strategische Bedeutung zu, wobei das Vorhandensein von Frauengräbern im Friedhof diesem Postulat nicht entgegensteht. Nichts spricht für die Ansiedlung von Ortsfremden, da es sich bei den Toten von Mühlberg, nach Ausweis der Fundtypen und Beigabenkombinationen, einwandfrei um Alamannen handelt. Der sich im Fundgut wiederspiegelnde Habitus ist originär alamannisch und kann deutlich von den fränkisch bestimmten Landschaften jenseits des schwäbisch-fränkischen Waldgürtels abgesetzt werden. Zugleich verdeutlichen die importierten Luxusgüter in den Gräbern rege materielle und geistige Beziehungen zum langobardischen Italien. Die reichen Gräber in Pfahlheim wurden gerade zu der Zeit angelegt, als das Herzogtum Alamannien eine weitgehende Unabhängigkeit von der fränkisch-merowingischen Zentralgewalt erreicht hatte. So ist nicht abwegig, die zum Friedhof auf dem Pfahlheimer Mühlberg gehörende Siedlung als Sitz einer adligen Grundherrschaft zu interpretieren, die im Auftrag des Herzogs militärische Funktionen wahrnahm. An welcher Stelle dieser vermutliche Adelssitz in der Pfahlheimer Gemarkung zu suchen ist, ob im Bereich des heutigen Dorfkerns oder anderswo, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Genausowenig können wir uns ein Bild von seinem Aussehen machen, da merowingerzeitliche Siedlungen in Süddeutschland kaum ausgegraben sind.
Der Friedhof liegt etwa 400 Meter von der Nikolauskirche im Dorfkern entfernt, jenseits der Senke des Weiherbaches am Nordhang des Mühlberges. In Analogie zu rheinländischen Befunden müsste der zum heutigen Dorf Pfahlheim gehörige frühmittelalterliche Friedhof irgendwo nordwärts oberhalb des heutigen Dorfes liegen, während die zum bekannten Friedhof gehörige Siedlung am Fuß des Mühlberges zu suchen wäre. Dass mehrere Reihengräberfelder in einer Orts- gemarkung liegen, ist kein Ausnahmefall sondern eine durchaus geläufige Erscheinung. So ist auch aus dem Pfahlheimer Ortsbereich eine zweite merowingerzeitliche Fundstelle bekannt, die auf das Vorhandensein eines weiteren Reihengräberfriedhofes hindeutet. Am "Rennweg", etwa einen Kilometer südöstlich von Pfahlheim, brach 1876 ein Pferd beim Pflügen in ein zwei mal einen Meter großes Holzkammergrab ein, aus dem die Bruchstücke eines Lindenholzkästchens geborgen wurden. Auf der Schauseite sind zwei geflügelte Gestalten zu sehen, die als Erzengel Michael und Gabriel gedeutet werden. Die zu diesem Friedhof gehörende Hofstatt dürfte in der Flur "Sulz" zu suchen sein. Sie ist irgendwann im frühen Mittelalter verödet oder wurde, wie vielleicht auch die Siedlung am Fuße des Mühlberges, nach Pfahlheim verlegt. Gleichgültig, ob der zum Friedhof auf dem Mühlberg gehörige Adelssitz Vorläufer des heutigen Ortes war, kann festgehalten werden, dass der Platz irgendwann im 8. Jahrhundert seine militärische und damit auch wirtschaftliche Bedeutung verlor. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit den großen politischen Ereignissen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als die karolingischen Hausmeier daran gingen, die Selbständigkeit Alamanniens zu beenden. Wo der frühe alamannische Adel, der mit Sicherheit in den reichsten Gräbern von Pfahlheim fassbar wird, nach dem Auflassen des Friedhofes (um 700) bestattete und ob er seinen Status überhaupt bis in die Karolingerzeit wahren konnte, muss dahingestellt bleiben.
 
 
 
 
 
Wilfried Menghin
 
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