Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Conseil général de la Moselle. Sie wird in veränderter Form unter dem Titel "Huguenots. De la Moselle à Berlin. Les chemins de l'exil" vom 10. November 2006 bis 10. März 2007 im Temple Neuf in Metz gezeigt.
Die Ausstellung Zuwanderungsland Deutschland. Die
Hugenotten wird als Beitrag zur aktuellen, europaweit geführten
Diskussion zum Thema Migration verstanden. Zeigt die gleichzeitig
im Deutschen Historischen Museum stattfindende Ausstellung Zuwanderungsland
Deutschland. Migrationen 1500-2005 fächerartig unterschiedlichste
Migrantengruppen und Formen von Migration, wird hier der Blick beispielhaft
auf die bekannteste Gruppe von Zuwanderern in protestantische Länder
des Heiligen Römischen Reichs, nach England und Holland gelenkt.
Denn am historischen Beispiel der Hugenotten vereinen sich auf einzigartige
Weise bis heute aktuelle Aspekte der vielschichtigen Migrationsproblematik.
Keine Migrantengruppe der frühen Neuzeit ist durch Objekte
und Quellen so gut dokumentiert wie die Hugenotten.
Um diese angemessen thematisieren zu können,
greift die Ausstellung sowohl die Geschichte der französischen
Protestanten in ihrem Heimatland auf, als auch ihre Aufnahme und
Eingliederung in den Hauptzufluchtsländern nach der Widerrufung
des Toleranzedikts von Nantes 1685 durch Ludwig XIV. von Frankreich.
Denn insbesondere jetzt setzte eine große Fluchtwelle ein,
welche die Ankommenden in den Aufnahmeländern als festumrissene
Gruppe deutlich werden ließ.
Der Rundgang der etwa 450 Exponate umfassenden Ausstellung
beginnt mit der Geschichte der Hugenotten in Frankreich. Im Gegensatz
zu den deutschen Territorien, in denen sich die Religionszugehörigkeit
seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 nach dem Bekenntnis
des Landesherren richtete, hatte sich die Reformation in Frankreich
gegen den Willen der Könige ausgebreitet. In ganz Frankreich
entstanden Gemeinden, in denen sich Gläubige aus allen Bevölkerungsschichten
zusammenfanden. Der Übertritt eines bedeutenden Teils des Hochadels
ließ die zunächst rein religiöse Auseinandersetzung
schnell in eine politische umschlagen. In der berühmten Bartholomäusnacht
am 24. August 1572 wurde auf Veranlassung der Regentin Katharina
Medici ein Massaker an den Hugenotten verübt, das ihnen auch
ihre politischen Köpfe raubte. 1598 erließ Heinrich IV.
mit dem Ziel der innenpolitischen Befriedung seines Königreichs
das Edikt von Nantes, das den Protestanten freie Religionsausübung
und eine politische Sonderstellung einräumte.
Unter Ludwig XIV. sollte der andauernde Konflikt der
widerstreitenden Parteien, die die katholische Konfessionalität
förderten oder hemmten, gelöst werden. Die Widerrufung
des Edikts von Nantes 1685 – die sogenannte Revokation - und
die anschließende Flucht hunderttausender Protestanten war
die Konsequenz der absolutistischen Politik, die konfessionelle
Homogenisierung als notwendiges Element der staatlichen Einheit
und Machtssicherung des Königs betrachtete. Um den inneren
Frieden zu gewährleisten, sollte der konfessionellen Entzweiung
vorgebeugt werden. Die bereits zuvor bestehende, gesetzlich verankerte
Benachteiligung der Protestanten wich nun der Auffassung, daß
es keinen Platz für andersgläubige Untertanen mehr geben
sollte.
Obgleich Ludwig XIV. den Hugenotten die Auswanderung
unter Androhung von Strafen verboten hatte, verließen zwischen
1685 und 1705 mehr als150.000 reformierte Franzosen Frankreich,
um der befohlenen Konversion zum katholischen Bekenntnis zu entgehen.
Da die hugenottische Auswanderung illegal war, ergab sich in den
ersten Monaten nach der Revokation des Edikts von Nantes eine spontane,
ungeplante Fluchtbewegung. Es flohen einzelne Personen, Familien,
Unternehmer mit ihren Arbeitern und manchmal sogar ganze Gemeinden.
Die Hugenotten erwarteten unterschiedliche politische,
rechtliche und ökonomische Bedingungen in den Hauptaufnahmeländern
des Heiligen Römischen Reichs, in den Niederlanden und in England.
Grundsätzlich erfolgte die Erlaubnis zur Einwanderung gezielt
nach wirtschaftlichen Erwägungen, d.h. in Übereinstimmung
mit der merkantilistisch geprägten Wirtschaftspolitik. Entsprechend
kann keineswegs von einer einheitlichen Wirkung des hugenottischen
Zuzugs in den Aufnahmeländern ausgegangen werden. Der wirtschaftliche
Zuwachs erfolgte am ehesten im Manufakturbereich durch die zugewanderten
Handwerker. Die Ansiedelung von zur Herstellung von Luxusgütern
befähigter Handwerker war oftmals mit Prestigedenken verbunden.
Man wünschte Erzeugnisse von hoher Qualität, die einen
europäischen Markt erreichen konnten.
Die Hugenotten selbst kamen hingegen mit präzisen
Vorstellungen bezüglich ihrer Religionsausübung in die
Aufnahmeländer. Häufig existierten bereits vor der Revokation
mehr oder weniger eigenständige französisch-reformierte
Kirchen im Ausland oder sie wurden mit Unterstützung der aufnehmenden
Fürsten aufgebaut. Als erste Anlaufstelle der Flüchtlinge
konnten sie die nötige Hilfestellung leisten. Die Kirche war
also nicht mehr nur wie ehedem in Frankreich die religiöse
Heimat der Gläubigen, sondern gleichermaßen das integrative
Zentrum des sozialen Lebens der französischen Fremden. In den
ersten Jahren bewirkten äußere Zwänge im Zusammenspiel
mit einer inneren Disposition zur gegenseitigen Hilfe eine schnelle
Wiederherstellung gemeinschaftlicher Strukturen. Die Integration
in die Gesellschaft der Aufnahmeländer waren in erster Linie
abhängig vom Grad der zugestandenen kulturellen und rechtlichen
Eigenständigkeit der Hugenottengemeinden.
Die Geschichte der Hugenotten ist weitgehend als eine
„Erfolgsgeschichte“ beschrieben worden, bei der vor
allem die wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Innovationen,
die sie mitbrachten, hervorgehoben wurden. Dies gilt in besonderem
Maße für die von Hugenotten oder ihren Nachfahren verfaßten
Darstellungen zur Geschichte des „Refuge“. Sie zeigen
bereits im 18. Jahrhundert deutliche Anzeichen zu einer hugenottischen
Traditions- und Legendenbildung, die sich im 19. Jahrhundert schließlich
zu einer bis in die heutigen Tage hinein wirkenden verklärenden
Sicht verfestigten.
Zu fragen bleibt, welchem Zweck die Historisierung
von Flucht und Aufnahme der Hugenotten diente, inwiefern sie die
Gruppenidentität und die Politik der Aufnahmeländer spiegelt
und als Gradmesser für Integration zu betrachten ist. Dies
ist auch vor dem Hintergrund neuerer Forschung zu sehen, die zunehmend
auf die schweren Lebensbedingungen und das keineswegs immer als
„Erfolgsgeschichte“ verlaufene Leben im „Refuge“
verweist.
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