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1945
– ARENA DER ERINNERUNGEN
»Das Vergangene ist
nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.«
William Faulkners berühmte Sentenz,
ursprünglich ein Dialogsatz einer Figur
in »Requiem for a Nun«, wurde,
gerade in Deutschland, zum geheimen Motto
einer neuen Beschäftigung mit der Geschichte.
Genauer: der Beschäftigung mit dem
Nationalsozialismus. Schon für Faulkner
war es ein polemischer Satz, er bezog sich
auf den Bestseller »Vom Winde verweht«.
Scarlett O´Hara beginnt in diesem
Roman ihr Leben nach dem Bürgerkrieg,
angesichts des heruntergewirtschafteten
väterlichen Anwesens, der brach liegenden
Felder nach kurzer Ermattung und Resignation
mit ihrem Motto: »Das Vergangene war
vergangen, die Toten waren tot.« Sie
stürzt sich in den Wiederaufbau, zielstrebig
und erfolgreich vor allem deswegen, weil
sie sich keinen Blick zurück gestattet.
Alexander Kluge, Christa Wolf oder Alfred
Andersch zitierten Faulkners Satz, weil
sie den Blick zurück für notwendig
hielten. Dass das Vergangene nicht tot sein
sollte, das galt ja vor allem, weil es so
lange vergessen, verdrängt oder nun
in einer dem nationalen Selbstbild zuträglichen
und schmeichelnden Form erinnert wurde.
Historische Erinnerung gilt nie einfach
dem Vergangenen, wie es wirklich war. Sie
ist selektiv, wertend, voller Vorlieben
und Ausgrenzungen – nirgendwo mehr
als in Fällen der schmerzlichen Erinnerung.
Der Zweite Weltkrieg und der Völkermord
an den Juden Europas waren daher in Deutschland
ein Beispiel für »umkämpfte
Erinnerung«. Es dauerte lange, bis
Holocaust und Vernichtungskrieg zu Themen
der öffentlichen Diskussion wurden.
Unter ganz anderen Bedingungen lässt
sich auch für andere Staaten von einer
merklichen Veränderung der Perspektive
auf den Zweiten Weltkrieg sprechen. Die
Geschichtskonstruktionen, die unmittelbar
nach Kriegsende allgemein akzeptiert waren,
sind es heute nur noch in wenigen Fällen.
Die oft heroische Formulierung der »eigenen
Geschichte« ist skeptischeren Auffassungen
gewichen.
Der Film hat diese Geschichtsbilder vermutlich
wirkungsvoller als andere Medien geprägt.
Nicht nur im Prozess der Verklärung
der eigenen Geschichte, auch in der Revision
dieser Bilder spielte er eine entscheidende
Rolle. Dabei war er wohl nur in seltenen
Fällen der Auslöser von Neuorientierungen.
Häufiger aber gab er ihnen die prägende
Form. Die Filmreihe zeigt Beispiele aus
mehr als zehn Ländern.
SHRINKING
CITIES
Das Shrinking Cities Film-Festival
wird sich mit dem Gang-Film einem Genre
widmen, in dem das Thema (Schrumpf)Stadt
in unterschiedlichsten Schattierungen zur
Darstellung kommt.
Entlang der historischen Entwicklung des
Genres werden wir Filme zeigen, die –
Glanzlichter sowieso – sich insbesondere
durch einen präzisen topographischen
Blick und räumliche und soziologische
Genauigkeit auszeichnen. Ein frühes,
erstaunliches Beispiel dafür ist William
Wylers Film »Dead End« von 1936.
Der Clash der Kulturen von Arm und Reich
an den Docks von Manhattan, wo Kinderbanden
in die Fänge eines Gangsters (Humphrey
Bogart) geraten, wird in einer kunstvollen
Studioanlage dennoch hyperrealistisch abgearbeitet.
In dem Kultklassiker »The Warriors«
von Walter Hill wird dieses Sujet aufgenommen,
inzwischen jedoch – der Film ist von
1986 – ist ganz New York sozial/rassisch
segregiert, jedes dieser Quartiere wird
von einer Gang kontrolliert. Die Gang gilt
fast immer als Indiz sozialer Dekomposition,
die in einem ursächlichen Zusammenhang
mit dem Stadtbild steht. Für die 90er
Jahre ist Bruno Dumonts wunderbarer Film
»La vie des Jesus« – gedreht
in der französischen Provinz –
ein gutes Beispiel dafür. In einer
ehemaligen Bergbauregion – die Häuser
stehen noch, aber die Arbeit ist weg –
schlägt eine Gruppe Jugendlicher, die
von der Zukunft nichts zu erwarten haben,
ihre Zeit mit Mopedfahren und Autoschrauben
tot. Die Depressivität des Ortes atmet
aus jedem Bild, dabei schafft es Dumont
jedoch, noch in der kleinsten Banalität
des Alltags ein Geheimnis aufscheinen zu
lassen.
Das Filmprogramm wird mit Filmen wie den
genannten beste Kinematographie zeigen und
dabei zum Sujet Schrumpfstadt neue Zugänge
eröffnen.
Wenn
die Kraniche ziehen
Letjat schurawli
UdSSR 1957, R:
Michail Kalatosow, D: Tatjana Samoilowa,
Alexej Batalow,
Wassili Merkurjew, 95’ | dt.
Fass.
Mit seinem Film Letjat
schurawli wurde der Regisseur Michail Kalatosow
als Erneuerer des sowjetischen Films nach
Stalins Tod bekannt. Die Kamerafahrten,
Montagen und die expressiven Einstellungen
waren für diese Zeit außerordentlich.
Der Film erzählt eine Liebesgeschichte,
die außerhalb der heroischen Legenden
steht und trotzdem die Sinnlosigkeit des
Krieges betont:
1939 verlieben sich in Moskau die junge
Veronika und Boris ineinander. Bevor sie
heiraten können, muss Boris in den
Krieg ziehen. Bei einem Luftangriff wird
Veronikas Elternhaus zerstört, ihre
Eltern sterben in den Trümmern. Boris’
Eltern nehmen die junge Frau bei sich auf.
Aus Verzweiflung und großer Einsamkeit
heiratet sie Boris’ Bruder, doch die
Ehe zerbricht bald. Sie will die Nachricht,
dass Boris inzwischen gefallen ist, nicht
glauben. Jeden Tag erwartet sie zurückkehrende
Einheiten am Bahnhof, um den Geliebten mit
Blumen zu empfangen. Als die letzten Soldaten
wieder zu Hause sind, erkennt sie ihr vergebliches
Tun: Weinend verschenkt sie sie Blumen.
Wenn die Kraniche ziehen war einer der Welterfolge
des sowjetischen Kinos der fünfziger
Jahre und wurde beispielsweise in der DDR
und der Bundesrepublik fast gleichzeitig
gestartet. 1958 gewann er in Cannes die
Goldene Palme.
am 01.10.
um 18.15 Uhr
am 02.10.2004 um 20.30 Uhr
Einführung
Jan Kindler
Hein Petersen –
Bilder aus dem Leben eines Schiffsjungen
D 1917/21, P: Bild- und
Filmamt /
Universum-Film AG, Kulturabteilung, Berlin,
22’
Eine gängige Strategie
militärischer Filmpropaganda nach 1918
war die Wiederzulassung von Filmen des ehemaligen
kaiserlichen Bild- und Filmamtes, dessen
Archiv in großen Teilen von der Kulturabteilung
der inzwischen gegründeten Ufa übernommen
worden war. So fand auch der im Sommer 1917
von der Bufa auf Veranlassung der »Schiffsjungen-Ausbildungs-Division«
in Flensburg-Mürwik hergestellte Werbefilm
Hein Petersen – Vom Schiffsjungen
zum Matrosen eine zweite Veröffentlichung
im Jahr 1921. Stimmungsvolle Bilder von
seemännischer und sportlicher Ausbildung,
die ursprünglich noch kurz vor Kriegsende
jugendlichen Nachwuchs für den Dienst
in der Marine begeistern sollten, warben
jetzt für die neue Reichsmarine und
ihre ungebrochenen Flottenträume. Das
Zeughaus zeigt die 1921 von der Ufa mit
neuem Untertitel in die Kinos gebrachte
zweite Fassung, die mit 510 von ursprünglich
991 Metern um fast die Hälfte auf Beiprogrammlänge
gekürzt worden war und so als Bestandteil
des öffentlichen Kinoprogramms auch
das »Binnenland« erreichen sollte.
mit Klavierbegleitung
When
Fleet meets Fleet –
A Romance of the Great
Battle of Jutland Die
versunkene Flotte D/ GB
1926/27, R: Manfred Noa, Graham Hewett,
D: Agnes Esterhazy,
Bernhard Goetzke, Hans Mierendorff, WernerPittschau,
Heinrich
Goerge, Hans Albers, Käthe Haack, 97’ | engl.
Zwt.
Die Produktion abweichender
Fassungen für ausländische Filmmärkte
stellte nach dem Ersten Weltkrieg eine gängige
Praxis dar. Dies gilt auch für den
1926 entstandenen Film Die versunkene Flotte,
der von der Kieler Woche 1914 über
die Schlacht am Skagerrak 1916 bis zur Selbstversenkung
eines kaiserlichen U-Bootes 1919 Marinegeschichte
rund um den Ersten Weltkrieg als Rahmen
für melodramatische Liebesaffären,
Freundschaft und Rivalität im deutsch-englischen
Marinemilieu einsetzt. Da die ursprüngliche
deutsche Fassung weiterhin als verschollen
gilt, zeigt das Zeughaus eine Fassung für
den britischen Filmmarkt, die gezielte Änderungen
aufweist. So wurde aus einer deutschen Offiziersfrau
(Agnes Esterhazy), der ein englischer Seeoffizier
verfällt, eine geborene Engländerin,
die zudem am Ende seinem Werben nachgibt.
Dies hatte man dem deutschen Publikum so
kurz nach dem Krieg nicht zumuten wollen.
In der deutschen Fassung hatte sie sich
noch Bedenkzeit ausgebeten.
Regisseur Manfred Noa legt den Schwerpunkt
deutlich auf die melodramatische Handlungsebene,
doch werden auch hier alle Aspekte der kriegerischen
Rahmenhandlung in personalisierter Form
abgehandelt. Im Gegensatz zum ungleich erfolgreicheren,
nur eine Woche später uraufgeführten
maritimen Heldenepos Unsere Emden findet
sich bei Noa neben ausgefeilter Schauspielführung
eine eher zurückhaltende Heroisierung
der deutschen Flotte, wozu auch die anfängliche
Betonung deutscher Versöhnungsabsichten
gegenüber England gehört. Dahinter
stand jedoch weniger politisches als geschäftliches
Kalkül: mit dem je nach Geschmack »militaristischen
Pazifistenfilm oder pazifistischen Militärfilm«
(Film-Kurier) sollte in Deutschland linkes
wie auch nationalistisches Publikum angesprochen
werden – ein für das polarisierende
Weimarer Kino ungewöhnlicher Versuch.
Der Film vervollständigt nicht nur
unsere Kenntnis eines wenig bekannten Regisseurs
der zwanziger Jahre, er zeigt darüber
hinaus zwei Star-Schauspieler des deutschen
Films am Anfang ihrer Karrieren: Heinrich
George als grobschlächtig-pflichtgetreuer
Bootsmaat und Hans Albers als revolutionär
angehauchter Heizer sind hier nicht nur
politische Gegner, sondern auch Rivalen
um die Gunst einer Kieler Wirtsfrau (Käthe
Haack) – wen Opfertod und wen Liebesglück
erwartet, entscheidet nach nationalistischer
Konvention die »richtige« Gesinnung.
mit Klavierbegleitung
am 01.10.2004
um 20.30 Uhr
Roma
città aperta
Rom, offene Stadt
I 1945, R: Roberto
Rossellini, D: Anna Magnani, Aldo Fabrizi,
Marcello Pagliero, Maria Michi, 100’ | OF
Rossellinis neorealistisches
Meisterwerk berichtet vom Kampf und vom
Untergang einer Widerstandsgruppe zur Zeit
der deutschen Besetzung Roms im Jahr 1944.
Das erschütternde Drama über die
Auswirkungen des Krieges auf menschliche
Werte und Beziehungen wurde noch während
der deutschen Besatzung Roms heimlich geplant
und unmittelbar nach der Befreiung durch
die Alliierten gedreht. Ursprünglich
sollte es nur ein kurzer Dokumentarfilm
über die Ermordung eines Priesters
durch die Deutschen werden. Während
der Dreharbeiten entwickelte sich jedoch
eine damit verknüpfte Geschichte immer
mehr zum zentralen Element: die Geschichte
des von der Gestapo gejagten Widerstandsführers
Manfredi, der von einer Freundin, die ihm
Unterschlupf gewährt, aus Angst verraten
wird. So ergab sich aus der Improvisation
eine faszinierende Kreuzung aus Dokumentarischem
und Fiktionalem, deren aufrüttelnder
Appell zur Anteilnahme nichts von seiner
Wirkung verloren hat.
»Anders als in seinen späteren
Filmen hat Rossellini in Roma città
aperta die ideologischen Fronten derb gezeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich der Zustimmung
aller Italiener sicher sein.« (Thomas
Meder)
am 02.10.2004
um 18.15 Uhr
am 03.10.2004 um 20.30 Uhr
Ivans
Kindheit
Iwanowo Djetstwo UdSSR
1962,
R: Andrej Tarkowski, D: Kolja Burjajew,
Valentin Subkow,
Jewgeni Scharikow, 97’ | dt.
Fass.
Der Film beschreibt in
Rückblenden die Geschichte einer kurzen
und vom Krieg zerstörten Kindheit.
Ivans Vater ist schon zu Beginn des 2. Weltkriegs
als Grenzsoldat gefallen, seine Mutter und
seine Schwester wurden umgebracht. Er selbst
fiel in die Hände der Deutschen; dem
Todeslager, in dem er interniert wurde,
konnte er unter traumatischen Umständen
entkommen.
Jetzt ist Ivan 12, arbeitet für die
sowjetische Feindaufklärung und riskiert
dabei sein Leben. Sein Vorgesetzter schließt
den Jungen ins Herz und will ihn ins ungefährliche
Hinterland auf eine Militärakademie
schicken. Doch Ivan will unter allen Umständen
weiter gegen die Deutschen kämpfen.
Auf seine inständige Bitte hin schickt
ihn sein Vorgesetzter schweren Herzens noch
einmal hinter die feindlichen deutschen
Linien. Der Junge verschwindet lautlos in
den Nebelschwaden am Fluss.
Jäher Szenenwechsel und Zeitsprung:
dokumentarische Bilder zeigen den Einmarsch
der Roten Armee in Berlin, die deutsche
Kapitulation. Sowjetische Soldaten sichten
Gestapo-Akten: »Erschossen –
hingerichtet – erschossen...«
Unter den Fotos der Ermordeten ist auch
das von Ivan.
»Tarkowski wollte die Zerstörung
einer Kindheit durch den Krieg demonstrieren.
Deshalb unterläuft er die Wirklichkeit
immer wieder mit verfremdeten Erinnerungs-
oder Traumbildern, die Krieg und Brutalität
mit den verpassten Glücksmöglichkeiten
eines Kindes konfrontieren.« (Reclams
Filmführer)
am 07.10.2004
um 18.15 Uhr
am 10.10.2004 um 18.15 Uhr
Jakob
der Lügner
DDR 1975, R: Frank Beyer,
D: Vlastimil Brodsk´y, Erwin Geschonneck,
Henry Hübchen, Blanche Kommerell, 101’
In einem osteuropäischen
jüdischen Ghetto im Jahre 1944 wird
Jakob Heym (Vlastimil Brosk´y) wegen
angeblicher Überschreitung der Ausgangssperre
von einem Posten zum Gestapo-Revier geschickt.
Durch Zufall kommt er mit dem Leben davon
und schnappt bei der Gelegenheit eine Radiomeldung
über den Vormarsch der Roten Armee
auf. Er möchte die Nachricht an seine
Leidensgefährten weitergeben, um ihnen
Mut zu machen, hat aber Angst, man würde
ihn wegen seiner »Verbindung«
zur Gestapo für einen Spitzel halten.
So greift er zu einer List. Er gibt vor,
ein Radio versteckt zu haben. Die Menschen
im Ghetto schöpfen neuen Lebensmut.
Es gibt keine Selbstmorde mehr, und man
möchte laufend neue Nachrichten über
den Vormarsch hören. Damit die Hoffnung
bleibt, muss er von nun an immer weiter
lügen. Vorlage des Films ist der gleichnamige
Roman von Jurek Becker. Es ist ein sehr
sanfter stiller Film, der, bar jeder Larmoyance,
den Ghettoalltag mit kurzen Glücksmomenten
konfrontiert. Mit dem bitteren Thema des
Ghettolebens und der inszenierten Emotionalisierung
und Personifizierung jüdischen Lebens
und Leidens trug der Film wesentlich dazu
bei, das Interesse an der Geschichte des
Judentums in der DDR zu wecken. Er ist jedoch
auch der einzige DEFA-Film geblieben, der
in dieser Intensität den Judenmord
behandelte.
am 03.10.2004
um 18.15 Uhr
am 07.10.2004 um 20.30 Uhr
Shoah
F 1985, R: Claude Lanzmann,
9h 30min | OmU
Shoah ist ein hebräisches
Wort. Es bedeutet: Abgrund, Vernichtung,
Dunkelheit, Katastrophe, Untergang, großes
Unheil. Claude Lanzmann hat letzte überlebende
Augenzeugen des großen Unheils aufgespürt
und ihnen Fragen gestellt. Er wollte von
Opfern, Tätern und Zuschauern wissen,
was in den Ghettos und Lagern geschah.
Shoah gibt die Fragen und Antworten wieder.
Antworten von einem Lokomotivführer,
der die Transportwaggons zur Rampe fuhr,
oder von einem Bauern, der neben dem Lager
sein Feld bestellte. Aus der Anonymität
der Zahlen und des Unfassbaren treten Menschen
hervor, die eigene Gesichter, eigene Stimmen
haben.
»Claude Lanzmann zeigt uns die Bahnhöfe
von Treblinka, Auschwitz, Sobibor. Er betritt
die heute mit Gras bewachsenen ›Rampen‹,
von denen aus Hunderttausende von Opfern
in die Gaskammer getrieben wurden. Zu den
ergreifendsten Bildern gehört für
mich ein Berg von Koffern, schlicht die
einen, eleganter die anderen, alle mit Namen
und Adressen versehen. Mütter hatten
vorsorglich Milchpulver, Talg und Weizenbreipulver
hineingepackt, Kleidung, Lebensmittel und
Medikamente in andere. Und nichts davon
wurde gebraucht.« (Simone de Beauvoir,
Le Monde)
»Claude Lanzmanns Shoah hat den Wettlauf
mit der Zeit aufgenommen und dokumentiert
ihn bis in die unscheinbarste Einstellung
hinein: schnell, bevor es zu spät ist,
die noch lebenden Überlebenden ausfragen,
ihnen kein Detail ersparen, den legitimen
Wunsch auch der entkommenen Opfer nach Vergessen
ignorieren.« (Lothar Baier, Frankfurter
Rundschau)
am 08.10.2004
erster Teil des Materials und
am 09.10.2004 zweiter Teil des Materials, jeweils
um 18.15 Uhr
Schindler’s
List
Schindlers Liste
USA 1993, R: Steven Spielberg,
D: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralph Fiennes,
Caroline Goodall, 185’ | OF
Die Basis für den
Film lieferte der 1982 erschienene dokumentarische
Roman des Australiers Thomas Keneally, der
die Rettung von ca. 1100 Krakauer Juden
durch den sudetendeutschen Industriellen
Oskar Schindler im Herbst 1944 beschreibt.
Schindler, der 1939 im Gefolge der deutschen
Wehrmacht nach Krakau gekommen war, hatte
dort eine Emailwarenfabrik eingerichtet
und jüdische Arbeiter als billige Arbeitskräfte
angeworben. Als 1943 das Krakauer Ghetto
ausgelöscht wurde, richtete Schindler
mit Genehmigung der SS auf dem Gelände
seiner Fabrik ein eigenes Lager ein und
konnte 1944, als die letzten noch lebenden
polnischen Juden nach Auschwitz transportiert
wurden, durch eine Liste, die sein Buchhalter
Itzhak Stern und er aus dem Kopf zusammengestellt
hatten, 1100 Menschen durch eine Evakuierung
ins tschechische Brünnlitz retten.
»Mit Schindlers Liste greift Spielberg
eine Ausnahmesituation innerhalb des Holocaust
auf: er stellt den ›guten Deutschen‹
mit seiner Rettungsaktion vor und zeigt
am Beispiel dieser Ausnahme um so deutlicher
das Grauen und das Nichterzählbare
des millionenfachen Mordes. Im Einzelfall
scheint erzählbar zu sein, was sonst
nicht darstellbar ist. » (Knut Hickethier)
Die Arbeit an Schindler’s List veranlasste
Spielberg, sich noch stärker zu seinem
jüdischen Erbe zu bekennen. Er widmete
dem Gedächtnis von Oskar Schindler
die Righteous Persons Foundation mit dem
Zweck, an die Nichtjuden zu erinnern, die
Juden vor dem Holocaust gerettet hatten.
Die Stiftung fördert Künstler,
Schriftsteller, Dokumentarfilm-Regisseure
und jüdische Wohltätigkeitseinrichtungen
und hat auch die Restaurierung des Anne-Frank-Hauses
in Amsterdam unterstützt.
am 10.10.2004
um 20.30 Uhr
In Zusammenarbeit
mit dem Künstlerklub DIE MÖWE
Fallada
– letztes Kapitel
DDR 1988, R: Roland Gräf,
D: Jörg Gudzuhn, Jutta Wachowiak, Corinna
Harfouch, Katrin Saß, Ulrike Krumbiegel,
101’
Hans Fallada ist einer
der wenigen bedeutenden und zeitkritischen
Autoren, die nach 1933 in Deutschland bleiben.
Mit zunehmender Macht der Nationalsozialisten
wächst der Druck auf den Schriftsteller.
Zwischen Gewissen und Kompromissbereitschaft
hin und her gerissen, gerät Fallada
psychisch und physisch aus den Fugen, das
Schreiben gelingt immer seltener, er flüchtet
sich in Tabletten und Alkohol. Nach Kriegsende
setzt die Rote Armee Fallada als Bürgermeister
ein, aber auch in diesem Amt scheitert er.
Mit letzter Kraft schreibt er noch den Roman
»Jeder stirbt für sich allein«,
bevor er 1947 an Herzversagen stirbt.
Hervorragende Schauspieler und zutiefst
menschliche Dramatik tragen den Film weit
über die Schriftstellerbiographie hinaus.
Zu den wichtigsten Filmen des Regisseurs
Roland Gräf zählen z.B.: Mein
lieber Robinson (1971), Bankett für
Achilles (1975), Märkische Forschungen
(1982), Der Tangospieler (1991), Die Spur
des Bernsteinzimmers (1992).
Anschließend Filmgespräch mit
Roland Gräf (Regie und Drehbuch), Christel
Gräf (Dramaturgie), Helga Schütz
(Drehbuch), Jutta Wachowiak und Jörg
Gudzuhn (Hauptdarsteller)
Moderation: Paul Werner Wagner
am
11.10.2004 um 20.00 Uhr
Kuratiert von
Antje Ehmann in Kooperation mit dem
Zeughauskino, Texte: Antje Ehmann
Dead
End
USA 1936, R: William Wyler,
D: Sylvia Sidney, Joel McCrea, Humphrey
Bogart, Wendy Barry, 93’ | OF
Mit William Wylers Dead
End von 1936 wird der Auftakt unserer Filmreihe
zugleich das früheste Beispiel eines
erstaunlichen Gang-Films sein. Wyler zeichnet
den Clash der Kulturen von Arm und Reich
an den Docks von Manhattan. In einer kunstvollen
Studioanlage wird hyperrealistisch abgearbeitet,
wie Kinderbanden in die Fänge eines
berühmt-berüchtigten Gangsters
»Baby Face« (Humphrey Bogart)
geraten, der nach New York zurückkehrt,
um seine Mutter und Jungendliebe wiederzusehen.
Die Reunion wird nicht stattfinden, dafür
aber ein tödlicher Verfolgungskampf.
am 14.10.2004
um 18.15 Uhr
Germania
anno zero
Deutschland im Jahre Null
I 1947/ 48, R: Roberto Rosselini, D: Edmund
Moeschke,
Ingetraud Hinze, Franz-Otto Krüger,
Ernst Pittschau, 78’ | dt.
OF
Im zerstörten und
korrumpierten Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit
tötet ein mit Nietzsche-Ideen und NS-Gedankengut
überfütterter Jugendlicher unter
dem Einfluss seines homosexuellen ehemaligen
Lehres seinen Vater und begeht Selbstmord.
Rosselini verknüpft diesen Stoff mit
der Schilderung des Lebens von Kindergangs
in den Ruinen Berlins.
am 14.10.2004 um
20.30 Uhr
Die
Vergessenen
Los olvidados
Mex 1950, R: Luis Buñuel, D: Alfonso
Mejía, Estela Inda, Miguell Inclán,
Roberto
Cobo, 88’ | dt. Fass.
Mexico City im Jahre 1950.
Verwilderte, zerlumpte Kinder werden zu
Kleinkriminellen, verwiesen in ein soziales
Niemandsland. Bunuel schöpft seine
surrealistischen Effekte aus der sozialen
Wirklichkeit und dieser Realismus ist etwas
ganz Besonderes.
am
14.10.2004 um 22.30 Uhr
Berlin
– Ecke Schönhauser
DDR 1957, R: Gerhard Klein,
D: Ekkehard Schall, Ilse Pagé, Harry
Engel, Ernst-Georg Schwill, 80’
Die Hochbahn an der Schönhauser
Allee ist Treffpunkt einer Gruppe Jugendlicher,
die in Ost-Berlin leben und in das Kraftfeld
des Ost-West-Gegensatzes geraten. Einer
sucht auf der Straße die Freiheit,
ein anderer ist auf der Flucht vor seinen
Eltern, ein dritter liebäugelt mit
dem Westen und stiehlt für eine Schmugglergruppe
Personalausweise, um sich ein paar West-Mark
zu verdienen. Bei dieser Generation von
›Halbstarken‘ kommt kein einziges
Elternteil gut weg. Weil es die Mauer bei
der Entstehung des Films noch nicht gab,
musste er die Jugend für sich gewinnen,
und dennoch versucht er dabei dem stärksten
Wirkungsmittel des Westens – dem Rock’n
Roll – etwas entgegenzusetzen. Die
Dialoge erwähnen Marlon Brando und
Ekkehard Schall kann da durchaus mithalten.
Auch die Filmerzählung steht in ihrer
eleganten Reduktion komplexer Konstruktionen
dem amerikanischen Standard in nichts nach.
Erstaunlich: Die Dekadenz des Westens wird
nur vorsichtig angeschwärzt und unter
dem Strich gibt es nur einen Grund, in der
DDR zu bleiben: Den Eigensinn.
am 15.10.2004
um 18.15 Uhr
Les
coeurs verts
F 1966, R: Edouard
Lunts, D: Gérard Zimmermann, Marise
Maire, Eric Penet, Françoise Bonneau,
95’ | OF
Eine Gruppe Jugendlicher
am Stadtrand von Paris. Im Mittelpunkt zwei
Blousons-Noir-Typen, die nach kurzer Haft
wegen geringfügiger Delikte in ihre
Clique zurückkehren. Dabei verfolgen
sie unterschiedliche Lebens- und Überlebenskonzepte.
am 15.10.2004
um 20.30 Uhr
West
Side Story
USA 1961, R: Robert Wise,
Jerome Robbins, D: Natalie Wood, Richard
Beymer, Russ Tamblyn, Rita Moreno, 146’ | OF
Mit der kühnen Übertragung
des Romeo-und-Julia-Konfliktes in die Gegenwart
des New York von 1950 behandelt West Side
Story historisch vielleicht zum ersten Mal
die Frage des Tribalismus als Gesellschaftsmodell.
Kühn ist diese Übertragung, weil
nun aus dem ständischen Clan-Konflikt
(Montagus gegen Kapules) ein ethnisch-urbaner
wird. Wise und Robbins entfalten diese mythologisch-tragische
Dimension des Migrationsdramas auf so kongeniale
Weise, dass der Film bis heute nichts an
Aktualität verloren hat. Die mythologische
Dimension rechtfertigt auch die Länge
des Films. Wir zeigen ihn – die Chronologie
unterbrechend – als Late-Night-Show.
am 15.10.2004
um 22.30 Uhr
Switchblade
Sisters
USA 1975, R: Jack Hill,
D: Robbie Lee, Joanne Neil, Monica Gayle,
Asher Brauner, 90’ | OF
Switchblade Sisters gehört
zu den Filmen, die Quentin Tarantino mit
einer neuen Kopie in seinen (leider inzwischen
untergegangenen)Verleih »Rolling Thunder
Pictures« aufgenommen und als ein
erstaunlich frühes Beispiel postmoderner
Genre-Komödien promotet hat. Es sei
ihm gedankt. Die dionysische Überdosis
an Klischees, schlechtem Schauspiel und
schriller Selbstreferenzialität ist
genauso sexy wie entgeisternd amüsant
– ein einsames Licht in dem kleinen
Kosmos der Girl-Gang-Filme. Hochstaplerisch
viele Sujets werden zum anklingen gebracht
und fügen sich doch zu einem Ganzen.
am 16.10.2004
um 15.30 Uhr
The
Warriors
USA 1978, R: Walter Hill,
D: Michael Beck, James Remar, Dorsey Wright,
Brian Tyler, 90’ | OmU
In dem Kultklassiker The
Warriors von 1986 ist inzwischen ganz New
York sozial/rassisch segregiert und jedes
Quartier wird von einer Gang kontrolliert.
Der Film schildert die Ereignisse einer
Nacht, in der sich Tausende von Gangmitgliedern
auf den Weg machen, um zu einer strategischen
Beratung zusammenzukommen. Daraus jedoch
wird nichts. Im Handumdrehen wird die Masse
zersprengt und es beginnt eine Hetzjagd
auf die »Warriors«, deren Rückweg
von der Bronx nach Coney Island zu einem
atemberaubenden Parcour durch ein New York
wird, das Nachts kein Zivil mehr kennt.
Gerade weil der Film keine soziale Erklärung
gibt, sondern eine Erscheinungsform behauptet,
macht ihn die dynamische Gegenwartsentwicklung
immer aktueller.
am 16.10.2004
um 18.15 Uhr
Escape
From New York
Die Klapperschlange
USA 1981, R: John Carpenter, D: Kurt Russell,
Lee Van Cheef, Ernest Borgnine, Donald Pleasence,
99’ | OmU
1997. Der Präsident
der USA stürzt über Manhattan
ab, das in der Hand von Verbrechern ist:
eine akute Gefahr für den Weltfrieden,
weil er eine Tonbandkassette bei sich hat,
die den Atomkrieg verhindern kann. Ein Exsoldat
und Gangster wird gezwungen, innerhalb von
24 Stunden Präsident und Tonband herauszuholen.
Der Film überrumpelt mit großartigen
Effekten. Entgeisternd, wie der Broadway
von aggressiven Randalierern kontrolliert
wird, die wie die Ratten aus den Gullis
klettern. Für das Schrumpfstadtthema
ohnehin unumgänglich, hat Carpenter
mit Escape From New York die Marke in der
Geschichte des Genres gesetzt.
am 16.10.2004
um 20.30 Uhr
Deprisa,
Deprisa! Los, tempo!
F 1981, R: Carlos Saura,
D: Berta Socuéllamos, José
Antonio Valdelomar, Jesús Arias,
José M. H. Roldáu, 98’ | OmU
Eine Bande von Heranwachsenden
in Madrid. Drei Jungen und ein Mädchen
verüben brutale Raubüberfälle,
wobei sie mit einer Leichtigkeit handeln,
als seien sie in einem Tanzfilm.
Die Jugend der Nach-Franco-Zeit agiert als
hätte sie keine Vergangenheit. Auch
Sauras Blick auf die baum- und traumlosen
Vorstädte Madrids ist exzessiv gegenwärtig.
Zwei schwindelerregende Affirmationen.
am 16.10.2004
um 22.30 Uhr
The
Outsiders
USA 1983, R: Francis Ford
Coppola, D: Thomas Howell, Matt Dillon,
Ralph Macchio, Patrick Swayze, Tom Cruise,
90’ | OF
Die Outsider und Rumble
Fish, beides Jugenddramen, sind im selben
Jahr, kurz hintereinander entstanden. Coppola
hat hier zwei bemerkenswerte und dabei völlig
unterschiedliche stilistische Variationen
und Simulationen der 50er-Jahre-Rebellen-Filme
realisiert. In The Outsiders agieren Matt
Dillon, Patrick Swayze und Tom Cruise als
Ensemble lebendiger Zitate im goldenen Licht
künstlicher Sonnenuntergänge.
Und dann noch ein Geschenk: Zu Beginn und
am Ende zirbelt sich Stevie Wonder mit dem
Song »Stay Gold« in die Herzen
der Zuhörer.
am
17.10.2004 um 15.30 Uhr
Rumble
Fish
USA 1983, R: Francis Ford
Coppola, D: Matt Dillon, Mickey Rourke,
Diane Lane, Dennis Hopper, 94’ | OF
Als ein Post-Gangfilm müsste
Rumble Fish eigentlich am Ende der Reihe
stehen. Vielleicht zeigt jedoch die von
uns bevorzugte chronologische Programmierung,
wie hellsichtig Coppola hier gearbeitet
hat. In Rumble Fish werden Namen, Orte und
Gassen in einer Weise beschworen, dass sich
magisch-mythisch das Phantasma einer ›falschen
Seite der Stadt‹ ergibt, ohne dass
jedoch greifbar wird, was das ›Richtige‹
wäre. In einem Dialog heißt es,
dass es Gangs wieder geben werde, wenn die
Drogen aufhören, weil die Kämpfe
der Gangs die Droge seien. Die vielen Konjunktive
sind Referenz auf die Gangfilm-Geschichte
genauso wie auf das real existierende Gangtum.
Der Film entlässt einen mit Bildern
von ziehenden Wolken und bunten Fischen,
die sich in das melancholische Schauspiel
von Mickey Rourke einpassen, als handele
es sich um eine Welt, die genau nur so sein
kann. Und diese Selbstverständlichkeit
ist doch ein Rätsel.
am 17.10.2004
um 21.00 Uhr
La
vie des Jésus
F 1997, R: Bruno Dumont,
D: David Douche, Marjorie Cottreel, Kader
Chaatouf, Sébastien Delbaere, 96’ | OmU
Die Gang gilt fast immer
als Indiz sozialer Dekomposition, die in
einem ursächlichen Zusammenhang mit
dem Stadtbild steht. Für die 90er Jahre
ist Bruno Dumonts wunderbarer Film La vie
des Jesus – gedreht in der französischen
Provinz – ein gutes Beispiel dafür.
In einer ehemaligen Bergbauregion –
die Häuser stehen noch, aber die Arbeit
ist weg – schlägt eine Gruppe
Jugendlicher, die von der Zukunft nichts
zu erwarten hat, ihre Zeit mit Mopedfahren
und Autoschrauben tot. Die Depressivität
des Ortes atmet aus jedem Bild, dabei schafft
es Dumont jedoch, noch in der kleinsten
Banalität des Alltags ein Geheimnis
aufscheinen zu lassen. Dieser Film zeigt
als einziger der Reihe die Wirkung von Schrumpfungsprozessen
in kleinstädtisch-dörflichen Gebieten.
am 17.10.2004
um 23.00 Uhr
Der
Pianist
F/ D/ PL/ GB 2002, R:
Roman Polanski, D: Adrien Brody, Thomas
Kretschmann, Frank Finlay, Maureen Lipman,
148’ | dt. Fass.
Warschau 1939: Mit dem
Einmarsch der Deutschen in Polen beginnt
auch für den gefeierten polnisch-jüdischen
Pianisten Wladyslaw Szpilman die Zeit des
Leids. Nachdem er der Todesfalle des Warschauer
Ghettos nur mit viel Glück und Dank
der Hilfe des polnischen Untergrunds entkommen
konnte, geistert er allein und voller Angst
durch die entvölkerte Metropole. Ein
Offizier der deutschen Wehrmacht erwischt
Szpilman und... erschießt ihn nicht.
Im Gegenteil – er rettet ihm das Leben.
»Zum Herrlichsten, was unsere Dichtung
nach 1945 hervorgebracht hat, gehört
Paul Celans ›Todesfuge‹«,
schreibt Marcel Reich-Ranicki in dem Artikel
›Polanskis Todesfuge‹ in der
FAZ. »Sosehr ich auch dieses Gedicht
bewundere, so kann ich doch nicht verheimlichen,
dass mich der unübertroffene Wohlklang
dieser Verse nicht nur beglückt, sondern
auch beunruhigt. Sind sie nicht gar zu schön?
Was benötigen wir? Ein lyrisches Bild,
ein Gleichnis oder lieber doch ein Protokoll,
kühl und nüchtern, einen Bericht,
sachlich und trocken? Keiner kennt diese
Problematik besser als Roman Polanski, der,
ein Kind noch, dem Krakauer Ghetto entkommen
ist und seit langem zu den bedeutendsten
Filmregisseuren der Gegenwart gehört.
(...) Als er die Erinnerungen des Pianisten
und Komponisten Wladyslaw Szpilman las,
eines Juden, der das Warschauer Ghetto überlebt
hatte, glaubte Polanski, dies sei der Stoff,
der es ihm ermöglichen könnte,
das, was ihm bisher nicht darstellbar schien,
doch darzustellen.« (Marcel Reich-Ranicki)
am 21.10.2004
um 18.00 Uhr
am 24.10.2004 um 20.30 Uhr
Das
Leben ist schön
La vita è bella I
1998, R: Roberto Benigni, D: Roberto Benigni,
Nicoletta Braschi, Giorgio Cantarani, Guistino
Durano, Sergio Bustric, 124’ | OmU
Italien 1939: Guido und
sein Freund Ferruccio zieht es von der ländlichen
Toskana nach Arezzo, wo Guido einen Buchladen
eröffnen möchte. Auf der Reise
begegnet Guido der jungen Lehrerin Dora,
für die er mit Witz, Mut und List die
Welt auf den Kopf stellt und die zu seiner
großen Liebe wird. Wie in einem Märchen
scheinen sich seine Wünsche zu erfüllen,
als es ihm gelingt, seine Geliebte in letzter
Minute vor ihrer Verlobung mit einem von
den Faschisten protegierten Aufsteiger zu
entführen. Einige Jahre später,
beide sind glücklich verheiratet und
haben einen kleinen Sohn, Giosué,
wird Guido zusammen mit seinem Sohn plötzlich
in ein Konzentrationslager deportiert, weil
sie Juden sind.2004 um bei ihrer Familie zu
bleiben, schließt sich Dora dem Transport
ins Lager an. Guido möchte seinen Sohn
vor den schrecklichen Tatsachen in der »surrealen«
und grausamen Welt der Zwangsarbeit und
des Todes schützen und ihm das Überleben
ermöglichen. Deshalb inszeniert Guido
diese Wirklichkeit als ein Spiel und setzt
seine ganze Kraft ein, um mit Komik und
Fantasie gegen die Absurdität der Todesmaschinerie
anzukommen ...
am
21.10.2004 um 21.00 Uhr
am 22.10.2004 um 18.00 Uhr
Padenie
Berlina
Der Fall von Berlin UdSSR
1949,
R: Michail Ciaureli, D: Michail Gelowani,
F. Blasewitsch, W. Ljubimow,
Boris Andrejew, 165’ | OF
Ein quasi offizieller Dokumentarfilm
mit effektvollen Spielfilmszenen, der den
»Fall von Berlin« und damit
den Sieg der Sowjetunion über die deutschen
Truppen zeigt. Das beeindruckende Material
der dokumentarischen Partien stammt von
militärischen Kameraleuten.
Der Film entstand im Gründungsjahr
der beiden deutschen Staaten während
des bereits entflammten Kalten Krieges,
der Berliner Blockade und der stalinistischen
Ausrichtung Ostmitteleuropas nach 1948.
Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung
des Verhältnisses der Sowjetunion zu
den Westalliierten und das Bild der Deutschen
im Nazistaat zu sehen. Roosevelt und Churchill
erscheinen als Papiertiger in der Kriegsführung
und als Unsicherheitsfaktoren in der Diplomatie.
Mehrmals wird angedeutet, dass sie fast
eher mit Hitler sympathisieren, als mit
Stalin. Der Generalissimus erkennt die Problematik
und stellt fest, dass die Sowjetunion beim
Vormarsch auf Berlin nur auf ihre eigene
Kraft vertrauen kann...
»Der Fall von Berlin ist wunderbar
durch seine wahre Darstellung der gegenseitigen
Beziehungen von Führer und Volk. Im
Film wird inspiriert, poetisch, leidenschaftlich
von der großen Liebe der Völker
zu Stalin erzählt, von der Liebe des
großen Stalin zu den Völkern.
Das gigantische Bild Stalins gibt dem ganzen
Film Farbe. Stalin nimmt sogar dann unsichtbar
an den Angelegenheiten der sowjetischen
Menschen teil, wenn er gar nicht auf der
Leinwand ist.« (A. SŠtejn, 21.1.1950)
deutsche Übersetzung wird eingesprochen
am 22.10.2004
und
am 23.10. jeweils um 20.30 Uhr
Die Mörder sind
unter uns
D 1946, R: Wolgang Staudte,
D: Hildegard Knef, Erna Sellmer, Arno Paulsen,
Ernst Wilhelm Borchert, 91’
Berlin 1945. Susanne Wallner,
eine junge Fotografin, kehrt aus dem Konzentrationslager
zurück, doch ihre Wohnung ist besetzt.
Hier lebt seit kurzem der aus dem Krieg
heimgekommene Chirurg Mertens, der seine
furchtbaren Erinnerungen mit übermäßigem
Alkoholgenuss zu verdrängen sucht.
Die beiden arrangieren sich, und mit Susannes
Hilfe findet Dr. Mertens langsam wieder
zu sich selbst. Da begegnet ihm sein ehemaliger
Hauptmann Brückner, nun ein aalglatter
Geschäftsmann, dem es egal ist, ob
er aus Stahlhelmen Kochtöpfe macht
oder umgekehrt. Mertens’ Gewissen
rebelliert und am Weihnachtsabend 1945 will
er Sühne fordern für ein von Brückner
drei Jahre zuvor im Osten befohlenes Massaker
an Frauen, Kindern und Männern. Im
letzten Moment kann Susanne ihn davon überzeugen,
dass die Vergeltung solcher Schuld keine
Privatangelegenheit ist, sondern der Kriegsverbrecher
vor ein Gericht gehört.
»Staudtes pessimistisches Nachkriegsdrama
ist der erste nach Kriegsende in Deutschland
hergestellte Film. Er entstand auf dem Filmgelände
der DEFA und wurde von den sowjetischen
Besatzungsorganen zensiert. Ursprünglich
sollte Dr. Mertens den Fabrikant Brückner
tatsächlich umbringen, aber die sowjetischen
Zensoren verboten die Propagierung der Selbstjustiz.
Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen
Produktionen der Nachkriegszeit setzt sich
Regisseur Wolfgang Staudte ernsthaft mit
der Schuldfrage auseinander.« (Die
Chronik des Films)
am 23.10.2004
und
am 29.10.2004 jeweils um 18.15 Uhr
Zug
des Lebens
La Train de vie F/
Belgien/ Rumänien 1998, R: Radu Mihaieanu,
D: Lionel Abelanski, Clément Harari,
Agathe de la Fontaine, Bruno Abraham-Kremer,
103’ | dt. Fass.
Zug des Lebens erzählt
die Geschichte eines jüdischen Schtetls
in Osteuropa zur Zeit des 2. Weltkriegs,
das sich durch die herannahenden Nazi-Truppen
in seiner Existenz bedroht sieht. Berichte
von Deportationen und Konzentrationslagern
lösen bei den Bewohnern Panik aus –
ein Rettungsplan muss her. Die zündende
Idee, ausgerechnet von Schlomo, dem »Dorfidioten«,
aufgeworfen, ist so wahnwitzig wie genial:
Man inszeniert die eigene Deportation, stilecht
mit Naziuniformen und umgebautem Zug. Ziel:
Palästina, das gelobte Land. Nachdem
die gesamte Dorfbevölkerung in den
alten Güterzug gestopft wurde, beginnt
endlich die große, abenteuerliche
Fahrt gen Süden. Doch schon bald funktioniert
das Leben untereinander überhaupt nicht
mehr und zu allem Überfluss jagen Nazis
und Partisanen gleichermaßen hinter
dem Zug her...
»›Der Humor und die Violine
haben eines gemeinsam: man kann sie überall
hin mitnehmen.‹ So Henry Bulawko,
Autor der ›Anthologie de´l Humour
Juif et Israélien‹. Witz und
Musik waren also schon immer das leichteste
Gepäck der Juden und spielen vielleicht
deshalb in ihrer Kultur eine so große
Rolle. Und natürlich weil es die beiden
ersten Mittel sind, um seelischen Schmerz
aller Art zu ertragen. Radu Mihaileanu,
rumänischer Jude, der inzwischen in
Frankreich lebt, will mit seinem Film Zug
des Lebens dem ›Jüdischen Humor‹
ein Denkmal setzen.« (Dirk Schneider)
am 24.10.2004
um 18.15 Uhr
am 29.10.2004 um 20.30 Uhr
In Zusammenarbeit
mit dem Künstlerklub DIE MÖWE
Der
Verdacht
D 1990, R: Frank Beyer,
B: Ulrich Plenzdorf, D: Michael Gwisdek,
Christine Schorn, Christiane Heinrich, Marie-Anne
Fliegel, Ulrike Krumbiegel, 98’
Karin, Tochter eines Funktionärs,
liebt Frank, der trotz seiner jungen Jahre
schon eine einschlägige Karriere hinter
sich hat. Als Karins Vater von einem neuen
Verdacht gegen Frank erfährt, besteht
er auf einer Trennung, da die Zukunft des
Mädchens gefährdet scheint. Unter
dem enormen elterlichen und politischen
Druck gibt Karin ihre Liebe preis und wird
zur gehorsamen Maschine. Erst als Frank
einen Selbstmordversuch unternimmt kommt
sie zur Besinnung… Das Drehbuch von
Ulrich Plenzdorf, basiert auf der Erzählung
»Unvollendete Geschichte« von
Volker Braun, einer ostdeutschen Romeo und
Julia-Geschichte aus dem Jahre 1975, die
nach ihrem Erscheinen die Gemüter erhitzte.
Die Filmadaption von Frank Beyer wurde 1990
zu einem bitteren Rückblick auf den
Alltag einer Gesellschaft, die ihre Ideale
verloren hatte.
Anschließend Filmgespräch mit
Ulrich Plenzdorf (Drehbuch), Frank Beyer
(Regie), Volker Braun (Schriftsteller),
Christine Schorn und Michael Gwisdek (Hauptdarsteller))
Moderation: Paul Werner Wagner
am 27.10.2004
um 20.00 Uhr
Hitler,
ein Film aus Deutschland
BRD/ F/ GB 1976/77, R:
Hans Jürgen Syberberg, D: Heinz Schubert,
Harry Baer, André Heller, Peter Kern,
410’
»Der fast sieben
Stunden lange, wie Wagners »Ring«
vierteilige »Hitler«-Film erzählt
keine Geschichte im Sinne des narrativen
Kinos, er ist ein Film der radikalen Nicht-Narrativität:
Statt eine Geschichte in der (Film-) Zeit
zu entfalten, entfaltet er ein Kaleidoskop
der deutschen Geschichte im Raum –
im Raum eines Münchner Studios, in
dem Requisiten und Versatzstücke, Juwelen,
aber auch Monstrositäten dieser Geschichte
kunstvoll arrangiert sind. Dokumentarische
Bild- und Tonaufnahmen aus der Nazi-Zeit,
Biografie-Fragmente von Hitler, Göring
oder Goebbels (meist als Erzählungen
eines ihrer Lakaien), Zitate aus der bildenden
Kunst, Literatur und Filmgeschichte, musikalische
Zitate von Wagner, Mahler, Mozart und Beethoven
sowie inszenierte symbolische Aktionen und
Statements einzelner Figuren oder des »Zeremonienmeisters«
André Heller sind die Elemente dieses
Panoptikums der deutschen Geschichte, in
dem Hitler zweifellos eine zentrale Stellung
einnimmt.« (Bruno Fischli)
Mit diesem Film wurde Syberberg endgültig
zu einem viel umstrittenen Film- und Theaterregisseur
in Deutschland. Er untersucht die Figur
Hitler, um die bildhaften, emotionalen und
gar mythischen Ursprünge des deutschen
Faschismus darzulegen.
Syberberg beschreibt seine Technik als »einen
Versuch, das epische Theater Brechts und
die musikalische Ästhetik Wagners zu
kombinieren.«
am 30.10.2004 um 18.15 Uhr,
Teil 1, 91’
am 30.10.2004 um 20.30 Uhr, Teil 2, 126’
am 31.10.2004 um 18.15 Uhr, Teil 3, 93’
am 31.10.2004 um 20.30 Uhr, Teil 4, 100’
Im Anschluss (22.30
Uhr) zeigen wir auf besonderen Wunsch:
Ein Traum was sonst (Regie: H.J. Syberberg)
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