Vorwort |
Seit 1990 ist die bisherige Distanz überwunden. Zudem gaben uns die neuen Ausstellungsmöglichkeiten im ehemaligen Berlin/DDR besonderen Anlaß zum gegenseitigen Austausch von Gedanken und Exponaten. Die traditionsreichen Beziehungen zwischen dem ehemaligen Museum für deutsche Geschichte und dem Staatlichen Historischen Museum Moskau werden vom Deutschen Historischen Museum fortgesetzt. Mit der jetzigen Ausstellung »Agitprop im Krieg gegen das >Großdeutsche Reich< « lädt das Deutsche Historische Museum das Staatliche Historische Museum Moskau ins Zeughaus ein. Daß diese Ausstellung Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg zeigt, gab uns weniger das Gedenkjahr vor, sondern der Wunsch, dort zu beginnen, wo die deutsche Geschichte den Völkern der Sowjetunion ihr größtes Leid zugefügt hat. Auf diese Stelle, wo man vor zwei Generationen den vormals eher freundschaftlichen Blick voneinander abgewendet hatte, wo an deren Stelle fiktive Feindbilder an Raum gewannen, dorthin will die Ausstellung die Aufmerksamkeit lenken. |
Die Feindbilder, die der Nationalsozialismus seinem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion voranschickte, sind in Deutschland bekannt. Die sowjetische Bildpropaganda hingegen dürfte zumindest dem westdeutschen Publikum weitgehend unbekannt geblieben sein. Will man die zum Teil in der Bevölkerung der Sowjetunion noch heute virulenten Ängste gegenüber dem wiedervereinigten Deutschland verstehen, muß man sich jenen Bildern aus der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges stellen. Das ist notwendig, wenn man die emotionale Befindlichkeit der damaligen Kriegs-»Wirklichkeit« verstehen will - und zwar umso mehr, als die tatsächlichen Kriegserfahrungen im Laufe der Jahr zehnte zur Abfolge von Ereignis-Daten versteinern und sich damit von dem Erlebten entfernen. Auf die Lebensverhältnisse der Völker in der Sowjetunion vor dem deutschen Überfall sei nur kurz hingewiesen. Innenpolitisch war das Militär Opfer des totalitären Sowjetregimes geworden, als Mitte der dreißiger Jahre 40000 Offiziere liquidiert wurden. Die Kollektivierung der Landwirtschaft nach 1930 hatte allein in der Ukraine über drei Millionen Opfer gefordert. Auch die Intelligenz brachte Tausende von Opfern. Den ideologisch motivierten Bürgerkrieg hatte die KPdSU auf Kosten der Völker der Sowjetunion gewonnen. |
Als am 22. Juni 1941 das Dritte Reich
den Nichtangriffspakt von 1939 brach, um im >Blitzkrieg< die Sowjetunion zu
vernichten, drohte die endgültige Versklavung dieser Völker. Der Ausgang des
Unternehmens >Barbarossa< wie die schrecklichen Umstände, unter denen dieser Krieg
von deutscher Seite geführt wurde, sind bekannt und bedürfen nicht der Revision. Aber
die Jahre vor und nach diesem Krieg gehören ebenso mit zur Tragödie der sowjetischen
Völker in diesem Jahrhundert. Darüber berichten die Plakate verständlicherweise nicht. Aus ihren Beständen haben die sowjetischen Kollegen ein »Doppelbild« für das deutsche Publikum rekonstruiert. Es zeigt einmal das heroische Selbstbildnis, das die Sowjetunion von sich machte, und zum andern die Karikatur des Angreifers. |
Solche Zweigesichtigkeit ist in
Kriegszeiten nicht ungewöhnlich, zumal bei Propaganda-Plakaten. Die Zeichenhaftigkeit von
Feind- und Selbstbild lebte zudem in der Bildsprache des Ost-Westkonfliktes weiter. Viele dieser Plakate werden erstmals in Deutschland ausgestellt, die meisten von ihnen treten überhaupt das erste Mal seit Kriegsende wieder vor die Öffentlichkeit. Ist es hilfreich, in der Phase der Versöhnung die Gespenster der Vergangenheit zu beschwören? Diese Frage haben wir uns am Anfang unseres Vorhabens gemeinsam gestellt. Auch wenn die Propaganda-Bilder nicht die Wahrheit über die damals Handelnden mitteilen, da die Wahrheit bekanntlich das »erste Opfer des Krieges« ist (Kipling), wirken sie fort und verstellen den freien Blick der Völker aufeinander. Sie sind tief in die Gefühlswelt eingesunken und beeinflussen unser Denken. Die Möglichkeiten des Plakates, Wünsche und Ängste in traumatische und dauerhafte Zwangsvorstellungen zu verwandeln, sollten nicht unterschätzt werden. Sie reichen als Denkmuster bis in die Gegenwart hinein. Dieser »Wirklichkeit« wollten wir uns aber unvoreingenommen stellen. Den Kollegen in Moskau, allen voran Frau Minjailo, danke ich für die Verwirklichung des gemeinsamen Blickes zurück. Daß die Ausstellung zu einem Zeitpunkt stattfindet, wo es schwerfällt, noch von einem Staat der Sowjetunion zu reden, dies hatten wir erahnt, nicht die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Prozeß vollzieht. Dieter Vorsteher |