(Um-)Deutung der Biographie nach 1945

In den fast vierzig Jahren, die Radziwill nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" in der Bundesrepublik Deutschland lebte und arbeitete, hat er nie ausführlich zu seinem Engagement für den Nationalsozialismus Stellung bezogen. Die überlieferten Aussagen sind, auch infolge des großen zeitlichen Abstandes, in ihrem Ton geprägt von Verharmlosung bis Verdrängung der damals herrschenden Verhältnisse. Auf so wichtige Aspekte wie sein Entnazifizierungsverfahren und seinen nach dem Krieg gestellten Antrag auf Wiedergutmachung für seine Entlassung aus dem Professorenamt im Juni 1935 ging er nirgends ein. Der Antrag wurde nach fast zwölfjähriger Verhandlung an mehreren Gerichten, unter anderem in Düsseldorf und Hannover, endgültig vom Landgericht Oldenburg abgewiesen. Das Gericht fällte seine Entscheidung auf der Grundlage eines Beschlusses, daß ehemalige NSDAP-Mitglieder grundsätzlich von Wiedergutmachungsverfahren ausgeschlossen bleiben mußten. Der diesbezügliche Schriftverkehr Radziwills erweckt den Eindruck, daß er das Verfahren nicht nur wegen der materiellen Entschädigung betrieb - ihm ging es in dieser Zeit finanziell nicht gut -, sondern weil er selbst von seiner "widerständigen" Haltung überzeugt war.114 Als Beweis seiner Opposition hatte Radziwill unter anderem sein übermaltes Bild "Dämonen" angeführt, dessen Entstehung er neu datiert hatte: nämlich genau ins Jahr seiner Düsseldorfer Entlassung. Am 3. Dezember 1955 gab er als Interpretation an: "Nur über dieses Bild möchte ich mich auslassen, nicht über das was dargestellt ist, sondern über das Wagnis, was hierdurch begangen wurde. Dieses Bild, welches ich damals in der Düsseldorfer-Akademie gemalt, so hörte ich es später, war die eigentliche Ursache des Einbruchs in mein Akademie-Atelier. Es war aber bereits nach Dangast gebracht worden und hier versteckt. Es ist noch heute in meinem Besitz … Es ist so einseitig auf die damalige Zeit bezogen, dass ich wohl kaum hoffen darf, es einmal zu verkaufen … Ich bin aber davon überzeugt, dass jeder, der dieses Bild sieht - und erfährt, in welchem Jahr es entstanden ist, den Mut allein bewundern wird, ein solches Bild bei sich in jener Zeit beherbergt zu haben. Es aber geschaffen zu haben, nochmehr zu beweisen, zumindest aber meine aktive Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus in aller Deutlichkeit erkennen läßt."115

Sich wegen kunstpolitischer Differenzen mit dem NS-Regime zu dessen Verfolgtem zu erklären, war eine Strategie, die auch Fritz Mackensen versuchte. Er war ebenfalls überzeugter Nationalsozialist und Parteimitglied seit 1937 gewesen und im Sommer 1933 zum Leiter der neugegründeten "Nordischen Kunsthochschule" in Bremen ernannt worden. Nach nur einem Jahr wurde ihm wegen seiner umstrittenen Personalführung vom NS-Senat fristlos gekündigt. Auch in Mackensens Fall wies das Gericht den Antrag auf Wiedergutmachung und damit die Entschädigungsansprüche ab.116

Noch in den siebziger Jahren bewertete sich Radziwill als Verfolgten, der nur durch die Protektion wichtiger Persönlichkeiten in Heer, Marine und Luftwaffe davor bewahrt wurde, in ein Konzentrationslager verbracht zu werden. "In meinem Leben hat es doch … Zeiten heraufbeschwört, die zum Teil für mich schlimmer waren als die Nazizeit, denn nachdem ich es gewagt hatte, die Ausstellung doch zu machen (nach Kriegsende in Oldenburg in der Zeit der alliierten Besatzung, K. A.), … passierte nun folgendes: Jetzt kam die Parole auf, wir müssen uns aller der Künstler annehmen, die in den sogenannten Untergrund (gegangen waren), also ›Malverbot‹ hatten - ich sage das ausdrücklich in Anführungsstrichen, ob es überhaupt einen Maler (gegeben hat), ich habe jedenfalls keinen kennengelernt, der Malverbot hatte, wohl Ausstellungsverbot - da wurden nun, was ich auch verstehen kann, zunächst mal die aus dem Untergrund herausgeholt; daß ich selbst auch in dem Untergrund gewesen bin, das wurde dabei nicht verzeichnet, denn jetzt kam es darauf an, was das Abstrakte war und von Hitler ja besonders verdammt wurde, daß das nun gezeigt wurde … das war die abstrakte Malerei. Und die wurde nun hochgespielt, nach der Richtung hin, daß man sagte: Das ist unsere Zeit. Jedenfalls, jetzt wurde ich - ich will es ruhig so nennen - noch einmal in den Untergrund gedrückt, und zwar viel länger als bei Hitler …"117

Diese Sätze machen das Malverbot Noldes vergessen, auch das Exil vieler ehemaliger Freunde und Bekannter - zu nennen ist hier vor allem George Grosz, der sich und seine Familie in den USA in Sicherheit brachte - wird unerwähnt gelassen. Über George Grosz hatte Radziwill in einem Brief vom 17. Februar 1933 an seine Frau in verharmlosender Weise geschrieben: "Merkwürdig ist, daß die Maler hier gar keine Beziehungen mehr pflegen wie früher, alles ist auseinandergerissen. George Grosz ist nach Amerika abgedampft, dem hat die kommende Zeit ja sehr auf dem Magen gelegen ."

Grosz hatte 1932 die USA bereist. Nach seiner Rückkehr hatte er sich entschlossen, Deutschland zu verlassen. Im Januar 1933 hatte ihn ein Schiff ins US-amerikanische Exil gebracht. Daß der ehemalige Kommunist Grosz118 als "kommunistischer Drahtzieher" von der SA verhaftet worden wäre, gerät bei Radziwills Worten in den Hintergrund. Denn sofort nach der Machtergreifung war Grosz in seiner Berliner Wohnung gesucht und sein Atelier gestürmt worden. Von 553 sogleich namentlich erfaßten Personen des gesamten öffentlichen Lebens war Grosz als einziger Regimegegner am 8. März, zehn Tage nach dem Reichstagsbrand, ausgebürgert worden. Erst am 23. August und in den darauffolgenden Wochen wurde die Ausbürgerung der anderen Personen vollzogen.119

Dem Urteil von Olaf Peters ist abschließend beizupflichten, daß Radziwill sich zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich vom Nationalsozialismus öffentlich distanziert habe. Darüber hinaus scheine es, als sei der Maler nie in der Lage gewesen, die Zeit des "Dritten Reiches" künstlerisch, intellektuell oder moralisch zu verarbeiten. Deshalb handele es sich bei Franz Radziwill nicht um einen "anderen Widerstand", sondern um das eklatante Unvermögen, Schuld zu erkennen und anzuerkennen. Der Maler erweist sich als Teil der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die in vielen Bereichen nicht fähig oder bereit war, sich der Vergangenheit selbstkritisch zu stellen.120