Rezeptionsgeschichte

Die Kriegsbilder wurden im Sommer 1930 im Hamburger Kunstverein ausgestellt. Die Resonanz war positiv. "Es sind die ergreifendsten Kriegsbilder, die von einem Künstler unserer Zeit geschaffen wurden - Otto Dix' bekanntes Schützengrabenbild ist ein Theatereffekt daneben."22 Geradezu euphorisch schrieb Wilhelm Niemeyer in der Leipziger Illustrierten Zeitung im März 1931: "So schuf denn der Künstler auch in seinen beiden erschütternd großartigen Kriegslandschaften von Naroczsee und von Cambrai die bislang einzigen vollmalerischen und streng wahrhaften Kriegsbilder. Diese Schlachtfelddarstellungen sind Kunstwerke von unbedingter Reinheit, sie geben absichtslos, erinnerungstreu die Stätten des Grauens im Bilde der vernichteten Natur und bewahren gerade damit, in dieser Unerbittlichkeit und Lauterkeit der rein malerischen Erschauung, alle Schauer der ungeheuren Ereignisse. Sie sind Passionsbilder der Erde und der Menschheit von einer den Golgathaszenen Grünewalds verwandten Wucht. Beide in einem Andachtsraum vereinigt, wären das edelste heute mögliche Kriegsgedächtnismal."23

Ausschnitt: Franz Radziwill: Grab im Niemandsland; 1934, Öl/Leinwand/Holz, (Belin, Deutsches Historisches Museum)

Und der Kunstkritiker Meinhof meinte: "Wenn alte Soldaten sich vor den Bildern versammeln würden, dann stände in diesen Werken der Krieg vor ihnen, wie sie ihn kennen, der Krieg im Westen mit seinem rasenden Kampf der Maschinen und der verwüsteten Landschaft, der Krieg im Osten, wo die Gewalt der Natur nicht so dem Wüten der Maschinen erlag sondern sich mit ihm verband, als Sumpf oder See oder endloser Wald, der die Sicht versperrte. Es ist das Seinsfeld des Krieges, der Lebensraum für den Soldaten im Feld, der mit diesen Bildern auch vor den Jungen ersteht, die den Krieg nicht gesehen und vielfach doch auch nicht mehr gespürt haben und denen die Adler und Löwen auf den Denkmälern überall nichts sagen von der unmenschlichen Größe des Kriegs, die über Millionen Einzelschicksale hinwegrollte und die von den Millionen einzelner doch jedesmal als ganz persönliches Schicksal erlebt und getragen wurde. Darin liegt die große Bedeutung dieser Bilder, daß sie den Krieg zeigen, entrückt der schwächlichen ›Verklärung‹ und entrückt der sentimentalen Angst in seiner wüsten Gestalt und in seiner riesenhaften Größe. Auf diesen Schlachtfeldern kämpfte unser Volk. In dieser Hölle taten Millionen ihren Dienst. Auf diese Maßstäbe zu blicken, wenn wir heute ›zum Dienst‹ gehen, das ist eine würdige Erinnerung an den Krieg, und könnte eine fruchtbare Erinnerung sein."24

Ende 1933 lieh Radziwill die beiden Bilder an die Städtische Galerie in München aus, die zu Ehren des Hitler-Putsches von 1923 eine Ausstellung veranstaltete. Ebenfalls gezeigt wurde hier noch ein anderes Gemälde Radziwills, das sich in Privatbesitz befand. Zwischen Mai und November 1933 war es entstanden. Es ist nach den Kriegslandschaften das dritte Kriegsbild, das gemalt wurde und als "Vorläufer" für das "Grab im Niemandsland" angesehen werden kann. Dieses Bild trägt den Titel "Der Stahlhelm". Es ist sowohl in thematischer als auch künstlerischer Hinsicht im Werk Radziwills ungewöhnlich. In monumentaler Größe stellt es einen beschädigten Stahlhelm dar, der zwischen zwei Pfählen eines in den linken Bildhintergrund führenden Stacheldrahtverhaus liegt. Infolge des sehr tief angelegten Horizonts sieht der Betrachter zu ihm empor wie ein Soldat im Schützengraben. Bis auf die tiefstehende Sonne, die die Pfähle und den Helm mit purpurfarbenem Licht überschüttet, ist der Himmel einfarbig und dunkel. Der Kunsthistoriker Van Dyke beschreibt das relativ kleine Bild als eine "ernste, grabhafte Ikone" mit dem kultischen Charakter eines Andachtsbildes. Der unmittelbare, gegenwärtige Tod werde hier als Grundstein einer fernen Hoffnung vorgeführt, die schließlich im Jahre 1933 mit der angeblichen Einlösung der "Ideen von 1914" durch den Nationalsozialismus Wirklichkeit geworden sei. Es werde nicht an den künftigen Tod gemahnt, sondern an die vergangenen Opfer als Voraussetzung der gegenwärtigen Erlösung gedacht. Der Soldat sei Anfang und Ende, erster Mensch und Opfer und auferstandener Heilsbringer in einem.25

1934 entstand das "Grab im Niemandsland".27 Im Gegensatz zu seinem "Vorläufer" ist der Helm in der Größe zurückgenommen und in die Schützengrabenlandschaft eingebunden. Der tiefliegende Horizont korrespondiert mit dem der "Seitentafeln", der beiden Kriegslandschaften. Helm, Pfahl und Stacheldraht sind nun eine Art "Stilleben" im Landschaftsbild - mit dem Titel "Stilleben im Niemandsland" war das Bild 1957 im Faltblatt der Nationalgalerie reproduziert worden. Zugleich wird durch das Zitat des Kreuzigungsmotivs eine neue inhaltliche Ebene eingezogen: Das Sterben im Weltkrieg steht jetzt im Kontext des christlichen Opfers und ihm wird damit durch den Erlösungsgedanken aller Schrecken genommen. Der industrielle Massentod, der jeden Sinn eingebüßt hat, erhält so wieder einen Sinn; das Opfer des einzelnen und der vielen wurde erbracht zur "Erlösung" und der Rettung der Ehre der Nation. "Für das Vaterland" erinnert der Zettel auf dem Pfahl. Und folgerichtig hielt der Kunsthistoriker und Radziwill-Sammler Niemeyer das Kriegstriptychon für "deutsche, vaterländische Kunst mit politischem Mitklang".28

"Politisch" war die Konzeption des Triptychons noch aus zwei weiteren Gründen. Zum einen unterstützte die Titelergänzung der Seitentafeln die "alte" Behauptung, das Deutsche Kaiserreich wäre 1914 von Feinden umgeben und in seinem Bestand bedroht gewesen, vor der drohenden "Einkreisung" hätte sich das Reich schützen müssen; zum anderen legte der leere Schützengraben als Metapher des christlichen Motivs vom "leeren Grab", des auferstandenen Christus, die mit dem "Dritten Reich" vollzogene Errichtung eines neuen Reiches und die damit einhergehende Wiederherstellung der nationalen Ehre nahe.