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Aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums

Deutschsprachiger Erstdruck der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4.Juli 1776

 

 

Michael Stürmer *

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen

 
 

Wenn im September 1994, entsprechend dem "Zwei-Plus-Vier"-Vertrag aus dem Wunderjahr 1990, die amerikanischen Soldaten Abschied nehmen von Berlin, dann endet eine Epoche, die nicht nur Nachkriegszeit und Kalter Krieg war, sondern auch Deutschland mit dem Westen versöhnte und die Neue Welt strategisch und moralisch zum Bestandteil, ja zur Garantiemacht der Alten machte. Was aber wird folgen? Eine neue Weltordnung ist, ungeachtet ihrer Ankündigung, nicht in Sicht. Die meisten Bestandteile der alten sind zerbrochen. Ob aber aus dem Umbruch der Welt seit 1989 eine Epoche der Verängstigung und des Pessimismus entsteht, oder aber ein System stabiler Zentren, prosperierender Weltwirtschaft und fortschreitender Strukturbildung, das hängt wohl am meisten davon ab, wie die letzte der Supermächte und die größte der europäischen Mächte, Amerika und Deutschland, mit einander und mit dem Rest der Welt umzugehen wissen. Keine dieser Mächte kann noch Sonderwege verantworten. Gehen sie sie gleichwohl, dann würde das Wichtigste verloren gehen, was die Nachkriegszeit den Deutschen brachte, die Zugehörigkeit zur amerikanischen See-Allianz.

Die künftige Beziehung wird sich nicht von selber machen, wenn man sie nicht sorgsam hütet, kultiviert und als vorrangiges Interesse, vor allen nationalen Idiosynkrasien, bewertet. Gipfelkommuniques und Vornamen-Nennung, gemeinsame Abendessen und rote Telefone können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nationalen Interessen nur begrenzt die gleiche Richtung, das gleiche Maß und das gleiche Gewicht haben. Man wird an der Allianz arbeiten müssen, vielleicht bis zu dem Punkt, da es in Abwandlung eines bekannten Satzes heißt: right or wrong the alliance.

Die zwei Weltkriege, die Deutschland verlor, waren die zwei Weltkriege, die die Vereinigten Staaten gewannen. Niemand hätte 1914 das weiland Deutsche Reich, sofern es friedlich blieb, an der europäischen Vorherrschaft hindern können außer den Deutschen selbst. Und 1939 war Deutschland, hätte es sich von Staatsverbrechen und Krieg ferngehalten, erneut auf dem Weg zur europäischen Hegemonie. Jedes Mal waren es die Vereinigten Staaten, die die Waagschalen gegen die Macht in der Mitte es europäischen Kontinents sich neigen ließen. Aber anders als 1919/20, als die Vereinigten Staaten Europa seinen alten Dämonen überließen -obwohl doch die französische Vormacht über Europa so unübersehbar von Amerika geborgt war, dass ohne die USA der europäischen Nachkriegsordnung keine Minute mehr gegönnt sein konnte - brachen die USA 1945/46 den eingeleiteten Rückzug ab, übernahmen im östlichen Mittelmeer die alte Rolle Großbritanniens gegen Russland, schufen Vertrauen durch Eindämmung der "Soviet expansionist tendencies" (George F. Kennan), stifteten den Marshallplan im aufgeklärten Eigeninteresse und zugunsten der Europäer und schenkten dem zerstörten Europa eine Vision: Die Atlantische Gemeinschaft. So rief Amerika ein neues Weltsystem ins Leben. "Present at the Creation", so überschrieb Außenminister Dean Achenson seine Memoiren. Es gab damals Führung - "the wise men", den Buchtitel von E. Thomas und W. Isaacson zu zitieren. Es gab eine gebieterische Notwendigkeit für die Europäer, Vernunft, Disziplin und Einsicht zu zeigen. Und es gab endlich einen großen amerikanischen Idealismus, die Welt nicht der Rache, dem Zynismus und den Kommunisten zu überlassen. Daraus entstand 1948/49 die Bundesrepublik Deutschland, nicht ein Staat auf der Suche nach einer Außenpolitik, sondern Ergebnis amerikanischer Außenpolitik auf der Suche nach einem Staat. In den 50er Jahren konnte man glauben, wenn man die Seiten des "National Geographic" durchblätterte, nicht Amerika sei aus europäischem Geist geschaffen, sondern Deutschland ein Stück Amerika mitten in Europa.

Die ERP-Hilfe an Europa (European Recovery Programme) war wirtschaftliche Stabilisierungspolitik. Aber sie wäre verloren gewesen ohne das strategische Engagement der Amerikaner, welches in Washington die Form des Nordatlantik Vertrages fand, auf dem die NATO gründet. Es lag darin die Garantie, dass Amerika nicht erst zu Hilfe kommen würde, wenn Europa brannte, sondern von vornherein präsent sein würde, um Brände zu verhüten. Es war dies, gegenüber allen strategischen Traditionen der Amerikaner seit Beginn ihrer Geschichte, nichts anderes als eine Revolution des Denkens und des Handelns. Sie aber war verankert in einer Leitidee weltpolitischer Ordnung. Niemals wurde diese Grundvorstellung deutlicher ausgesprochen als in jener Außenminister-Konferenz im Weißen Haus, zu der am Vorabend der Unterzeichnung des NATO-Vertrages Präsident Truman und Secretary of State Acheson die Außenminister aus Kanada und Europa eingeladen hatten: Es wurde eine Lehrstunde in Weltpolitik, und es ging um die Abschreckung der Sowjetunion und die Wiedergewinnung der Deutschen.

Präsident Truman erklärte, es gehe um Eindämmung und dann um Besiegung des Weltkommunismus. Er meinte nicht militärische Aktion, er meinte den Aufbau einer Machtbalance, die der lähmenden Furcht vor der sowjetischen Übermacht entgegenwirkte und dann, von einer sehr gesicherten Machtbasis aus, die sozialen und wirtschaftlichen Nöte beseitigte, die dem Kommunismus zugute kamen, um endlich einen aktiven Gegendruck zu schaffen und die Basis der Sowjetmacht zu unterminieren. Die Anstrengung des Westens erfordere, so sagte Truman, " major sacrifices of traditional national objectives." Das Gesamtziel dürfe nicht aus den Augen gelassen werden. Jede Politik müsse nicht nur aufgrund ihrer eigenen Vor- und Nachteile gesehen werden, sondern "as a part of the grand design".

Danach war Dean Acheson aufgerufen, der den geopolitischen Dreh- und Angelpunkt darlegte. Japan und Deutschland seien als Machtzentren jetzt zwar ausgeschaltet, aber in Zukunft unausweichlich wieder in einer Schlüsselrolle zwischen der UdSSR und dem Westen. Acheson:

" There is no question but that the USSR looks upon the eventual absorption of Germany, in particular, into the Soviet orbit as a major objective. There are already signs that the USSR is reversing its hard economic policy on stripping the East Zone and is encouraging the revival of German nationalism with the idea that a revived Germany, allied with the Soviet, would be almost unbeatable. Of course, the Kremlin is well aware that a new Germany could turn on the East as well as the West, but hopes to avoid this through strict communist party control".

Das Ergebnis dieser Analyse: Man müsse ein kalkuliertes Risiko eingehen. Jede alliierte Politik, die nicht auf Deutschlands Wiederaufstieg gerichtet sei, zwinge die Deutschen in die Arme der Russen.

" Therefore, we urge that the Western powers adopt the Joint policy of encouraging German economic revival, accelerating the development of democratic institutions, and actively combating Soviet Subversion".

Von französischer Seite kam der Vorschlag, Deutschland doch besser zu neutralisieren; von britischer die Idee, Deutschland eine sozialistische Eigentums- und Arbeitsverfassung zu verordnen. Auf den Neutralisierungsvorschlag antworteten die Amerikaner, es würde dann Deutschland in Europa die Schiedsrichterrolle zufallen zwischen Ost und West; auf den Sozialisierungsvorschlag, es würde schwerlich der amerikanische Steuerzahler Deutschland auf Dauer die notwendigen Subventionen zukommen lassen.

Obwohl es um die NATO ging und damit um ein Militärbündnis, zeigte sich doch von Anfang an, dass dieses Militärbündnis nur Rahmen sein sollte für "greater European economic and political unification". Nur durch europäische Einigung, so die amerikanische Überlegung, werde man jemals in der Lage sein, eine Machtbalance ohne prohibitive Kosten herzustellen. Nur dann sei die kommunistische Drohung im Inneren zu überwinden und zugleich die Machtbasis zu schaffen für angemessene künftige Rüstungen. Am Ende fasste Präsident Truman zusammen: Der Ort der Entscheidung sei Westeuropa. Dort sei der Machtkomplex der, zusammen mit den USA, hinreichend stark sei, die Balance der Welt zu entscheiden, aber auch der einzige, der in den Händen oder unter Kontrolle der UdSSR, diese fast unüberwindlich machen würde.

1949 befand sich die Welt mitten im definitorischen Moment der ersten Berlin-Krise und Stalin testete die Festigkeit der Amerikaner zusammen mit der der Briten, Franzosen und Berliner. Zehn Jahre später folgte die zweite Berlin-Krise, als Chruschtschow die neue nukleare Großmachtrolle der UdSSR umsetzen wollte in eine neue Landkarte Mitteleuropas und am 13. B. 1961 die Mauer bauen ließ: Mehr nicht, aber weniger auch nicht. Seitdem aber entstand, als Kind von Furcht und Vernunft, der schwierige Prozess der Entspannung, zu dem Amerika die nukleare und konventionelle Rüstungskontrolle, Deutschland aber die Ostpolitik beitrug. Wiederum zehn Jahre später führten die Sowjets den Westen im allgemeinen und Deutschland im besonderen in eine neue Zerreißprobe: Diesmal durch die Stationierung neuer, nuklear bewaffneter Mittelstreckensysteme von tödlicher Präzision und berechenbarer politischer Wirkung: Die Deutschen aus dem Bündnis des Westens zu brechen und damit jenes System der amerikanischen See-Allianz zu zerstören, das zwischen der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entstanden war. Bekanntlich ist es anders gekommen, als die Kreml-Herren wollten. Dreimal hatten die Sowjets angesetzt zur Revolutionierung der Landkarte Mitteleuropas, und dreimal wusste Amerika durch erweiterte Abschreckung, Staatskunst und Festigkeit dies zu verhindern. Jedes Mal ging es um Deutschland, aber nicht um Deutschland allein, sondern um die zentrale Position auf dem westeuropäischen Schachbrett.

Die vierte große Ost-West-Krise hätte der Fall der Berliner Mauer am Abend des 9. November 1989 sein können. Dass statt dessen ein großer europäischer Ausgleich folgte, mit der deutschen Wiedervereinigung als Herzstück, war drei Faktoren zu verdanken: Der Schwäche der Sowjetunion und der Einsicht ihrer Führer, dass das große Spiel um Europa vorerst verloren war; der Stärke Amerikas und der Weisheit des Weißen Hauses, nicht in Begriffen von Sieg und Niederlage zu denken, sondern in Stabilität und Ausgleich; und, last but not least, der Entschlossenheit der deutschen Führung, den Kairos der Geschichte zu gestalten. Entscheidend war, wie am Anfang des Kalten Krieges so auch an dessen Ende, die Rolle Amerikas.

Seitdem gilt das Goethe-Wort von Valmy 1792: "Von hier und heute nimmt eine neue Epoche der Weltgeschichte ihren Ausgang, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen." Alles hängt seitdem davon ab, dass die atlantischen Nationen ihre gemeinsame Bestimmung begreifen, dass Amerika nicht in Insularität verfällt und Deutschland die Versuchung zu neuen Sonderwegen überwindet. Die atlantischen Nationen werden die Welt gemeinsam gestalten, oder sie werden sie, wenn es an Gemeinsamkeit fehlt, zerbrechen sehen. Noch ist nicht ausgemacht, dass der Westen, wie er vierzig Jahre lang dank Amerikas Führungskunst und aufgeklärtem Selbstinteresse Bestand hatte, den Zusammenbruch des Ostens überlebt.

Es ist deutlich, dass die westlichen Nationen eine gesicherte Zukunft nicht haben, es sei denn gemeinsam. In jeder Gemeinsamkeit allerdings kommt die Schlüsselrolle wiederum, wie 1949, zwei Nationen zu, Amerikanern und Deutschen. Die Deutschen allerdings sind nicht mehr Objekt der weltgeschichtlichen Situation, sondern auch Subjekt, verantwortlich für weit mehr als das eigene Schicksal.

Nationale Interessen werden heute, und mit Recht, vor allem in Begriffen wirtschaftlicher Kraft und Leistungsfähigkeit und sozialer Kohäsion definiert. Das war 1949 nicht anders. Doch war unübersehbar, dass zuerst die Sicherheit gesichert sein musste, und danach die Prosperität. Heute erscheint vielen die Sicherheit entweder selbstverständlich oder nicht bedroht und auf jeden Fall ein nachrangiges Gut. Nichts wäre fahrlässiger, als diese Annahme. Die Welt ist noch immer ein gefährlicher Ort, und dies zu verkennen, stärkt die Gefahren, die sich längst aufbauen, nur anders als in der Vergangenheit. Jeder für sich, Gott für uns alle, und der Teufel holt den letzten - wenn das die Sicherheitspolitik des Westens würde, dann gäbe es bald weder Sicherheit noch Prosperität.

Die Verhandlungen um das General Agreement an Trade and Tarifs (GATT) im Jahr 1993 haben gezeigt, wie knapp der Vorrat an Gemeinsamkeit geworden ist und zugleich auch, wie notwendig die große Einigung der industriellen Demokratien ist, die einander nicht nur die stärksten Konkurrenten, sondern auch die besten Kunden sind. Deutschland und die USA hatten in dieser Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle, beide haben sie am Ende gut gespielt. Aber weder wird der freie Welthandel ausreichen, die strategischen Interessen zusammenzufügen, noch enthält er hinreichend Bindekraft für die Staaten, die einmal den "Westen" bildeten und noch immer bilden. Der politische Wille zur strategischen Gestaltung muss erneuert werden. Das Nordatlantische Bündnis ist noch immer das Herzstück atlantischer Sicherheit mit Auswirkungen, die tief hineingehen nach Ost-und Ostmitteleuropa. Es kann nicht erst in der Krise oder gar im Krieg getestet werden. Es muss jetzt, da die Dinge noch flüssig und im Übergang sind, zum Instrument der neuen Strukturbildung nach dem Kalten Krieg gemacht werden. Keine Macht ist dafür wichtiger als Amerika.

Wer die künftige Rolle der NATO allein als militärische Frage ansehen wollte, der würde sie verfehlen. Es geht primär um eine politische Frage, die allerdings nicht ohne militärische Antwort bleiben kann. Entscheidend ist, wie die Amerikaner und die Europäer die Gefahren sehen, die Europa in Zukunft bedrohen, und wie sie die Aufgaben definieren, die sie sich stellen. Die Amerikaner werden nicht in Europa sein aus Gewohnheit oder historischer Sentimentalität und auch nicht wegen der schönen Augen der Europäer oder Europäerinnen, sondern allein wenn und insoweit es amerikanischen Interessen entspricht. Diese waren bis 1990 klar definiert: Eindämmung des sowjetischen Landimperiums zu Wasser, zu Lande und in der Luft, Schutz der amerikanischen Heimat auf der Gegenküste des Atlantik; Projektion von Geist und Macht Amerikas nach Europa und Nah- und Mittelost. Dem dienten die Sechste Flotte im Mittelmeer, die auch in Zukunft bleibt, und die Schiffe im Nordatlantik. Dem dienten auch die Luft- und Landstreitkräfte in Großbritannien und auf dem Kontinent. Dem dienten endlich die weltweiten real time intelligence-Systeme, ohne die weder Friedensicherung noch Kriegführung möglich sind. Das Dispositiv des Westens war von diesen großen strategischen Zielen bestimmt, und auch die leichten Patrouillen an der Zonengrenze und die Garnisonen im westlichen Teil Berlins wurden von der Kraft der Abschreckung - die immer nuklear war und nicht anders sein konnte- wie an unsichtbaren Stahlseilen gehalten.

Niedergang und Fall des Sowjetreiches entzogen dieser Strategie, die mehr von den Falken als von den Tauben bestimmt war, politische Begründung und strategisches Objekt. Aber die Welt bleibt ein bedrohter Ort, und Geschichte wird wieder, was sie lange war, Chaos, das ins Chaos schwankt. Wer die strategische Welt von morgen erfassen will, der braucht mehr als einen Computer: Er braucht historische Erfahrung und eine schweifende Phantasie. Die Aufgabe des Nordatlantischen Bündnisses im allgemeinen, der amerikanischen Truppen im besonderen muss das sein, was man im 19. Jahrhundert mit Blick auf die Royal Navy die "force in being" nannte: Eine schon durch ihre Präsenz auf politische Leidenschaften und kriegerische Gelüste beruhigend einwirkende Kraft, abschreckend und pazifisierend, die, indem sie Krisen, Kriege und Katastrophen vorgreifend zu denken wusste, den Völkern den Durchgang zu ersparen wusste.

Drei Funktionen amerikanischer Präsenz in Europa zeichnen sich heute ab: Den Unwägbarkeiten der sowjetischen Erbfolge, die noch lange nicht zur Ruhe kommen wird, Festigkeit und Berechenbarkeit entgegenzusetzen, eingeschlossen im Nuklearen. Den Völkern in Osteuropa, die sich im Sicherheitsvakuum fühlen, Vertrauen und Maßstäbe zu geben, und insbesondere Russland in seiner als "Nahes Ausland" beanspruchten Interessensphäre zur Mäßigung anzuhalten. Endlich zum Gleichgewicht in Westeuropa beizutragen, und insbesondere nationalnukleare Ehrgeize zu besänftigen. Mit einem Wort, es liegt bei Amerika, die Wiederkehr der alten Dämonen undenkbar zu machen. Allerdings muss man sagen, dass weder die Zahl der hunderttausend US-Soldaten in Europa (davon 65000 in Deutschland) noch die von den übrigen Alliierten festgelegten Zahlen zu diesen strategischen Zielen, die auch Ziele des Bündnisses sind, in irgendeiner kausalen Beziehung stehen: Sie sind vor allem Ergebnis nationaler Haushaltsnöte.

Zugleich wird die nordamerikanische Präsenz, je weniger Supermacht-Bipolarität sie noch rechtfertigen kann, politisch schwieriger. In den öffentlichen Meinungen diesseits und jenseits des Atlantik wie in der Verteilung von Oberbefehl und Verantwortung. Was an Infrastruktur hinter der NATO steht, ist europäisch schwerlich zu verdoppeln. Nicht Transportkapazitäten, nicht Kontroll-, Kommando- und Kommunikationssysteme, nicht differenzierte Formen nuklearer Abschreckung. Gleichwohl muss Manövrierraum geschaffen werden für das, was als gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Maastrichter Vertrag den Kern der Europäischen Politischen Union bilden soll und auf lange Sicht doch allein in der strategischen Allianz realisierbar ist. Die Annäherung der Westeuropäischen Union an die NATO beim Brüsseler NATO-Gipfel 10./11. Januar 1994 ist deshalb ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Die Amerikaner werden, auch wenn in ein paar Jahren die Ziffer 100000 innenpolitisch noch haltbar sein sollte, unterdessen den Europäern unbequeme Fragen stellen, von denen die der Stationierungskosten noch zu den leichteren gehört. Am wichtigsten wird sein - für Deutschland und Frankreich aus unterschiedlichen Gründen schwierig - dass die NATO sich nicht in Artikel 6 des Washingtoner Vertrages einsperrt und damit allein noch auf den auf Sicht unwahrscheinlichen Fall des direkten militärischen Angriffs auf das Vertragsgebiet bereitsteht. Die Amerikaner werden ihre Truppen nicht allein für erklärte, sorgsam konsultierte Bündniszwecke, sondern auch jenseits von Europa einsetzen wollen. Sie werden auf der nuklearen Abschreckungskomponente bestehen und Luftverteidigung gegen Raketen aus Richtung Mittelmeer und Golfregion fordern. Auch die Frage der Führung stellt sich komplizierter und differenzierter als zuvor: Wo Amerika nicht mit Landtruppen zur Verfügung steht, wird die Us-army schwerlich den Oberbefehl reklamieren können.

Ohne Regelung dieser Strategie- und Strukturfragen wird wahrscheinlich Amerikas europäische Militärpräsenz auf Termin gestellt sein: Europäische Sicherheit dann allerdings auch. Die Geschichte wird sich nicht wiederholen. Doch bleibt gegenwärtig mehr zu tun als den Soldaten vom "Fulda-Gap" und von Berlin vielen Dank zu sagen und für die Zukunft alles Gute zu wünschen. Vieles spricht dafür, dass es in Amerikas und Deutschlands aufgeklärtem Selbstinteresse liegt, mit der Allianz, die ihnen vierzig Jahre lang Frieden gab, die Sicherheit auf neue Weise zu versichern.

 
 
 

* Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Direktor des Forschungsinstituts für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)