EIN MUSEUM FÜR ALLE
Unsere Führungsreferentin Friedrun Portele-Anyangbe erklärt, wie inklusive Ausstellungen entstehen.
Zielsicher steuert Frau ten Berge auf die Eingangstür der Sonderausstellung „Angezettelt“ zu, wobei sie sich mit ihrem Langstock am taktilen Bodenleitsystem orientiert. Für die stark sehbehinderte Niederländerin ist es nicht der erste Besuch im Deutschen Historischen Museum: Seit 2014 erstmals die Fotoausstellung „The Eyes of War“ mit einem Leitsystem für Sehbehinderte ausgestattet wurde, ist das Deutsche Historische Museum zu einem festen Bestandteil ihres Kulturprogramms während ihrer Berlin-Aufenthalte geworden.
KREATIVITÄT UND AUSTAUSCH
Die Ausstellung mit den Fotoporträts von Martin Roemers war der Start für die Erarbeitung eines inklusiven, also für alle Menschen barrierefreien Gestaltungs-und Vermittlungskonzepts. Auch wenn seit 2002 in Deutschland das Behindertengleichstellungsgesetz gilt und die UN-Behindertenrechtskonvention 2008 in Kraft trat, musste das DHM erst eigene Standards für eine inklusive Ausstellungsgestaltung erarbeitent werden. So waren Kreativität, Ausprobieren und vor allem Zusammenarbeit mit den Betroffenengruppen gefragt: Mehrfach wurde das Leitsystem ebenso wie die speziell für Blinde und Sehbehinderte erarbeiteten Bildbeschreibungen der Hörführung durch Blinden- und Sehbehindertenverbänden getestet und evaluiert.
Diese Erfahrungen fließen nun in die Sonderausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ ein. Sie ist die dritte inklusiv gestaltete Sonderausstellung. Der Ansatz ist umfassender als bei „The Eyes of War“, wie Führungsreferentin Friedrun Portele-Anyangbe erklärt: „Wir haben versucht, die Ausstellung sowohl barrierefrei, also rollstuhlgerecht, als auch inklusiv zu gestalten. Blinde und Sehbehinderte sollen sie ebenso besuchen können wie Menschen mit Lernschwierigkeit. Also haben wir sogenannte Inklusive Kommunikations-Stationen geschaffen, in denen die Informationen zu ausgewählten Objekten in fünf Sprachen – Deutsch und Englisch, Brailleschrift, Deutscher Gebärdensprache und Leichter Sprache – gleichberechtigt zur Verfügung stehen. Die Objekte und Modelle an den Stationen sprechen immer mindestens zwei Sinne gleichzeitig an: Sie laden zum Hören, Sehen, Tasten oder Riechen ein. Neben dem taktilen Leitsystem bietet die Ausstellung eine Hörführung mit Audiodeskriptionen in deutscher und englischer Sprache, die auf großen Zuspruch bei allen Gästen stößt.“
Derzeit arbeitet Friedrun Portele-Anyangbe bereits an der großen Ausstellung zum deutschen Kolonialismus mit, die ab 14. Oktober 2016 zu sehen ist. Dann sollen die Inklusiven Kommunikations-Stationen ausstellungsübergreifende Themen wie Alltagsrassismus oder koloniale Spuren im Stadtraum exemplarisch aufgreifen und sie für alle Menschen zugänglich machen. Der Traum für die studierte Historikerin und Judaistin Portele-Anyangbe ist es, ein „Museum für alle“ zu entwickeln und komplexe Geschichtsschreibung für alle zugänglich zu machen.