EM 1560: DIE TOSKANA GEWINNT DAS FINALE GEGEN OSTFRIESLAND

Am 10. Juli 2016 wurde in Frankreich der neue Fußballeuropameister gekürt. Das Turnier gibt es seit 1960 – aus historischer Perspektive also erst seit Kurzem. Doch welche Teams hätten die EM ausgespielt, wenn der Fußballsport ein paar hundert Jahre früher populär geworden wäre? Wir liefern eine augenzwinkernde Übersicht der schönsten historischen Europameisterschaften, die es nie gegeben hat.

EM 804: LEICHTES SPIEL FÜR DIE FAVORITEN AUS DEM FRÄNKISCHEN REICH

Karl der Große ist begeistert. Sein Fränkisches Reich hat das Team aus Al-Andalus nach einem furiosen Endspurt mit 2:1 besiegt. Dabei hatten die Mauren, die seit dem 8. Jahrhundert einen Großteil der iberischen Halbinsel bevölkern, noch bis zehn Minuten vor Schluss mit 1:0 geführt. Das Finale der Fußball-EM 804 ist die logische Folge der Dominanz zweier Großreiche: Einem riesigen Frankenreich im Zentrum und Westen Europas steht das liberale und hochentwickelte Al-Andalus aus dem Südwesten gegenüber. Mit Ausnahme des oströmischen Reiches haben die beiden Staaten keine ernsthaften Titel-Konkurrenten. Die vielen kleinen Stämme, die im Osten und Norden Europas in unklaren Grenzen leben, sind wenig organisiert und haben eine entsprechend schlechte fußballerische Infrastruktur. Ohnehin reisen nur wenige von ihnen überhaupt zum Turnier an. So haben die favorisierten Mannschaften leichtes Spiel – auch wenn vor allem die Franken im Vorfeld des Turniers Probleme haben, die besten Spieler zu scouten: Das Land Karls des Großen ist ein schwaches Staatswesen, dem der Überblick über sein riesiges Territorium auch in sportlicher Hinsicht schwer fällt.

EM 1200: KASTILIEN SIEGT MIT EINEM TRICK

Rund 400 Jahre später hat sich die Landkarte Europas grundlegend verändert. Das Fränkische Reich ist Geschichte, sein Widersacher aus dem Finale 804, Al-Andalus, beherrscht nur noch den Süden des heutigen Spaniens. Im Jahr 1200 gibt es eine Vielzahl aufstrebender Top-Teams, die auf den Titel hoffen können: Neben England, das stolz das frisch eingeführte Landeswappen mit den „Three Lions“ auf den Trikots präsentiert, zählen auch Frankreich, Portugal und Ungarn zu den Favoriten. Im Finale trifft jedoch das Heilige Römische Reich, im Zentrum des Kontinents gelegen, auf Kastilien – ein aufstrebendes Königreich, das sich auf Territorien des ehemals maurischen Herrschaftsgebiets befindet und dessen fortschrittliches Spielsystem übernommen hat. In einem überraschend einseitigen Match setzt sich Kastilien deutlich mit 3:0 durch. Der Trumpf der hochtalentierten Südeuropäer: Noch kurz vor der EM hatte der kastilische Verband begabte Spieler aus den Nachbarkönigreichen León und Navarra abgeworben – und das völlig unbemerkt. Denn Grenzen sind im Jahr 1200 weiterhin diffuse Kontaktzonen und eine geregelte Staatsbürgerschaft ist in weiter Ferne.

EM 1560: ZWEI AUSSENSEITER STEHEN IM FINAL

Im Vorfeld der Fußball-EM 1560 wären solche Tricksereien unwahrscheinlich gewesen. Zwar sind Grenzen weiterhin durchlässig, doch werden natürliche Barrieren wie Flüsse, Gebirge, Sümpfe und Wüsten allmählich als klare Trennlinien zwischen verschiedenen Herrschaftsgebieten angesehen. Die Idee des heutigen Territorialstaats kommt auf, politische Grenzen sind erstmals auf Landkarten zu finden und ganz langsam entwickelt sich vielerorts ein Nationalgefühl. Gleichzeitig entdeckt man die Tugenden der antiken Athletik wieder: Die teilnehmenden Teams der EM 1560 legen einen immer stärkeren Wert auf eine professionelle Vorbereitung – Scouting und Trainingsmethoden haben sich erheblich verbessert. Wer sich in diesem Wettbewerb durchsetzen möchte, muss ohnehin topfit sein, denn die Konkurrenz ist enorm. Die EM 1560 ist das größte europäische Fußballturnier aller Zeiten. Aufgrund der deutschen und italienischen Kleinstaaterei wollen eine Vielzahl von Territorien und Herrschaftsgebieten mit eigenen Mannschaften antreten. Nach mehrjährigen Qualifikationsrunden stehen 36 Teilnehmer fest. Die Favoriten aus Dänemark, Litauen, Spanien und Neapel scheitern bereits in der Vorrunde. Überraschungssieger ist die Toskana, die Ostfriesland in einem engen Finale dank eines umstrittenen Elfmeters mit 4:3 schlägt. Zu einem geflügelten Wort seiner Zeit wird ein Ausspruch des französischen Trainers nach der Niederlage gegen Wolfenbüttel in der Vorrunde: „Im Fußball gibt es keine Kleinstaaten mehr.“

EM 1896: DUELL DER STOLZEN GROSSMÄCHT

Auf kleine Staaten muss das Turnier von 1896 größtenteils verzichten. Der Kontinent ist weitestgehend in Großreiche aufgeteilt, ergänzt um wenige kleine Republiken und Königreiche. Die Vorbereitung verläuft dank der guten Organisation der Länder auf höchstem Niveau. Wo die besten Fußballer des Landes spielen, ist ohnehin in den zuständigen Ministerien erfasst. Die Europameisterschaft ist bei allen Teilnehmern von hoher Bedeutung. Sie gilt als prestigeträchtiges Kräftemessen zwischen selbstbewussten und miteinander konkurrierenden Reichen. Die Gazetten und Magazine der verschiedenen Länder verhöhnen die Gegner und heizen die Stimmung an. Das Teilnehmerfeld ist derweil klein: Nur 16 Länder machen den Titel unter sich aus – viel mehr hat der Kontinent in dieser Epoche ohnehin nicht zu bieten. Am Ende siegt die Variabilität: Österreich-Ungarn gewinnt gegen das osmanische Reich im Duell der Vielvölkerstaaten. Ein Kopfballtreffer in der Anfangsphase bleibt das einzige Tor des Spiels. Zum ersten und letzten Mal in ihrer kurzen Geschichte geht der Titel an die Doppelmonarchie. In prachtvollen offenen Kutschen lässt sich das vielsprachige Team von den Fans auf der völlig überfüllten Wiener Ringstraße bis tief in die Nacht feiern.