Das unterschiedliche Erinnern: Wie heute nach mehr als 70 Jahren an die Gräuel des Holocausts gedacht wird
Dieser Tage gedenken wir der Millionen Toten, die der planmäßigen Ermordung durch die Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen das Vernichtungslager Auschwitz. Mehr als eine Million Menschen wurden in diesem größten Vernichtungslager der Nationalsozialisten ermordet – vergast, erschossen, erhängt – oder starben an Misshandlungen, Folter, an Krankheiten und Unterernährung sowie an den Folgen von Zwangsarbeit. Heute ist Auschwitz ein Synonym für den Holocaust, den Völkermord an den Juden. Bundespräsident Roman Herzog erklärte den 27. Januar zum Gedenktag, seit 2006 wird an diesem Datum weltweit an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Auschwitz war das größte deutsche Vernichtungslager. Von Anfang 1942 bis zu seiner Befreiung brachten Deportationszüge Juden aus fast ganz Europa nach Auschwitz. Mit der Erinnerung an den Ort der Vernichtung taten sich die Deutschen indes schwer. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg war „Auschwitz“ in Deutschland kein bekannter Begriff. Erst mit Beginn der 1980er Jahre sickerte das Wort, das mittlerweile zum Synonym für den Massenmord der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs geworden ist, in das deutsche Bewusstsein ein.
Selfies vor dem Krematorium
Inzwischen, mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Terror der Nationalsozialisten, zählen Orte, an denen die Mörder und Folterer gewirkt haben, indes zu touristischen Besuchermagneten. Über 1,7 Millionen Besucherinnen und Besucher konnte die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau 2015 verzeichnen.
Die Menschen, die es an die Originalorte des Grauens zieht, verhalten sich höchst unterschiedlich: Sie posieren vor dem Schild „Arbeit macht frei“, fotografieren es, schauen ratlos umher, unterhalten sich – sind letztlich auch hier Touristen. Der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa zeichnete ihr Porträt in seinem 2016 erschienenen Film „Austerlitz“. Zu sehen sind beinahe lähmende Aufnahmen des alltäglichen Tourismusbetriebs in den ehemaligen Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau.
Ein weiteres Projekt stellt die Internetplattform „#Uploading Holocaust“ dar. Es behandelt den Umgang israelischer Jugendlicher mit dem Erinnern und ihren Gefühlen bei einem Gedenkstättenbesuch. Gleichzeitig wird der Nutzer immer zu seinen eigenen Besuchen von Gedenkstätten befragt. Der gleichnamige Dokumentarfilm zu diesem Projekt, der 2016 erstmals auf dem DOK Leipzig ausgestrahlt wurde und der am 24. Januar im RBB lief und am 7. Februar in 3sat gezeigt wird, reiht die YouTube-Videos, der Jugendlichen während ihrer „Polen-Reise“ aneinander: Beim Zuschauen begleitet man sie beim Erforschen der eigenen Geschichte, Erinnern an die Opfer in ihren Familien, Hinterfragen der eigenen Fähigkeit nach „richtigen Gefühlen“.
Ein Krematorium in Weiß: Auschwitz-Modell in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums
Im Zentrum der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten steht das Modell des Krematoriums II aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von dem polnischen Künstler Mieczysław Stobierski (1914-1998). Es soll die industrielle Massenvernichtung von Menschen während des Zweiten Weltkriegs verdeutlichen. SS-Männer mit Hunden bewachen einen Strom von Menschen und geleiten sie in einen unterirdischen Raum, in dem sich Frauen, Kinder und Männer entkleiden. Der nächste Raum ist die Gaskammer. Menschen drängen sich, sie schreien und sterben. Oberhalb werden Leichen von den sogenannten Sonderkommandos im Krematorium verbrannt, in einer Ecke stapeln sich leblose Körper.
Das Modell ist komplett in Weiß gestaltet: das Krematorium, die Gaskammer, die Verbrennungsöfen, die SS-Männer, die lebendigen und die ermordeten Menschen. Das Modell dokumentiert – und ist gleichzeitig ein Kunstwerk. Besucherinnen und Besucher können die Gesichter der Ermordeten erkennen – und im selben Moment die Todesmaschine Auschwitz versuchen zu begreifen, vor der alle Opfer gleich waren. Das Objekt steht für das Ereignis, ist faktisch und zugleich emotional.