Die Kamera unter der Jacke
Überall ist die Rede davon: Überwachung und Spionage durch Geheimdienste und Medien. Dass staatliche Überwachung bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland üblich war, erzählt eine Geheimkamera in unserer Reihe „Wozu das denn?“
Die 1886 hergestellte Geheimkamera ist rund, hat einen Durchmesser von 15 Zentimetern und ist flach genug, um sie unauffällig unter einer Jacke zu tragen. Die Linse ist so gestaltet, dass sie durch ein Knopfloch hervorschaut. Neben der Linse befindet sich ein Zeigerknopf zum Einstellen der Aufnahmen, das Spannen des Auslösers erfolgt durch mehrmaliges Drehen des Stellknopfes. Über eine Zugschnur an der Seite wurde der Auslöser betätigt. Allerdings passten maximal sechs Fotos auf die Filmplatte und so stellt sich die Frage nach dem Zweck der kleinen Geheimkamera.
Mit modernster Technik gegen Staatsfeinde
Die Entwicklung der Geheimkamera fällt in die Zeit der Sozialistengesetze. Reichskanzler Bismarck führte zwei gescheiterte Attentate auf den ersten deutschen Kaiser Wilhelm I. im Jahre 1878 zurück auf die Sozialdemokraten. Am 19. Oktober konnte er den Reichstag bewegen, dem Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie zuzustimmen, das sozialistische Vereine, Versammlungen und Schriften verbot. Um die Aktivitäten der Sozialdemokraten zu überwachen, bedienten sich die Beamten der Polizei modernster Technik wie dieser seit 1886 hergestellten Kamera. Verbot und Überwachung verhinderten jedoch nicht die Wahl sozialistischer Abgeordneter in den Reichstag. 1890 kam es zum Bruch zwischen Wilhelm II. und Otto von Bismarck – Bismarck musste zurück treten. Auch die Sozialistengesetze fanden 1890 ihr Ende.