Gleiche Rechte, Gleiche Pflichten – Frauenwahlrecht in Deutschland
Am 24. September 2017 findet die 19. Bundestagswahl statt. Unter den zur Wahl stehenden Kandidaten sind in diesem Jahr 1.400 Frauen, 29 % aller Bewerber. Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die SPD haben sogar überwiegend weibliche Listenführer. Und seit 2005 gibt es in Deutschland eine Bundeskanzlerin. Vor hundert Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Revolutionen und Frauenwahlrecht
Obwohl Frauen, insbesondere Frauen aus Adelskreisen, in früheren Jahrhunderten immer wieder diplomatische Aufgaben übernommen haben, sprach man ihnen im Zeitalter der Revolutionen lange Zeit jegliches politische Geschick ab. Weder bei der französischen Revolution 1789, noch im Zuge der Revolution von 1848 wurden politische Rechte für Frauen als diskussionswürdig erachtet. Als 1848 die erste deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, um eine demokratische Verfassung für den angestrebten deutschen Nationalstaat zu erarbeiten, befand sich unter den 585 Abgeordneten keine einzige Frau.
Politisches Denken liege nicht in ihrer Natur. Da sie finanziell unselbständig und von ihren Ehemännern, Vätern oder Brüdern abhängig waren, seien sie nicht in der Lage, politische Entscheidungen zu treffen. Und außerdem seien sie durch ihre Ehemänner ausreichend repräsentiert, ein Wahlrecht für Frauen störe bloß die Harmonie in der Familie. Diese und andere Meinungen schlugen Frauen entgegen, wenn sie Anspruch auf politische Teilhabe einforderten.
In der Paulskirchenverfassung von 1849 war für Frauen daher weder ein passives Wahlrecht – das Recht, zur Abgeordneten gewählt zu werden – vorgesehen, noch ein aktives Wahlrecht – das Recht, andere zu wählen. Ebenso wenig wurde bei der Reichsgründung 1871 Frauen ein Mitbestimmungsrecht im Parlament eingeräumt. Erst in der Revolution von 1918 erhielten Frauen in Deutschland mit dem Wahlrecht auch die Möglichkeit, die Politik in ihrem Land mitzugestalten.
Viele Steine auf dem Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland
Frauen wie Louise Otto-Peters bemühten sich während der Revolution von 1848 noch vergeblich um politische Beteiligung und Gleichberechtigung. 1865 gründete sie deshalb zusammen mit Auguste Schmidt den Allgemeinen Deutschen Frauenverein – ein Ereignis, das die Presse als „Leipziger Frauenschlacht“ verspottete, da es während der Jahrestage zur Völkerschlacht bei Leipzig von 1813 stattfand. In der Folge engagierten sich immer mehr Frauen aller Schichten für ihre Rechte. Doch während die meisten Vertreterinnen des Bürgertums, seit 1894 vereint im Bund Deutscher Frauenvereine, vor allem das Recht auf Bildung und Arbeit in den Vordergrund stellten, war für die Vertreterinnen der Arbeiterbewegung das Wahlrecht der Weg zum Ziel und hatte allerhöchste Priorität. 1891 nahm dementsprechend die Sozialdemokratische Partei das Frauenwahlrecht in ihr Parteiprogramm auf. 1902 gründeten Anita Augspurg, Minna Cauer und Lida Gustava Heymann schließlich den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht mit dem erklärten Ziel, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen durchzusetzen. Beim ersten Internationalen Frauentag in Leipzig, zu dem per Maueranschlag aufgerufen wurde, gingen 1911 über eine Million Frauen auf die Straße, um für dieses Recht zu demonstrieren.
Zugleich strebten auch in anderen Ländern Frauen nach dem Wahlrecht. Zur besseren Vernetzung wurde 1904 der Weltbund für Frauenstimmrecht – „International Women Suffrage Alliance“ – in Berlin gegründet, der als „International Alliance of Women“ noch heute existiert. Während Frauen in Neuseeland und Australien bereits in den 1890er Jahren das Wahlrecht erlangt hatten, erhielten Frauen in Finnland als erste Europäerinnen das Wahlrecht, 1913 Frauen in Norwegen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 verhinderte die weitere Zusammenarbeit.
Er trug aber zugleich dazu bei, dass die deutschen Frauen dem Wahlrecht ein Stück näher kamen. Denn während des Krieges traten Frauen in Berufe ein, die zuvor Männern vorbehalten gewesen waren. Dies lieferte ihnen in der Revolution von 1918 gewichtige Argumente für das Recht auf politische Mitbestimmung. Am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten das allgemeine Wahlrecht ab einem Alter von 20 Jahren nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen und ließ das neue Regierungsprogramm auf Maueranschlägen bekannt machen. Das allgemeine Wahlrecht wurde 1919 auch in die Weimarer Verfassung aufgenommen und 1949 in das Grundgesetz der Bundesrepublik und die Verfassung der DDR.
Gleiche Rechte, gleiche Pflichten
Die erste Wahl, bei der deutsche Frauen reichsweit von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen konnten, war die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Januar 1919. Für diese Wahl warb beispielsweise ein Plakat der SPD, das in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums gezeigt wird. Zu sehen sind ein Mann und eine Frau, die eine rote Fahne schwenken. Mit dem Aufruf „Frauen! Gleiche Rechte, gleiche Pflichten!“ fordert das Plakat explizit die weiblichen Wähler auf, die Sozialdemokraten zu wählen.
Die Sorge, dass eine unzureichende Beteiligung von Frauen an dieser Wahl die errungenen Rechte gleich wieder zunichtemachen würde, war groß. Umso mehr wurden gerade Frauen daran erinnert, dass sie nun, da sie das Wahlrecht erlangt hatten, auch verpflichtet waren, es zu nutzen. Wie die SPD warben nun auch andere Parteien um die Stimmen der Frauen.
Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gaben 82% aller wahlberechtigten Frauen ihre Stimme ab. Am Ende waren unter den insgesamt 423 gewählten Abgeordneten 37 Frauen. Ein ähnlicher Anteil von Frauen im Abgeordnetenhaus wurde mit 9,8 % erst 1983 wieder erreicht. 2013 haben dagegen nur 72 % der wahlberechtigten Frauen von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. 230 der insgesamt 631 gewählten Abgeordneten waren Frauen, also etwa 36,5 %. Damit haben sie im Vergleich zu 1919 und 1983 deutlich aufgeholt. Wie es 2017 aussehen wird, entscheidet die Wahl am 24. September.