Erntefeste und Erntedank
Mit Beginn des Herbstes, in der Regel um das erste Oktoberwochenende herum, werden Häuser und Straßen in vielen Orten Deutschlands mit Obst, Gemüse und Getreideähren geschmückt. Strohpuppen zieren die Vorgärten. In Trachten gekleidete Frauen, Männer und Kinder ziehen ebenso geschmückte Wagen und Schubkarren durch die Straßen und feiern gemeinsam ein großes Fest. Hintergrund der oft mehrere Tage dauernden Veranstaltung ist das Erntedankfest, das in diesem Jahr auf den 1. Oktober fällt.
Erntefeste in verschiedenen Kulturen
Genug Nahrung zu haben, war schon immer wichtig für den Erhalt der Menschheit. Seit die Menschen sesshaft wurden und Ackerbau betrieben, hing ihre Existenz von einer guten Ernte ab. Dementsprechend hat es zu allen Zeiten in vielen Kulturen Feste gegeben, mit denen die Menschen Göttern und Dämonen für eine erfolgreiche Ernte dankten oder sie für eine bevorstehende Ernte günstig stimmen wollten.
So fanden im alten Ägypten Feiern zu Ehren des Pflanzen- und Fruchtbarkeitsgottes Min im Frühjahr statt. Im Herbst veranstalteten die Griechen Feiern zu Ehren von Demeter, der Göttin der Feldfrüchte, die Römer zu Ehren der Getreidegöttin Ceres. In altsächsischen Siedlungsgebieten huldigten die Menschen Wotan alias Odin als Spender der Ernte. Oftmals waren diese Feste mit Opfergaben verbunden, die sich noch heute in Bräuchen zum Erntedankfest niederschlagen.
Das Judentum kennt zwei Feste, an denen Gott für die Ernte gedankt wird: Schawuot, das Wochenfest nach der Getreideernte, wird im Mai/Juni gefeiert. Beim Sukkot, dem Laubhüttenfest nach der Weinlese im September/Oktober, bitten die Menschen zugleich um neuen Regen und damit um ein weiteres fruchtbares Jahr. Und auch im Christentum sind Dankbarkeit und Sorge um eine gute Ernte fest verankert. Nicht ohne Grund heißt es im Vater Unser, dem wichtigsten christlichen Gebet: „Unser täglich Brot gib uns heute …“
Erntefeste und die Kunst
In bildlichen Darstellungen des Jahresverlaufs dominieren oft landwirtschaftliche Szenen oder Symbole. Nicht nur stellen Allegorien der Jahreszeiten den Sommer in der Regel mit Getreide und Früchten dar, den Herbst mit Weintrauben und Weinblättern. In Kalendern und Jahreszyklen finden sich vor allem in den Monaten Juli bis September viele Erntemotive und damit verbundene Feste. So zum Beispiel auch auf einer Tafel der Augsburger Monatsbilder aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, die im Obergeschoss der Dauerausstellung gezeigt wird: Im Juli sieht man Männer und Frauen bei der Ernte. Einer der Erntehelfer hat seinen Hut mit Blumen geschmückt. Daneben sieht man im August die Menschen bei Musik und Tanz, darüber bei der Weinlese und im September beim Weinkeltern.
Festmotive im Zusammenhang mit dem ländlichen Leben finden sich darüber hinaus auf einem Tapetenzyklus mit Schweizer Motiven aus dem 19. Jahrhundert, der ebenfalls in der Dauerausstellung zu sehen ist. Auf einer der Tapetenbahnen ist eine Gruppe von Männern und Frauen bei der Heuernte zu erkennen. Einige von ihnen haben sich bereits zum festlichen Tanz zusammengefunden. Auf einer weiteren Tapetenbahn ist auch der feierliche Almabtrieb der Kühe dargestellt, der vom Tanz eines mit Blumen bekränzten Paares begleitet wird. Auch heute noch werden in Gebirgsgegenden zur Zeit des Erntedankfestes die Rinder, die den Sommer über in den Bergen weiden, mit Glocken geschmückt ins Tal getrieben.
Erntedank im christlichen Jahreskalender
Ursprünglich gab es im christlichen Europa keinen festen Termin für Erntedankfeste. Oftmals fanden entsprechende Festlichkeiten sogar mehrfach im Jahr statt. Der Grund dafür war, dass die verschiedenen Frucht- und Getreidesorten auch zu unterschiedlichen Zeiten geerntet werden.
Im Christentum waren die Festtermine oft mit Heiligentagen verknüpft. So gab es Gegenden, in denen das große Erntedankfest bereits am Bartholomäustag (24.8.) oder am Tag des Heiligen Ägidius (1.9.) gefeiert wurde. Andere feierten am ersten Sonntag nach Michaelis (29.9.) Erntedank, so dass das Fest meist auf das erste Oktoberwochenende fiel. Der Sonntag nach Michaelis wurde 1773 auch in Preußen per Erlass als Termin für das Erntedankfest bestimmt. Inzwischen hat sich in Deutschland der erste Sonntag im Oktober als Festtermin eingebürgert. In Gegenden, in denen vor allem Wein angebaut wird, wie an der Mosel, feiern die Gemeinden aber oft erst im November.
Ernte und Dank heute
Heute sind Erntedankfeste für viele Menschen einfach eine weitere Gelegenheit zum ausgelassenen Feiern. Die alten Bräuche haben sich aber erhalten. Entsprechend einer langen christlichen Tradition beginnen die Festlichkeiten in der Regel mit Gottesdiensten oder Prozessionen. Die Umzüge mit geschmückten Wagen erinnern auch heute noch an die früheren Opfergaben. Und das Festessen mit Tanz und Spiel entspricht dem Fest, das der Gutsherr früher als Dank für die Erntehelferinnen und Erntehelfer gab.
In einer Zeit modernen Ackerbaus und globalen Handels merkt man in Europa kaum noch, welchen Schwankungen die regionale Ernte durch Unwetter oder andere äußere Einflüsse unterliegt. Hungersnöte hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben. Doch ein kompletter Ernteausfall würde auch im heutigen Europa große Probleme verursachen. Daher ist das Erntedankfest auch heute noch ein wichtiges Fest: Es erinnert daran, dass die Versorgung mit ausreichend Nahrungsmitteln keine Selbstverständlichkeit ist.