Mit Flugblättern gegen die Diktatur – Die „Weiße Rose“ und der 18. Februar 1943
Er habe nur seine Pflicht getan, sagte der ehemalige Hausmeister der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, Jakob Schmid, als er vor dem Nürnberger Militärtribunal zu seinem Handeln am 18. Februar 1943 befragt wurde. Auf seiner Runde durch das Haus sah er an jenem Donnerstagvormittag die zwei Studierenden Sophie Scholl und ihren Bruder Hans, die Flugblätter in den Lichthof des Uni-Gebäudes regnen ließen. Es war das letzte Flugblatt der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Sammlungsleiter Thomas Jander schildert, wie die Geschwister Scholl und ihre Unterstützer vor 75 Jahren mit Hilfe von Flugblättern gegen die Diktatur aufbegehrten.
Die „Weiße Rose“ hatte viele Mitwisser und Unterstützer. Ihren inneren Zirkel bildeten anfangs und vor allem die Medizinstudenten Hans Scholl und Alexander Schmorell, die sich einig waren in ihrer Ablehnung des nationalsozialistischen Staates und seiner Politik. In kürzester Zeit – vom 27. Juni bis 12. Juli 1942 – verfassten sie vier von insgesamt sechs Flugblättern. Hans Scholl trug dabei den Löwenanteil: Das erste und das vierte schrieb er allein und das zweite und dritte je zur Hälfte. Er hatte einen Vervielfältigungsapparat gekauft, mit dem sie die von Schmorell zu Matrizen abgetippten Flugblätter jeweils in etwa 100 Exemplaren abzogen. Per Post gingen diese an Empfänger, die, aus dem Münchner Telefonbuch ausgewählt, zur bürgerlichen, intellektuellen Oberschicht gehörten. Die mit durchaus elitärem Anspruch formulierten Texte richteten sich auch inhaltlich an Gebildete, die Zitate von Schiller, Goethe und Aristoteles einzuordnen wussten und sich auch vom sprachlichen Duktus nicht abschrecken ließen. Darüber hinaus bekamen auch Wirtshäuser Post von der „Weißen Rose“, denn in den Kneipiers hofften die Studenten Multiplikatoren zu finden. Im Kern riefen Scholl und Schmorell zu passivem Widerstand und zur Sabotage auf, wollten gegen die „Diktatur des Bösen“ geistig aufrütteln. Mit der Abkommandierung der Studentenkompanie am 23. Juli 1942 nach Russland, der Scholl, Schmorell und andere des Kreises, wie Willi Graf angehörten, fanden die Widerstandsaktivitäten, vorläufig, ein abruptes Ende.
Radikalisierung des Widerstands
Die Kompanie war zur medizinischen Versorgung eingesetzt und gleichzeitig diente der Einsatz als Feldfamulatur. Auf ihrem Marsch kamen sie durch Warschau und wurden Augenzeugen der verbrecherischen Willkür gegenüber den Juden des Ghettos. Sie erlebten die Grausamkeit des Krieges, kamen aber auch russischen Einwohnern nahe. Diese prägenden Erfahrungen führten zu einer Radikalisierung der Widerstandshaltung.
Als die Studentenkompanie am 6. November 1942 zurück nach München kam, erweiterte sich der engere Kreis um Christoph Probst, ein guter Freund Schmorells, Kurt Huber, Professor für Philosophie an der Münchner Universität und schließlich auch um Sophie Scholl, die zwar eingeweiht, aber noch nicht aktiv beteiligt war. Gemeinsam mit Huber wurde Ende Januar 1943 das fünfte Flugblatt der Gruppe verfasst. Anders als zuvor, rief die „Weiße Rose“ nun nicht mehr nur Münchner Intellektuelle zu passivem Widerstand auf, sondern wandte sich in klarer Sprache „An alle Deutschen!“, mit dem Nationalsozialismus zu brechen und das Regime zu stürzen. Diesmal wurden vermutlich mehr als 5.000 Abzüge hergestellt. Auch die Verteilung bekam andere Dimensionen: Zusätzlich zur nunmehr überregional praktizierten Versendung als Brief, wurden nächtliche Per-Hand-Verteilungen in München vorgenommen.
Diese Methode war zwar weitreichender und wirksamer, aber auch viel gefährlicher. Noch gefährlicher indes waren die folgenden Aktionen, bei denen Scholl, Schmorell und Graf fast zehn Nächte lang „Freiheit“ und „Nieder mit Hitler!“ an zahlreiche Münchner Hauswände schrieben.
Das letzte Flugblatt
Bereits am 12. Februar 1943 entstand das sechste, das letzte Flugblatt. Diesmal waren die Adressaten die Studierenden der deutschen Universitäten selbst: „Kommilitoninnen! Kommilitonen!“ lautet die Überschrift, unter der vor dem Hintergrund der Niederlage von Stalingrad und der drohenden Vernichtung weiterer abertausender Menschenleben zu offenem Aufstand in den Hörsälen der deutschen Hochschulen aufgerufen wurde. Eine Hälfte der 2.000 bis 3.000 Flugblätter wurde erneut mit der Post verschickt. Die andere trugen die Geschwister Scholl an jenem verhängnisvollen Donnerstag in das Universitätsgebäude. Kurt Huber hielt gerade eine Vorlesung, die Flure waren leergefegt, und so legten sie die Blätter aus und steckten sie in die Taschen der aushängenden Mäntel. Aber als wäre das nicht schon riskant genug gewesen, warfen sie das kompromittierende Papier in Massen von der Galerie in den Lichthof und wurden schließlich von jenem Hausdiener Schmid gesehen, gestellt und festgehalten. Dieser alarmierte die Gestapo und kurz darauf erschienen die Beamten, verhafteten die Scholls und brachten sie auf die Münchner Leitstelle, wo sie nach zahlreichen Verhören bald gestanden und alle Verantwortung jeweils auf sich nahmen. Bald darauf flog der Kreis der Gruppe und ihrer Unterstützer auf.
Nach nur wenigen Tagen, am 22. Februar 1943, waren die Ermittlungen abgeschlossen. Vor dem Volksgerichtshof wurde Anklage wegen Hochverrats erhoben, Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zum Tode verurteilt und das Urteil noch am selben Tag, um fünf Uhr abends im Gefängnis Stadelheim vollstreckt. Alexander Schmorell, nach erfolglosem Fluchtversuch festgenommen, wurde, ebenso wie Kurt Huber, am 13. Juli 1943 hingerichtet. Am 12. Oktober 1943 folgte die Ermordung Willi Grafs.
Historische Bedeutung
Es ist bis heute Anlass von Spekulationen, wie und warum es zu der hoch riskanten Aktion wie zur völlig widerstandslosen Festnahme der beiden jungen und körperlich kräftigen Menschen durch einen älteren Mann kommen konnte. Ob es am Ende bewusste Selbstopferung, Ermattung durch wochenlanges Arbeiten bei Tag und Nacht und Schlafmangel durch möglichen Konsum von Aufputschmitteln oder eine Schicksalsergebenheit durch die Überwältigung des Augenblicks war, bleibt am Ende ungeklärt, spielt aber auch nur eine Nebenrolle. Die historische Bedeutung, die der Widerstand der Gruppe „Weiße Rose“ gegen das verbrecherische NS-Regime heute zukommt, ist unumstritten: Sie zeigten Mut, wo die meisten anderen Deutschen keinen hatten und sprachen aus, worüber der größte Teil der Bevölkerung schwieg.
Eine letzte Flugblattaktion, die vom Wirken der Geschwister Scholl und ihres Kreises Kenntnis gab, erreichte eine enorme Auflage. Im Juli 1943 warfen Bomber der Royal Air Force unter anderem über Köln, Frankfurt, Hamburg und dem Ruhrgebiet insgesamt mehr als 5 Millionen Blätter ab, die den Titel trugen: „Ein deutsches Flugblatt […] Das Manifest der Münchner Studenten“.