Neuerscheinungen und Raritäten
Zahlreiche Rezensionen über Neuerscheinungen sind in diesen Tagen in den Feuilletons zu lesen, die großen Zeitungen bringen gar ganze Beilagen heraus, Grund dafür ist die Leipziger Buchmesse. Welches von diesen Büchern zum Beispiel als wichtiges historisches Zeugnis den Weg in eine Bibliothek findet, ist eine der zentralen Aufgaben von Bibliothekaren. Matthias Miller, der Leiter der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums, beleuchtet anlässlich der vielen Neuerscheinungen dieser Tage die Schätze seiner Bibliothek.
Wenn am 15. März die diesjährige Buchmesse in Leipzig ihre Pforten öffnet, liegen wieder tausende neu erschienener Bücher in den Regalen der Aussteller und hoffen darauf, von interessierten Kunden entdeckt und bestenfalls zu Hause auch gelesen zu werden. Vieles davon wird ungelesen bleiben, einiges wird zum Nischenprodukt, nur weniges, meist aus dem Bereich der Belletristik, wird ein Bestseller. Das Lesen von Büchern, sei es zur Unterhaltung oder zur wissenschaftlichen Bildung, ist ein jahrhundertealter Kommunikationsvorgang zwischen Autor und Leser. Der Autor macht sich Gedanken, die er dem Leser mitteilt. Das dabei entstehende Produkt dient seit der Erfindung des Buchdrucks um die Mitte des 15. Jahrhunderts der massenhaften Verbreitung von Ideen, Theorien, Wahrheiten und Fake News. Historische Umwälzungen wie etwa die Reformation, die Revolution 1848 oder die Studentenrevolte 1968 wären ohne das gedruckte Buch nicht vorstellbar. Bücher also waren oft die Zündschnur für Revolutionen.
Dass das schon oft totgesagte gedruckte Buch noch immer existiert und sich weltweit großer Beliebtheit erfreut, ist dem Umstand zu verdanken, dass eine wirkliche Medienrevolution, wie sie etwa zwischen der Tontafel und der Papyrusrolle, der Papyrusrolle und dem Handschriftenkodex oder zwischen der Handschrift und dem gedruckten Buch stattfand, noch nicht wirklich vollzogen ist. Denn das elektronische Buch ist doch nur die Darstellung eines gedruckten Buches mit anderen Mitteln. Und das reicht einfach noch nicht für eine Medienrevolution.
Der Bibliothekar als Förster
Die Messe als Handelsplatz für neue Bücher ist gleichsam der Ort für Neuerscheinungen, der als Wiege der Literatur gelten darf, während die Bibliothek mit dem Ruf des Bücher-Endlagers vorlieb nehmen muss. Und doch hat vieles, was die Druckerpresse in den vergangenen Jahrhunderten verlassen hat, nur in Bibliotheken überlebt, gelten sie doch neben den Archiven und Museen als Wissenspeicher und damit als Gedächtnis der Menschheit. Dabei hat die Bibliothek des Deutschen Historischen Museums einen zweifachen Sammelauftrag: zum einen erwirbt sie moderne Forschungsliteratur zur deutschen Geschichte im globalen Kontext, die zur Vorbereitung von Ausstellungen, zur Betreuung der Sammlungen und für die angegliederte Fachbibliothek für Restaurierung benötigt wird. Und zum anderen sammelt die Bibliothek im Rahmen der Sammlung „Handschriften / Alte und wertvolle Drucke“ Primärquellen zur deutschen Geschichte, also Hand- und Druckschriften, die zum Zeitpunkt der historischen Ereignisse entstanden sind. Das können die „95 Thesen“ Martin Luthers im Erstdruck von 1517 (Signatur: R 55/911.3) oder aber auch der erste Koalitionsvertrag einer Grün-Roten Landesregierung in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2011 sein (Signatur: A 11/839).
Ob ein Buchobjekt historische Relevanz erlangen wird, ist beim Erwerb oft noch nicht vorhersehbar, und so gleicht die Arbeit des Bibliothekars der des Försters: so wie der Förster von dem 2018 gepflanzten Baum wohl selbst nichts haben wird, sind Bücher, die der Bibliothekar heute in sein Magazin stellt, vielleicht erst 100 Jahre später historisch relevant genug, um ausgestellt zu werden.
Jubiläen produzieren Neuerscheinungen
Das Jahr 2018 ist ein Jubiläumsjahr in vielerlei Hinsicht, denken wir nur an den Beginn des Dreißigjährigen Kriegs 1618 oder den 200. Geburtstag von Karl Marx. Beide Ereignisse haben – jeweils zu ihrer Zeit – eine Vielzahl von Publikationen hervorgebracht, die wir heute als Primärquellen bezeichnen, weil sie die historischen Ereignisse unmittelbar wiedergeben oder widerspiegeln.
Die Bibliothek des Deutschen Historischen Museums besitzt allein 308 Bücher, die zwischen 1618 und 1648 gedruckt wurden. Das Gerücht, dass der Dreißigjährige Krieg auf eine Kometenerscheinung im Jahr 1618 zurückzuführen gewesen sei, hielt sich hartnäckig, und schon 1648 wurde eine Flugschrift unter dem Titel
Von dem dreyssigjährigen Teutschen-Kriege, welcher sich Anno 1618. angefangen vnd durch Gottes Gnade Anno 1648. geendiget hat; Eben als wann Gott durch den 1618. erschröcklich leuchtenden Cometen, welcher dreyssig Tage über Europam gesehen worden, einen dreyssigjährigen Krieg verkündiget hätte … (Signatur: R 92/2250).
Der heute unter dem Namen C1618 WI bekannte Komet, der im Advent 1618 für dreißig Tage am Himmel stand, wurde wegen der aktuellen Ereignisse nach dem Prager Fenstersturz nicht als der heilsbringende Stern von Bethlehem gedeutet, sondern als Omen für die bevorstehende kriegerische Zeit. So interpretiert es auch der Frühneuzeithistoriker Andreas Bähr in seinem jüngst erschienenen Buch „Der grausame Komet. Himmelzeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg“, das auf der Leipziger Buchmesse am Stand des Rowohlt-Verlages ausliegen wird und jetzt schon in der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums zu finden ist (Signatur: 18/315).
Als Karl Marx 1818 in Trier das Licht der Welt erblickte, konnte noch niemand ahnen, dass er mit seinen revolutionären Schriften einmal die Welt umkrempeln und sie im 20. Jahrhundert in zwei sich über Jahrzehnte feindlich gegenüberstehende Blöcke aufteilen würde. Von seinem gemeinsam mit Friedrich Engels verfassten „Manifest der Kommunistischen Partei“ besitzt die Bibliothek des Deutschen Historischen Museums nicht nur ein Exemplar der extrem seltenen Erstausgabe aus dem Jahr 1848 (Signatur: R 92/2958), sondern 118 moderne Ausgaben in 45 Sprachen, darunter in Mongolisch und Japanisch (Signaturen: 51/57<mongol. 1968> und 51/57<japan.>).
Moderne Biografien von Karl Marx erscheinen zurzeit fast monatlich, darunter die umfangreichen Werke „Karl Marx. Die Biographie“ von Gareth Stedman Jones (S. Fischer Verlag 2017, 890 Seiten), „Marx. Der Unvollendete“ von Jürgen Neffe (Bertelsmann 2017, 655 Seiten) sowie „Karl Marx. Politik in eigener Sache“ von Wolfgang Schieder (Theiss 2018, 239 Seiten), die sowohl in Leipzig auf der Buchmesse wie auch in der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums (Signaturen: 17/1673 und 17/1898) zu finden sind.
Wenn Sie sich für Geschichte interessieren und ältere und neueste Literatur zu historischen und aktuellen Fragen der Geschichte suchen, sind Sie in der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums von montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr 30 herzlich willkommen!