Der Wodka im Exil
In der Ausstellung „1917. Revolution. Russland und Europa“ findet sich im Bereich Auswanderung und Exil auch eine Flasche der Marke Wodka Gorbatschow. Im Zuge der Februarrevolution 1917 flohen viele Russen in den Westen, darunter auch die Familie Gorbatschow. Julia Franke, Kuratorin der Ausstellung, beschreibt, wie sich die neuen Machthaber in Russland auch dem Kampf gegen den Alkohol verschrieben, und der Wodka Gorbatschow schließlich im Berliner Exil hergestellt wurde.
Wussten Sie, dass die Wodka-Marke „Wodka Gorbatschow“ so rein gar nichts mit Michail Gorbatschow zu tun hat? Ja, dass es sich nicht einmal um eine russische, sondern um eine 1921 in Berlin gegründete Marke handelt, die, als Michail Gorbatschow die politische Weltlage so radikal verändern sollte, längst zum Wiesbadener Henkell-Konzern gehörte? Ehedem von, nun ja, Revolutionsverlierern im deutschen Exil gegründet, sollte mindestens die Marke „Wodka Gorbatschow“ nach 1989 also zu einem Revolutionsgewinner werden.
Aber der Reihe nach: Was also hat die Russische Revolution mit der Marke „Wodka Gorbatschow“ zu tun? Tatsächlich ist die Gründung dieser Spirituosenmarke unmittelbar mit jenem revolutionären Prozess verknüpft, in dessen Folge weit mehr als eine Million Menschen ab Februar 1917 Russland verlassen sollten. Denn mit der Februarrevolution, der Abdankung des Zaren und dem Herrschaftsantritt der Bolschewiki im Oktober 1917 sahen sich zahlreiche gesellschaftliche Gruppen Verfolgung, Enteignung und Repressionen ausgesetzt – darunter auch das gerade noch prosperierende Unternehmertum einer auch in Russland keimenden Industrialisierung, zumal den Produzenten von Brandweinen. Denn die Bolschewiki verboten direkt nach ihrer Machtübernahme die Produktion und den Verkauf von Alkohol. Nüchternheit galt ihnen als Bedingung für eine erfolgreiche Revolution.
Staatsfeind Alkohol
Die Produzenten des hochprozentigen Wässerchens kamen also gleich in doppelter Weise mit dem sich ab Oktober 1917 etablierenden Herrschaftssystem der Bolschewiki in Konflikt: Zum einen sah die neue Wirtschaftsordnung der Bolschewiki, die sozialistische Planwirtschaft, eine Verstaatlichung der Produktionsmittel vor. Selbstständiges Unternehmertum lag dem Kommunismus per definitionem fern. Zum anderen war auch ihr Produkt, der Wodka, im revolutionären Russland nicht mehr opportun. Bereits Zar Nikolaus II. hatte mit der Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg den Verkauf und Konsum von Wodka 1914 per Dekret verboten. Obwohl der Handel mit Alkohol der russischen Staatskasse einerseits hohe Einnahmen einbrachte, überwogen die schlechten Erfahrungen aus dem Russisch-Japanischen Krieg 1904-05, in dem die Trinkorgien der russischen Soldaten die Moral der Truppe nachhaltig beeinträchtigt hatten.
Auch die Bolschewiki knüpften bei der Konsolidierung ihrer Herrschaft an das Alkoholverbot an. Ohnehin hatten Vertreter der russischen Linken, unter ihnen etwa Leo Trotzki, schon in vorrevolutionären Zeiten immer wieder betont, dass der Zarismus den Alkoholkonsum der Arbeiter und Bauern Russlands vorsätzlich fördere, um deren Willen zum Aufbegehren und zur Emanzipation zu schwächen.
Wein in die Newa
Das Bewusstsein über die eigene auch physische Stärke aber galt den Bolschewiki als Grundvoraussetzung für das Klassenbewusstsein der Arbeiterinnen und Arbeiter. Und daher sahen sie Nüchternheit als Prämisse für das Gelingen der Revolution an. Dies bekamen etwa jene Soldaten der revolutionären Truppen zu spüren, die während des Oktoberumsturzes abgestellt worden waren, um den Weinkeller des Zaren im Winterpalais in Petrograd, dem heutigen St. Petersburg, zu bewachen. Dass diese durchaus auch am Wein nippten, war Revolutionsführer Lenin ein unerhörter, konterrevolutionärer Akt:
„Diese Schurken ertränken die Revolution im Wein! Ich habe angeordnet, die Schurken an Ort und Stelle zu erschießen.“
Der Vorsitzende des Petrograder Sowjets, Leo Trotzki befahl daraufhin, alle Weinvorräte in der Stadt zu vernichten. In seinen Erinnerungen beschrieb er, dass „der Wein durch die Gossen direkt in die Newa floss und den Schnee durchtränkte. Die Betrunkenen leckten ihn direkt aus den Gossen auf.“
Diese Gewalt gegen Alkohol konsumierende Bürger zog sich durch die gesamte Konsolidierungsphase der bolschewistischen Herrschaft und war nicht nur auf Petrograd begrenzt. Die Bolschewiki gingen mit drakonischen Strafen gegen Trunkenheit vor: Schwarzbrenner wurden zu „Volksfeinden“ erklärt, ihnen drohten Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren, die Konfiszierung ihres Eigentums und Zwangsarbeit. In der im Februar 1918 gegründeten Roten Armee stand auf Trunkenheit gar die Todesstrafe. Durch die bis 1925 andauernde Prohibition emigrierten zahlreiche Spirituosen-Produzenten aus Russland. Sie brachten das Getränk sowie das Wissen um seine Herstellung nach Europa und Nordamerika. Und so wurde die Marke „Wodka Gorbatschow“ 1921 unter dem Namen „L. Gorbatschow & Co. GmbH – Russischer Wodka und russische Liköre“ in Berlin gegründet.