Die Niederländer und ihr Oranjegefühl
Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde nicht nur der Dreißigjährige Krieg beendet, sondern auch der Achtzigjährige Krieg der Niederlande gegen Spanien. Dieser begann vor 450 Jahren als Wilhelm von Nassau und andere gegen die spanischen Besetzer aufbegehrten. Das National Militaria Museum (NMM) gedenkt 2018 diesem Krieg und der Person Wilhelm von Nassau und der Gründung der Niederlande. Die Kunsthistorikerin Hedwig Saam, bis vor Kurzem Direktorin des NMM, berichtet, wie gegenwärtig Willem von Oranje heute in unserem Nachbarland ist und gleichzeitig beinahe vergessen – auch im Rest Europas.
Ein jeder, der am 27. April die Niederlande besucht, findet das gesamte Land orangefarben geschmückt. Es ist der Tag, an dem der Geburtstag des heutigen Königs Willem-Alexander gefeiert wird. Wer jedoch erwartet, dass diese Feier mit offiziellen Zeremonien und Paraden einhergeht, wird enttäuscht. Die Holländer nutzen diesen Tag zweifellos, um ihre Liebe zu ihrem Königshaus kund zu tun, gestalten dies hingegen auf ihre ganz eigene Weise. In den Innenstädten werden große Streetpartys abgehalten, überall erfüllt Musik die Luft, es gibt kleine private Flohmärkte und noch wichtiger: Jeder hüllt sich von Kopf bis Fuß in Orange oder trägt zumindest ein orangefarbenes Kleidungsstück. Aber die Farbe Orange ist nicht nur dem Königstag vorbehalten. Auch die Teilnahme an internationalen Sportwettkämpfen bietet den Holländern einen Anlass für diesen Farbrausch. Und selbst wenn am Neujahrstag tausende von mutigen Menschen traditionell in Schwimmkleidung in die eiskalte Nordsee tauchen, tragen sie hierbei eine orangefarbene Mütze.
Die Niederländer und ihr „Oranjegefühl“. Wie kam es dazu?
Im Jahr 2018 ist es genau 450 Jahre her, dass in den von den Spaniern besetzten Niederlanden eine Revolte ausbrach. Der Aufruhr wurde von einem jungen Prinzen aus Dillenburg angeführt: Wilhelm von Nassau. Sein Aufstand gegen die Vorherrschaft der Spanier mündete in den Achtzigjährigen Krieg und führte letztendlich zur Unabhängigkeit des niederländischen Staates. Wer aber war dieser Mann, der schon in jungen Jahren so talentiert war, dass er als charmantester Ritter Europas galt? Jeder Niederländer kennt zwar die erste Strophe der Nationalhymne, in der Wilhelm von Oranien geehrt und der komplizierte Konflikt im Achtzigjährigen Krieg zitiert wird, kaum jemand versteht jedoch den Inhalt des Textes. Jeder weiß auch, dass das Leben des Fürsten in Delft durch Pistolenschüsse beendet wurde, welch ein Mensch er indes war, oder wo seine Überzeugungen ihren Ursprung hatten, ist hingegen nicht bekannt.
Diese Fragen und der bevorstehende Gedenktag des Achtzigjährigen Krieges sind für das Niederländische Militärmuseum Anlass, das Jahr 2018 Wilhelm von Oranien zu widmen. Bereits im Jahr 2015 begannen Vorbereitungen für die Ausstellung, deren Nachforschungen die Kuratoren weit über die Landesgrenzen hinaus führten.
Das Niederländische Militärmuseum ist ein relativ neues Museum. Es wurde Ende 2014 von König Willem-Alexander eröffnet und sofort zur Besucherattraktion. Dies war durchaus nicht vorhersehbar, da die Niederlande eine lange pazifistische Tradition haben. Die niederländische Armee hat seit mindestens einhundert Jahren einen defensiven Charakter. Viele Holländer werden auf eine diesbezügliche Frage auch antworten, dass sie mit der Armee „nichts im Sinn haben“. Dennoch legen sie gleichzeitig viel Wert auf ihre Freiheit, eine offene und tolerante Gesellschaft und auf ihre Unabhängigkeit.
Die Gründung der Niederlande
Natürlich lag eine historische Ausstellung über den Ausbruch und die Auswirkungen des Achtzigjährigen Krieges für ein Museum wie das NMN auf der Hand. Die Sammlungen enthalten eine ganze Reihe von Objekten aus dem 16. Jahrhundert und auch in der Dauerausstellung wird diesem bedeutsamen Abschnitt der niederländischen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt. Wilhelm von Oranien spielte hier eine entscheidende Rolle. Er führte den Aufstand gegen die spanische Herrschaft an und legte so den Grundstein für den niederländischen Staat, in dem unsere gegenwärtigen Normen, Werte und Auffassungen über Freiheit bereits begründet sind.
Die Grundwerte des NMM – bereichernd, integer, tapfer, energisch und aktuell – bildeten bei der Erstellung des Ausstellungskonzeptes eine wichtige Leitlinie. Von einer Darstellung des Achtzigjährigen Kriegs unter Beteiligung von Wilhelm von Oranien in zunächst klassisch chronologischer Weise verlagerte sich der Fokus schon bald auf den mitreißenden persönlichen Werdegang dieses ikonenhaften, und dennoch in mancher Beziehung fremd gebliebenen Prinzen. Die historischen Ereignisse wurden dadurch letztendlich zum „Dekor“ der Erzählung statt zum zentralen Thema.
Die Ausstellung beleuchtet das Leben des jungen, starken und eleganten Wilhelm, der am spanischen Hof eine gediegene militärische Ausbildung bekam und schon lange vor dem Aufstand gegen seine anfänglichen Verbündeten bereits an vielen militärischen Aktionen beteiligt war.
Durch die Gestaltung der Ausstellung wird die Atmosphäre der Zeit Wilhelms von Oranien heraufbeschworen. Digitale Elemente bieten dem Besucher die Möglichkeit, sich mit der Hauptfigur vollständig zu identifizieren. Abgesehen jedoch von allen technischen und gestalterischen Herausforderungen bietet die Person Wilhelms vor allem auch die Möglichkeit, anhand phantastischer (kunst-)historischer Exponate eine authentische und persönliche Geschichte zu erzählen. Die Objekte in der Ausstellung werden zu Ikonen. Die Gegenstände und die Geschichte werden erkennbar mit Einstellungen unserer Zeit verbunden. Sie sind an die Person Wilhelms gebunden, außergewöhnlich und erzählen eine persönliche Geschichte.
Tod und Versöhnung: Der Kommandostab Wilhelm von Oraniens
Das spektakulärste Beispiel dafür ist wohl der von Wilhelm von Oranien gestiftete Kommandostab, der von einem unserer Konservatoren während der Forschungsarbeiten für die Ausstellung entdeckt wurde. Trotz seiner Schlichtheit – der Stab ist ein einfacher, 80 cm langer Holzstab – handelt es sich in vielerlei Hinsicht um ein singuläres Relikt. Es ist der einzig erhaltene Kommandostab eines niederländischen Befehlshabers aus der Epoche des Achtzigjährigen Krieges. Der Stab trägt das Wappen Wilhelm von Oraniens, der den Aufstand anführte.
Darüber hinaus wurde der Kommandostab nachweislich in der legendären, dramatischen Schlacht auf der Mookerheide im Jahr 1574 mitgeführt, in der zwei Brüder Wilhelms, Ludwig und Heinrich von Nassau-Dillenburg, den Tod fanden. Beide Brüder waren Kommandanten der aufständischen Armee und besaßen je einen Kommandostab von Wilhelm von Oranien. Nach der Schlacht gelangten diese Stäbe in den Besitz von Luis de Requesens, dem damaligen Spanischen Landvogt in den Niederlanden (Nachfolger des Herzogs von Alva) und schließlich in die Archivräume der Jesuiten.
Während der Forschungsarbeiten des NMM ereignete sich ein wunderbarer Zufall. Anfang dieses Jahres stellte sich heraus, dass auch der niederländische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Prinz Jaime Bourbon De Parme, ein Cousin von König Willem-Alexander, nach dem Kommandostab forschte. Unverzüglich vereinte man die Bemühungen. Als König Willem-Alexander am 22. Juni den Vatikan besuchte, wurde ihm dort in der Bibliothek der Kommandostab durch den Generaloberen des Jesuitenordens übergeben. Auf diese Weise erhielt das Objekt eine neue, symbolische Funktion als Zeugnis der Versöhnung zwischen beiden Ländern und Religionen. Dem NMM wurde aufgrund dieser Begebenheit in der Presse große Aufmerksamkeit zuteil; ein schönes Präludium für die Eröffnung der Ausstellung.
Hedwig SaamDie Kunsthistorikerin Hedwig Saam (57) ist Direktorin des Museums Het Valkhof in Nimwegen. Zuvor war sie als Direktorin des Nationalen Militärmuseums in Soesterberg tätig, als Direktorin des Museums für moderne Kunst und des historischen Museums in Arnheim und (stellvertretende) Direktorin verschiedener Museen in Amersfoort und Hilversum. Außerdem war sie Managerin beim Verlag WoltersKluwer und der Design Academy verpflichtet. |