Revolution heute
Revolutionen – die Geschichtsbücher sind voll davon und wir erinnern uns an sie durch Jahrestage und Jubiläen. Im vergangenen Herbst jährte sich die Revolution in Russland zum 100. Mal, in diesen Tagen gedenken wir der Studentenrevolte von 1968. In seiner DHM-Kolumne überlässt sich der Musiker und Autor PeterLicht dem Gedankenspiel einer Revolution, die unmittelbar in seiner Nähe stattfindet.
Immer wenn irgendwo auf der Welt von irgendwelchen Leuten irgendeine Revolution gemacht wird, dann liegen ganz nahe der Stelle, wo die Revolution gemacht wird (manchmal sind es nur wenige Meter entfernt), irgendwelche anderen Leute unter Bettdecken auf Matratzen und versuchen zu schlafen.
So ist es.
Also zum Beispiel.
Also zum Beispiel ich.
Man liegt dann unter der Bettdecke seines Bewusstseins und stellt fest, dass Leute sich zusammentun und in der Küche sitzen und miteinander echt viel rauchen und revolutionsbezogene Informationen austauschen. Also Informationen jeglicher Art und gerichtet in Richtungen jeglicher Art. In alle Dimensionen, die man sich vorstellen kann. Ein Rumoren erfüllt die Luft, Geister sind unterwegs. Was für Informationen geistern durch die Gegend! Also man kann es sich nicht vorstellen, manchmal sind es zum Beispiel so Sachen wie Hey Günther, lass uns das mal im Plenum besprechen oder: kann mal wer anders als immer ich unseren Mülleimer runterbringen, das ist doch scheiße!? oder: haben wir noch was von dem spanischen Arbeiterrotwein? … , also so Sachen eben, die man dann hört, wenn man durch die Bettdecke lauscht, bzw. lauschen muss, weil es bleibt einem ja nichts anderes übrig als ZUHÖREN ZU MÜSSEN, weil man ja nicht WEGHÖREN kann, denn man hört ja als unter der Bettdecke Liegender trotz der Schallabschottung, bzw. der teilweisen Schallabschottung, immer noch so einen mumpfeligen Gesprächs-Klang, den die anderen Leute da draußen produzieren und manchmal, das muss man sagen, da überträgt sich die Mumpfeligkeit des Sounds ja auch auf den Inhalt und dann wird auch der Inhalt der gesprochenen Worte mumpfelig, also manchmal kann man es wirklich nicht mehr auseinanderhalten, ob DER SOUND das Mumpfige macht oder DER INHALT, also z.B. wenn so Worte gesagt werden wie „Plenum“ oder „Verhältnisse“ oder „System“, also da weiß man einfach nicht, wo das Bedrückende herkommt, das einen überkommt, wenn man diese Worte hört unter der Bettdecke, unter der man liegt, weil man ja eigentlich eher WENIGER hören wollte und sich zu diesem Behufe ja in ein anderes gesellschaftliches Umfeld begeben hat, also in das Umfeld unter der Bettdecke, also in ein Umfeld, das nicht aus so vielen Leuten besteht. Man könnte sagen: in ein Umfeld, mit eher wenigeren Leuten. Also ein Umfeld, das nicht so zugestellt ist mit irgendwelchen Leuten oder ZUGESESSEN. Also in Revolutionen, da wird ja auch viel herumgesessen.
Also nein, das gesellschaftliche Umfeld, in dem man sich befindet, wenn man sich unter der Bettdecke befindet, das besteht ja nur aus ein paar Personen. Aus Leuten, die das eigene Mind zusammensetzen, und die man ja im eigenen Kopf mit sich herumträgt. Also da ist man ja unter sich, im eigenen Kopf. Mit den Charaktertypen, die darin hausen, und die einen zusammensetzen und die einen in Zwiesprache versetzen, wenn man zum Beispiel wegen des lauten revolutionären Besprechungspegels in der WG-Küche nicht einschlafen kann und dann führt man ebenso ein paar kleine Selbstgespräche mit sich im Schutze der Bettdecke aus lauter Perspektivlosigkeit heraus, aus der Perspektivlosigkeit der erfolglosen Schlafprojektplanung, also man wird NIE MEHR einschlafen heute Nacht, das weiß man schon, bei dem revolutionären Pegel, der sich da draußen in der WG-Küche abzeichnet. Also man spricht dann selbstgesprächsmäßig mit seinem eigenen Bewusstsein, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt und das sich deshalb ja auch versucht hatte zurückzuziehen unter die Bettdecke des Bewusstseins, was ja ein völlig okayer und richtiger Gedanke war. Aber es nutzt nix. Also man muss sagen, ok, es liegen eher deutlich wenigere Leute als viele unter der eigenen Bettdecke, unter der man liegt. Also eher nur ein paar wenige Vereinsamte. Also nur einer.
Also ich.
Also ich allein.
Also ok, es war so: es war Revolution und ich lag allein unter der Bettdecke und konnte nicht schlafen, weil eine Bettdecke nur ein unzureichender Gehörschutz ist, das muss man schon sagen, und ich hörte die Worte all der Leute, die bei uns in der WG-Küche saßen und die revolutionsbezogenen Informationen austauschten bzw. erarbeiteten, bzw. ermumpften. Allen voran Günther. Klar, er wohnte ja auch hier. Er war ja derjenige, der im Mietvertrag stand. Niemand konnte ihm was. Man könnte sagen, er war der Revolutionsführer. Und bei einer Revolution, bzw. im unmittelbaren Umfeld bzw. Vorfeld einer Revolution, da werden ja GESPRÄCHE geführt, und natürlich auch von den Revolutionsführern, das kann man sich ja vorstellen. Aber was die sagen, das kann man sich ja gar nicht vorstellen. Und die sind getränkt mit Informationen der vielschichtigsten Art, ich sagte es bereits, also die GESPRÄCHE. Die Informationen, die erreichen die verschiedensten Dimensionen, man kann es sich wirklich nicht vorstellen und das ist ja auch klar, denn es ist ja eine Revolution und die kann man sich ja nicht vorstellen, weil sie REVOLUTIONÄR ist und mit dem Denken aufräumt und die Vorstellungen auf den Kopf stellt oder auf die Seite oder hinter den Schrank, oder wo auch immer hin, egal, also aber auf keinen Fall dorthin, wo die Vorstellung schon einmal war, soviel kann man sagen. Denn es sind ja NEUE Gedanken, und die hat noch NIEMAND gedacht, und das ist auch gut so, denn deshalb werden die revolutionsbezogenen Gedanken ja gedacht, DAMIT sie ungedacht sind und in der Geschichte des Denkens noch nicht vorgekommen sind. Also bis jetzt. Das aber hat seine Folgen, denn man denkt dann Ungedachtes. Das ist natürlich attraktiv. Denn dann ist eine Menge möglich. Was ungedacht ist, besteht nicht aus einem traditionellen Gewebe, logo, sondern aus irgendetwas ANDEREM, einem Material, man weiß nicht so genau, was es ist. Vielleicht ist es ein Naturelement. Mitunter kommt es einem so vor, als laufe man durch Neuschnee, wenn man DAS UNGEDACHTE denkt. Mitunter überkommt einen der Gedanke, als könne es schmelzen, wenn man im Neuschnee unterwegs ist, oder wenn es kein Neuschnee ist, dann ist es DIESES IRGENDWIE ANDERE, von dem man nicht so recht weiß, was es ist.
Was man sagen kann: wenn man etwas Ungedachtes denkt, dann denkt man irgendetwas, das in gewisser Weise gedankenfremd ist. Das Ungedachte weist eine die gedachten Dinge unterlaufende Kraft auf. Dem Ungedachten wohnt ein Sog inne. Es entsteht eine Leerstelle innerhalb des ungedachten Gedankens. An der Stelle der Leerstelle weist der ungedachte Gedanke ein gewisses Maß an Gedankenlosigkeit auf. Und die Gedankenlosigkeit muss, weil es sonst zu lose wird mit der Denkerei und der Revolution, wieder aufgefüllt werden mit WAS ANDEREM. Also mit verschiedenen Energien, die sich dazu anbieten: Interpretation, Dialektik, Emotion, Mord und Totschlag, enge oder weite Hosen. Frisuren. Von diesen Dingen wird man in Revolutionen große Mengen antreffen. Vor allem von Hosen und Frisuren.
Also ich muss sagen, wenn ich sage, dass Revolution war und ich unter der Bettdecke meines Bewusstseins lag, dann ist das aber schon so gemeint, dass diese Bettdecke nicht nur aus dem BEWUSSTSEIN einer Bettdecke bestand, also aus so immateriellem Scheiß, sondern darüber hinaus auch noch aus tatsächlich über das bloße Bewusstsein hinausgehendem echten MATERIAL wie Bettbezug und darin innenliegender Steppdecke. Also Materialismus. Wobei ich allerdings hinzufügen muss, dass die Steppdecke mit einem Material gefüllt war, das sich wiederum meinem Bewusstsein entzog. Man muss sich das wie ein Ravioli vorstellen, wo man ja auch nicht so genau weiß: ist da jetzt toskanische Trüffelcréme drin oder rumänisches Industriefleisch aus aufgelösten Militärbeständen der Ceausescu-Zeit, aber egal, also die Steppdecke, ich vermute, es war irgendein preiswertes Industriematerial, womöglich bestand die Steppdeckenfüllung aus revolutionärem neuartigem Polyesterflies, ich vermute, so war es, denn die Decke wärmte nicht, weshalb ich dazu übergegangen war, die Decke, wenn ich sie im Zuge meines Michniederlegens über mich legte, auch gleich noch über den Kopf zu ziehen, damit die meinem Mund entströmende Wärme eine zusätzliche Erwärmung des innerbettlichen Bereiches mit sich bringen würde, was aber nicht zuverlässig funktionierte.
Also die Decke war wie ein Sieb. Sie gestaltete sich gerade eben noch so, dass man von einer „Decke“ sprechen konnte. Wäre sie nur etwas weniger deckenhaft gestaltet gewesen, dann hätte man von einem Fischernetz sprechen müssen, das man zum Schlafen über sich legt (also für große Fische). Aber ok, man bekam ausreichend Luft unter der Decke (Pluspunkt). Das ist natürlich gut für den Schlaf, aber insgesamt muss ich sagen, wenn ich an die Steppdecke denke: mir waren revolutionäre Tendenzen im Bereich der Produktentwicklung für alltägliche Verwendungszwecke immer schon suspekt gewesen. So euphorisch sie einen auf den ersten Blick auch machen konnten, also besonders im Bereich des Schlafbedarfes, also sie waren mir verdächtig. Da spürte ich in mir eher konterrevolutionäre Neigungen. Also ich muss schon sagen, revolutionär neue Bettdecken aus Polyester oder -Merase oder Polywasweissich – da war ich skeptisch. Am Ende bedeutete die Revolution im Bett, dass man fror, und seine Träume und Phantasien unter einem Stück Erdöl verbrachte, denn was ist eine Kunststoffsteppdecke anderes als ein dem Erdöl abgetrotztes Ausbeutungsvorhaben der Ölindustrie? Jahrmillionen alte Sedimentschichten von Wachstum und Untergang, von Geschichte und Zukunft, und jetzt werden zugige Decken daraus! Die Untergeordneten frieren, also die unter die Decke Untergeordneten. Und die anderen verdienen daran! Diese Decke hatte viele Eigenschaften, aber ÜBERWÄRMUNG, das war das letzte, das man dieser Decke hätte vorwerfen können.
Also ich lag unter meiner Decke und draußen fand die Revolution statt. Wenn ich mich recht erinnere, verließ ich in dieser Zeit die Bettdecke nie. Immer mal wieder hielt ich die Hand raus damit eine Tasse Kaffee in ihr Platz fände oder ein geschmiertes Brötchen. Oder ich griff mir meine Zahnbürste und den Putzbecher, denn Zähneputzen sollte man auch dann, wenn Revolution ist. Denn eins muss man ja bedenken: niemand weiß, wie lange die Revolution dauert und manchmal schließt sich ja der Revolution eine Utopie an und man möchte ja nicht auf einmal in der Utopie dastehen und schlechte Zähne im Gesicht haben. Einmal schlechte Zähne immer schlechte Zähne. Das ist die Dystopie der Mundflora.
PeterLichtDer Musiker, Autor, Dramatiker und Kolumnist PeterLicht bewegt sich in seiner Arbeit zwischen den Polen: Utopie, Pop, Drama, soziale Skulptur, Kapitalismus und Schnäppchenmarkt »wobei am Ende was rauskommen soll, was vielleicht schön ist«. |