Das Fahrrad von Fritz Teufel
Am 3. Juni wird alljährlich an die umweltfreundlichste und gesündeste Form der Fortbewegung appelliert: das Radfahren. Sabine Witt, Sammlungsleiterin für den Bereich Alltagskultur, nimmt diesen Tag zum Anlass, ein besonderes Fahrrad aus ihrer Sammlung für unsere Blog-Rubrik „Wozu das denn?“ vorzustellen.
Vor zwei Jahren gelangte ein Fahrrad in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums. Keines dieser schnittigen Rennräder oder heute so beliebten Pedelecs mit Hilfsmotor, sondern ein ganz klassisches Herrenrad. Mit Rücktritt, aber ohne Gangschaltung, mit Vorder- und Rücklicht, einem guten Ledersattel mit Federung, einem Gepäckträger mit Korb und mit deutlichen Gebrauchs-, Rost- und auch Reparaturspuren. Ein Drahtesel eines gemütlichen Radlers also? Mitnichten, dieses Rad gehörte dem Politaktivisten Fritz Teufel (1943–2010). Aus der schwäbischen Heimat zog es ihn Mitte der 1960er Jahre zum Studium nach Berlin. Aktiver jedoch war er in der Studentenbewegung und im Sozialistischen Deutschen Studentenbund, zusammen mit Rudi Dutschke. Zu Jahresbeginn 1967 gründete der sanfte, liebesbedürftige Teufel zusammen mit Dieter Kunzelmann († 09.05.2018), Rainer Langhans und anderen die „Kommune 1“. Deren provokante Aktionen erregten Aufmerksamkeit, doch war der langhaarige „Bürgerschreck“ Teufel eher ein Spaßguerillero, der ein Attentat auf den US-Vizepräsidenten Humphrey mit Pudding- und Mehlbomben plante und noch 1982 Bundesfinanzminister Matthöfer mit Zaubertinte nass spritzte.
Die Großdemonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin am 2. Juni 1967 wurde für Teufel zu einem Wendepunkt. Während der Polizist – und wie später bekannt wurde Stasi-Agent – Karl-Heinz Kurras, der am Rande der Demo den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, aber freigesprochen wurde, saß der Kommunarde Teufel wegen eines vermeintlichen Steinwurfs fast ein halbes Jahr in Haft. Zum geflügelten Wort wurde seine Antwort auf die Aufforderung des Richters, sich vor dem Gericht zu erheben: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.“ In den folgenden Jahren radikalisierte sich Fritz Teufel in der terroristischen „Bewegung 2. Juni“, bewegte sich im Umfeld der RAF und verbrachte bis 1980 mehrere Jahre in Haft.
Freiheit auf zwei Rädern
Wieder in Freiheit, entdeckte der Anarchist seine neue große Liebe: das Radfahren. Für Teufel war es nicht nur eine angenehme und zutiefst menschliche Art der Fortbewegung, sondern zeitweilig auch sein Beruf: 1992 gründete er den Fahrradkurierdienst Moskito mit und übernahm als Fahrer auch selbst viele Touren. Kurierfahrer war schon damals ein ziemlich gefährlicher Job in einer Stadt wie Berlin und finanziell alles andere als lukrativ. Doch für Teufel zählte der Spaß. In einem Interview kurz vor seinem Tod im Juli 2010 sprach Teufel über sein bewegtes Leben, auch auf zwei Rädern. Er schwärmte, wie mühelos und leicht man dank dieser Erfindung Leonardo da Vincis von A nach B gelangt.
Das Fahrrad, das sich heute im Museum befindet, nutzte Fritz Teufel freilich nicht als Kurierfahrer. Er schien damit aber bereits Anfang der 1980er Jahre eine Radtour durch Schweden und Finnland unternommen zu haben, wie ein etwas unscharfes Foto aus dieser Zeit belegt. Gefertigt wurde das Rad vermutlich schon Jahr(zehnt)e zuvor von der Traditionsfirma Baronia, die von 1921 bis 1973 in Bielefeld, Einbeck und Rahden Zweiräder produzierte. An bewegte Zeiten erinnert auch der etwas verblichene Aufkleber „Atomkraft – nein danke“ am Rahmen.
An die umweltfreundlichste und gesündeste Form der Fortbewegung appelliert seit 1998 der Europäische Tag des Fahrrades, der alljährlich am 3. Juni begangen wird. Nach Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums könnten pro Jahr 7,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, wenn 30 Prozent aller Kurzstrecken unter sechs Kilometern per Rad statt mit dem PKW zurückgelegt werden würden. Diese Distanzen machen rund die Hälfte des städtischen PKW-Verkehrs aus. Das Rad von Fritz Teufel rollt an diesem Tag nicht mehr, allen anderen sei nicht nur am 3. Juni ein beherzter Tritt in die Pedale gewünscht.