1918. Revolution und Republik
Revolutionen vollziehen sich in der Regel unter Kampf und Gewalt und die sie auslösenden und vorantragenden Ereignisse sind fast immer exzessiv und eruptiv. Was indes im Deutschen Kaiserreich des Novembers 1918 geschah, wurde, vor dem Hintergrund der Revolutionen von 1917 in Russland oder 1789 in Frankreich, schon von Zeitgenossen mit Ungläubigkeit beobachtet und kommentiert. Denn der gesellschaftlich-politische Umsturz war trotz einzelner bewaffneter Auseinandersetzungen im Grunde nahezu gewaltfrei. Der Zusammenbruch der Hohenzollernherrschaft, die Deutschland knapp 50, Brandenburg-Preußen aber über 500 Jahre prägte, verschwand mit der Abdankung Wilhelms II. und seiner Flucht ins holländische Exil in fast unvorstellbarer Stille: nicht der Terror war das Sinnbild der Revolution, sondern die von Revolutionären entfernten Kokarden und Schulterstücke des kaiserlichen Offiziers, schildert Sammlungsleiter Thomas Jander.
Im Herbst 1918 hatte das Kaiserreich einen auszehrenden Krieg hinter sich. Die Truppen waren müde und ausgekämpft, materiell und an Zahl den Gegnern unterlegen. Spätestens am 1. Oktober war (fast) allen deutschen politischen und militärischen Protagonisten, die in Entscheidungspositionen saßen, klar, dass dieser Kampf verloren war. Keine Front war mehr stabil zu halten und Erich Ludendorff, Generalquartiermeister der III. Obersten Heeresleitung, teilte dies dem Reichskanzler Georg von Hertling schonungslos mit und verband damit zugleich die Ablehnung jeglicher eigener Verantwortung für die katastrophale Lage. Mehr noch, er legte sie in die Hände derer, die er dafür schuldig machen wollte: den (Sozial-)Demokraten. Diese sollten nun den von der Militärführung hinterlassenen Scherbenhaufen aufkehren und als Sündenböcke einen Frieden schließen, der sie in Zukunft schwer belasten sollte, weil er zur sogenannten Dolchstoßlegende verdreht wurde.
Von da an ging alles recht schnell. Im Oktober 1918 wurden dem Reich einige tief greifende Reformen verordnet: ein Parlamentssystem wurde beschlossen, die Regierung ausgetauscht und unter dem neuen Kanzler, Prinz Max von Baden, erstmals Sozialdemokraten in Deutschland in Staatssekretärsämter gehoben, Ludendorff (nicht aber Hindenburg) entlassen, Verfassungsreformen durchgeführt und insgesamt drei diplomatische Noten und Antworten mit den Vereinigten Staaten ausgetauscht, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Doch das Kaiserreich war damit nicht mehr zu retten, denn der Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, bestand ausdrücklich auf der Abschaffung der Monarchie.
Schwerer aber wog, dass ein Teil der deutschen Streitkräfte schließlich meuterte: die Kaiserliche Marine, genauer, die Oberste Seekriegsleitung. Die Hochseeflotte in Kiel und Wilhelmshaven, der teure Stolz des Kaisers und der Admiralität, hatte bis dahin nur 1916 am Skagerrak seine Kampfkraft unter Beweis stellen dürfen (ohne indes substanzielle Erfolge verbuchen zu können) und sollte nun auf einer letzten Fahrt gegen die britische Grand Fleet die letzte „ehrenvolle“ Schlacht schlagen – und wahrscheinlich untergehen. Am 29. Oktober 1918 wurde – inmitten der laufenden Waffenstillstandsverhandlungen – der Flottenbefehl zum Auslaufen erlassen, ohne allerdings die Reichsregierung oder den Kaiser in Kenntnis zu setzen, womit dessen ausdrücklicher Befehl, alle militärischen „Entscheidungen im Einverständnisse [seien] mit dem Reichskanzler oder dem von diesem bestellten Vertreter“ zu treffen, schlicht verweigert wurde. Das war nichts anderes als Befehlsverweigerung auf höchster Ebene und zugleich der Gang in eine kollektive Selbstopferung.
Doch trotz aller Verschleierungsversuche seitens der Militärs blieb dies den Mannschaften nicht verborgen. Die Folge: Befehle wurden nicht befolgt, Kesselfeuer gelöscht, Beleuchtungsanlagen der Maschinenräume zerstört und rote Fahnen gehisst. Ohne die Matrosen, die keinen Drang verspürten, für den Ehrenkodex des Marineoffizierskorps am Ende eines offensichtlich verlorenen Krieges zu sterben, war kein Kampf zu führen. Sie lehnten sich gegen die Offiziere auf, bildeten Soldatenräte, bewaffneten sich, demonstrierten zusammen mit den Kieler Arbeitern und nach nur sechs Tagen und kleineren bewaffneten Zusammenstößen mit nur wenigen Toten hatten die Aufständischen die Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt. Nun breitete sich die Revolution von den Küstenstädten über das gesamte Land aus: In München wurde am 7. November eine Räterepublik ausgerufen, in Bremen hatte bereits am Tag zuvor ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht übernommen.
In Berlin versuchte der Reichskanzler unterdes die Führung der (M)SPD dazu zu gewinnen, die Revolution „einzufangen“ und fand in Friedrich Ebert, dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden, einen verlässlichen Partner. Klar war, dass es keinen Frieden geben würde, bliebe Wilhelm II. weiterhin Kaiser. Da dieser sich jedoch nicht dazu entschließen konnte, verkündete Max von Baden eigenmächtig dessen Abdankung (offiziell unterschrieb der Hohenzoller seine Urkunde erst knapp einen Monat später) und übertrug am 9. November 1918 die Kanzlerschaft auf Ebert, der, nach späteren Aufzeichnungen des badischen Prinzen, selbst die Revolution hasste „wie die Sünde“. Tatsächlich aber schaffte es Ebert – nicht als Kanzler, sondern als Vorsitzender des neu gebildeten Rates der Volksbeauftragten – sowohl die soziale Dynamik der Revolution als auch die Gefahr von Bürgerkrieg und Generalstreik einzudämmen und „Ruhe und Ordnung“ zum obersten „revolutionären“ Prinzip zu machen: Die Angst vor Verhältnissen wie in Russland war allenthalben groß. Der Publizist Maximilian Harden wird später süffisant schreiben, es sei „eine sehr ordentliche, sehr ruhige, höchst anständige Revolution“ gewesen.
Doch die Anfang November durch Deutschland flirrenden Nachrichten in den Extrablättern, Morgen- und Abendausgaben der Zeitungen hatten die Menschen mobilisiert, auf die Straßen getrieben und so standen Tausende am 9. November vor dem Reichstag, in dem Friedrich Ebert und der neue „Finanzminister“ Philipp Scheidemann einen Teller Suppe aßen. Von Anhängern bestürmt, ließ sich Scheidemann – nicht Ebert – überreden, vor die Massen zu treten und in einer improvisierten Rede – sehr zum Ärger Eberts – mit den Worten:
„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!“
eine Zeitenwende einzuleiten. Zwei Tage darauf unterschrieb die deutsche Delegation den Waffenstillstand in Compiègne und der Krieg war beendet. Danach entsagten binnen 14 Tagen alle herrschenden Fürstenhäuser im Reich ihrer Thronsitze – ebenso gewalt- wie geräuschlos. Am 12. November erließ die Übergangsregierung mit dem „Aufruf an das deutsche Volk“ eine Art erstes Grundsatzprogramm und zeigte damit, wie revolutionär diese neue Republik hätte sein können:
Die Zensur wurde vollständig aufgehoben, die Wahlen waren von nun an frei, geheim und gleich für Männer und Frauen, Meinungs- und Pressefreiheit wurden garantiert, die Gesindeordnung abgeschafft, der Acht-Stunden-Arbeitstag eingeführt. Doch diesem durchaus großen, vor allem sozial-und verfassungspolitischem Sprung folgten so schnell keine weiteren. Und dann kam die Gewalt: Der Dezember brachte das antidemokratische und gegenrevolutionäre Militär zurück ins Spiel und mit den Toten vor der Berliner Maikäferkaserne (6. Dezember) und den Weihnachtskämpfen um das Berliner Stadtschloss (24./25. Dezember) einen blutigen Vorgeschmack auf die bürgerkriegsartigen Zustände der Jahre 1919 bis 1924.
Bis heute ist die Novemberrevolution ein historisch äußerst vieldeutiges Ereignis. War sie für die DDR eine Art Ur-Erzählung für die Legitimation der SED, blieb sie im Westen Deutschlands die Entscheidung gegen Bolschewismus und für eine bürgerliche Demokratie. Auch heute noch entzieht sie sich einer eindeutigen Les- und Deutungsart: Zu viele unterschiedliche Ansätze, zu viele nicht gegangene Wege, zu viele Widersprüche. Doch genau das macht sie weiterhin zu einem wertvollen Gegenstand für Forschungs- und Museumsarbeit.