Immer noch Christbaumschmuck?
Weihnachten ist vorbei und das Obergeschoss des Zeughauses lädt noch immer zum Besuch der Intervention „Engel, Hakenkreuz, Felsendom“ ein. Beim näheren Betrachten wird klar, dass ihr Inhalt weder weihnachtlich süß noch niedlich ist. Sie zeigt, in welchem Maße dieser Schmuck Politik-, Wirtschafts-, Technik- und Bildungsgeschichte und nicht zuletzt den Zeitgeist reflektiert. Regine Falkenberg, Kuratorin der Ausstellung und Sammlungsleiterin Alltagskultur, stellt in diesem Beitrag ausgewählte Objekte vor, die deutlich werden lassen, wieso der Besuch auch im Januar und Februar mehr als lohnenswert ist.
Die kleine gerahmte Radierung von 1770/1780 zu Beginn der Ausstellung stellt eine Weihnachtsbescherung am Morgen des 25. Dezember dar. Sie findet in einem großbürgerlich-städtischen Haushalt statt. In einer Ecke des Raums steht ein Baum, der sich bei näherem Hinsehen als ein Strauß von Eichenzweigen entpuppt. Sie sind mit Springerlen, einem süddeutschen Anisgebäck, Äpfeln und dem mit Kerzen illuminierten Bildnis eines Engels geschmückt. Warum die Intervention diese Radierung hier überhaupt im Original als Leihgabe der Stiftung Graphische Sammlung München zeigen kann, hat folgenden Grund:
Darstellungen geschmückter Weihnachtsbäume sind vor dem 19. Jahrhundert rar und auch im Sammlungsbestand des Deutschen Historischen Museums nicht vorhanden. Aus finanziellen Erwägungen dachte ich an die Reproduktion einer Graphik, die ich schon oft in der einschlägigen Literatur abgebildet und meistens nicht nachgewiesen fand und die dem bürgerlichen Weihnachtsfest des 19. Jahrhunderts sehr nahe kam. In zwei großen Bildagenturen fand ich die gesuchte Graphik und bestellte ein Foto „nach der Größe des Originals“. Doch überraschenderweise war beiden Agenturen weder die Größe noch der Standort des Originals bekannt: Ein Fall für das DHM, zu dessen Arbeitsgrundsätzen gehört, wenn schon eine Reproduktion sein muss, dann eng am Original und den historischen Sehgewohnheiten entsprechend. Also begab ich mich auf die Suche nach einer Originalradierung mit diesem Motiv.
Der populäre Name des Radierers Joseph Kellner war nicht gerade hilfreich bei der Suche nach dem Original. Doch detektivischer Spürsinn führte schließlich über ein historisches Forum im Internet zu einem Museumsdirektor, der 1895 eine Notiz in einer entlegenen Zeitschrift verfasst hatte. Er kritisierte, dass ein Autor eine Graphik veröffentlicht hatte, ohne die Quelle zu nennen! Er holte dies nach und so führte mich die Spur nach München ins Kupferstichkabinett, heute Graphische Sammlung. Nach einigen Verhandlungen mit den Münchner Kolleg*innen, gelang es, das Blatt als Leihgabe zu bekommen und ist nun im Berliner Zeughaus zu bestaunen.
Presseberichte über die Ausstellung führten zu einer wichtigen Ergänzung der Ausstellung, für mich ein beeindruckender Beweis, dass Kommunikation über Ausstellungen funktioniert. Uns fehlte trotz intensiver Recherche Bildmaterial zu Weihnachtsbäumen mit NS-Emblemen. Obwohl wir über Jahre viele hunderte Fotos und Familienalben sorgfältig mit Lupe nach Hakenkreuzen abgesucht haben, wurden wir nicht fündig. Im Ausstellungskapitel „Hakenkreuz und Julschmuck“ schrieben wir daher:
„Auf zeitgenössischen Fotos von Weihnachtsbäumen sind NS-Embleme nicht zu finden.“
Viele Journalist*innen verbreiteten die Aussage im Radio und in Zeitungen. Und tatsächlich meldeten sich eine Dame und ein Herr, deren Fotoalben nicht von Hakenkreuz-Emblemen „bereinigt“ worden waren. Sie schickten uns ihre „Beweisfotos“, die wir als Reproduktionen nun den Besucher*innen zeigen können. Vielen Dank für die Initiative, die uns diese wichtige Korrektur ermöglichte!
Ein Glücksfund ist für mich das Fotoalbum mit den Fotografien der Weihnachtsfeste dreier Generationen einer Familie eines Kaufmanns in Mainz. Eine Freundin, die den Begriff „Christbaumschmuck“ aus meinem Munde schon nicht mehr hören mochte, vermittelte mir den Kontakt zum Eigentümer dieses beeindruckenden Albums. Er gab sein Einverständnis zur Reproduktion, so dass Besucher*innen der Christbaumschmuck-Ausstellung es nun zur Hand nehmen und darin blättern dürfen. Das Album dokumentiert eindrucksvoll, wie sich die Familie unter dem Weihnachtsbaum den politischen Verhältnissen während der NS-Zeit anpasst: 1938 trägt der Sohn die Reichsarbeitsdienstuniform, 1939 ist er bei der SS, 1942 ist er SS-Sturmmann und sein Vater zeigt sich als Hauptmann in der Offiziersuniform der Wehrmacht. Neugierig macht eine Lücke von acht Jahren: Zwischen 1943 und 1950 ist das Fest fotografisch nicht dokumentiert. Gründe finden sich in den Tagebuchaufzeichnungen des Vaters: Der Zweite Weltkrieg mit Kriegseinsatz, Kriegsgefangenschaft, durch Bombenangriff zerstörte Wohnung und schließlich der Unterkunft bei Verwandten, das Kriegsende, die Gründung der Bundesrepublik und der Bezug einer neuen Wohnung. Eine sehr typische Familiengeschichte, die dieses Album beinhaltet.
Zuletzt möchte ich noch ein besonderes Highlight der Ausstellung vorstellen: die fünf Meter lange Vitrine mit der Installation „Weihnachtsverspannungen“ des Künstlers Ulrich Vogl und der Bühnenbildnerin Evi Wiedemann. Dem fragilen Charakter der 243 Christbaumschmuckobjekte entspricht die faszinierende Konstruktion aus zartem Stahlseil und dünnem Stahldraht. Die Leichtigkeit der Figuren, Tiere, Früchte, Kugeln, Gegenstände des Alltags aus der Sammlung des DHM kommt gut zur Geltung. Der Schmuck hängt in einer Ebene übereinander, nah am Vitrinenglas, gut sichtbar. Absicht war, den Blick der Betrachter*innen auf das kunsthandwerkliche, aber auch auf das Flüchtige der Massenanfertigung zu lenken, das dem Schmuck oft erst Charakter und eine Unterscheidbarkeit trotz Masse verleiht. Beschädigungen bezeugen den Gebrauch: der Kanarienvogel aus Holz ist von der Kerze angesengt, das über hundert Jahre alte Schwein aus Watte hat ein Ohr verloren. Die Motive zeigen, alles schmückt den Baum: ein Nisse (Kobold) aus Dänemark, ein indonesischer Schneemann mit einem Geschenk, Graf Zeppelin mit seinem Luftschiff, Karl Marx, ein Engel im Kimono aus Korea, Dinosaurier, fein bemalte Kugeln aus Kaschmir, Mobiltelefon und Computerbildschirm. Mein ganz persönlicher Favorit in dieser Vitrine ist der kleine Marsianer mit der grünen Haut und den niedlichen Antennen, der nicht auf dem Mars, sondern in Italien kreiert wurde.