Staub aufwirbeln, wo es eh schon dreckig ist [*]

In der Weimarer Republik änderte sich die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frau: Sie war nicht mehr nur Arbeiterin, Hausfrau und Mutter, sondern nun auch Wählerin, Konsumentin und Werbeträgerin. Gesa Trojan schreibt im DHM-Blog über neue Frauenrollen in der Weimarer Republik – und damit verbunden die neuen Werbestrategien von Unternehmen und Politik.

Vampire sind Wesen der Nacht. Sie rauschen durch die Träume und Räume der Lebenden, gierig darauf, ihnen ihre Menschlichkeit auszusaugen. Beides trifft auf die beiden Hauptdarsteller*innen der Werbepostkarte der Allgemeinen Elektricitätsgesellschaft (AEG) von 1929 zu, auf der die neueste technische Errungenschaft des Unternehmens abgebildet ist: der Staubsauger „Vampyr“, den die als Vamp berühmt berüchtigte Schauspielerin und Tänzerin Edmonde Guy elegant durch einen herrschaftlichen Salon manövriert. Angetrieben von elektrischem Strom, saugt der AEG „Vampyr“ unersättlich die Hinterlassenschaften menschlicher Nutzung aus dem schweren Teppich, während Edmonde Guy, angetrieben durch die Macht der Verführung, Nacht für Nacht im Revuetheater den Zuschauern deren männliche Willenskraft aussaugt. Der Salon ist, anders als Frau und Gerät, mit seiner Einrichtung im Stil des Historismus zwar äußerst unmodern, aber dennoch zentral für das Verkaufsargument: Die Wand hinter der häuslichen Revuetänzerin ziert eine Tapisserie mit romantisierendem Motiv, das eine Frau in barock-anmutender Kleidung zeigt, die mit ihr zuflötendem Mann und possierlichem Kind im deutschen Wald Familienidyll versprüht. Mit dieser geschickten visuellen Strategie des Bild-im-Bild lautet die Werbebotschaft der AEG an den Mann der Weimarer Republik: Mit technischen Geräten wie dem AEG „Vampyr“ kriegst Du eine Frau wie Edmonde Guy dazu, mit Dir eine Familie zu gründen und Deinen Dreck wegzumachen.

„Ihr gesamter Lebensinhalt schien das Spiel mit dem Luxus zu sein, “ [1] schreibt Monika Portenlänger über die Figur der emanzipierten Femme Fatale, die in den 1920er Jahren den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen der Weimarer Republik Ausdruck verlieh, und man könnte meinen, das Führen eines Staubsaugers und das Dasein als Vamp vertrugen sich nicht. Die Firma AEG sah das anders. Dank ihrer effektiven und luxuriösen Haushaltsgeräte könne frau im Jahr 1929 ganz unproblematisch Hausfrau und Femme Fatale zugleich sein, so die Botschaft. Damit knüpft das Unternehmen werbestrategisch an das sich während der Weimarer Republik erweiternde Rollenspektrum für Frauen an, die nicht mehr nur als Arbeiterinnen, Hausfrauen und Mütter, sondern neuerdings auch als Wählerinnen, Konsumentinnen und Werbeträgerinnen in die Visiere von Parteien, Institutionen und Unternehmen gerieten. Dass sich diese neuen weiblichen Handlungsspielräume jedoch immer noch in engen, von Männern gesteckten und kontrollierten Grenzen aufspannten, verrät auch die Werbepostkarte für den AEG „Vampyr“ – allerdings erst auf den zweiten und dritten Blick, bei dem es sich — Überraschung — um einen männlichen handelt.

 

Edmonde Guy mit dem AEG Vampyr, Werbepostkarte der Firma AEG für den Staubsauger Vampyr, um 1929 © DHM

Edmonde Guy mit dem AEG Vampyr, Werbepostkarte der Firma AEG für den Staubsauger Vampyr, um 1929 © DHM

 

Die Frau als Wählerin und Politikerin

Trotz verfassungsmäßig garantierter Gleichberechtigung folgte der „neue“ Alltag der meisten Frauen weiterhin patriarchal geprägten Ordnungen.

Frauen, deren Blicke 1929 die AEG Werbepostkarte trafen, hatten sich zehn Jahre zuvor endlich das Wahlrecht erkämpft und mochten sich beim Anblick der staubsaugenden Schauspielerin fragen, wie die Haus-Femme-Fatale wohl gewählt haben mochte und ob sie bei den letzten Wahlen überhaupt ihr Kreuzchen gemacht oder sich stattdessen lieber um die Spinnenchrysanthemen in ihrem Wohnzimmer gekümmert hatte. Nachdem bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 noch über 90 Prozent der wahlberechtigten Frauen ihre Stimme abgegeben hatten, sank die Zahl der Frauen, die ihr Wahlrecht nutzten, in den Folgejahren beträchtlich.[2] Dies lag möglicherweise an dem mangelnden Interesse vieler männlicher Abgeordneter, frauenspezifische Themen — die sie im Vergleich mit anderen Ressorts als „Weiberkram“ abwerteten — auf die politische Tagesordnung zu setzen.[3] Daran konnten auch die weiblichen Abgeordneten wenig ändern, die 1919 angetreten waren, die politischen Entscheidungen der Weimarer Republik mitzugestalten. In der Nationalversammlung stellten sie 8,6 Prozent der Volksvertreter*innen, in den folgenden Reichstagen waren sie noch stärker unterrepräsentiert. Auch unter ihnen machte sich Ernüchterung breit „angesichts der mangelnden Bereitschaft der männlichen Parteivertreter, Frauen in gleichem Maße auf Listenplätze zu setzen und in die Politik zu integrieren“.[4] Die Arbeit der ersten Berufspolitikerinnen litt zudem an parlamentarischen Strukturen und Abläufen, die sich entwickelt und verfestigt hatten, noch ehe Frauen ins politische Leben eingetreten waren, so dass beispielsweise Sitzungszeiten oft nicht mit den Aufgaben als Hausfrau und Mutter vereinbar waren. Denn wenn Frauen sich auch weitreichende politische Rechte erkämpft hatten, so war der Alltag der meisten noch bestimmt von patriarchalen Strukturen. Ihre erste Pflicht galt dementsprechend Heim und Familie und aus dieser wurden sich auch dann nicht entlassen, wenn sie gewählte Volksvertreterinnen waren.

Die Frau als Angestellte und Konsumentin

Trotz verfassungsrechtlich garantierter Gleichberechtigung beider Geschlechter auch in der Ehe benachteiligte das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verheiratete Frauen massiv.

Hätten die weiblichen Abgeordneten nur einen Staubsauger gehabt, wäre ihnen und den vielen anderen werktätigen Frauen diese Doppelbelastung sicher viel leichter gefallen! In der Weimarer Republik waren Politikerinnen nämlich nicht die einzigen Frauen, die sich neuerdings neben der Haus- auch der Lohnarbeit hingaben. Natürlich hat es schon immer arbeitende Frauen gegeben, deren soziale und ökonomische Lage keine Alternative zuließ, doch neue Bildungsmöglichkeiten und fortschrittliche Kommunikationstechniken ließen während der Weimarer Republik neue Berufsfelder entstehen, so dass nun junge und häufig noch unverheiratete Frauen das moderne Arbeitsleben in den Büros der Großstädten prägten.[5] Zwar verdienten diese Neuen Frauen nun ihr eigenes Geld, allerdings reichte ihr Lohn, der bei gleicher Arbeit etwa ein Drittel von dem betrug, was Männer verdienten, bei weitem nicht aus, um sich eine eigene Wohnung mit feinem Salon, Edmonde Guys schicke Garderobe oder gar einen AEG „Vampyr“ leisten zu können.[6] Die AEG-Werbung mit Vamp und „Vampyr“ hat deswegen auch nicht auf die Kaufkraft dieser weiblichen Angestellten abgezielt, sondern auf die von wohlhabenden Ehemännern. Einen solchen Mann hatten sich den gesellschaftlichen Erwartungen zufolge auch die modernen Neuen Frauen nach einigen Jahren der Berufstätigkeit zuzulegen. Dieser verwaltete dann gemäß dem BGB rechtlich ihr Leben und Vermögen und konnte ihr mithin verbieten zu arbeiten, um ihr dafür aber einen Staubsauger zu spendieren, mit dem sie – bitteschön ­– verführerisch zu hantieren hatte.[7]

Die Frau als Werbeträgerin und Ideal

Die Ausdifferenzierung des Rollenangebots brachte für Frauen neue Träume, vor allem aber neue Anstrengungen mit sich.

Epochemachende urbane Frauenrollen wie die Neue Frau oder der Vamp hatten also mit den meisten weiblichen Lebenswelten der 1920er Jahre wenig gemein, entsprangen vor allem der männlichen Phantasie und wurden schnell zu Werbeträgerinnen „einer sich entfaltenden Konsum- und Freizeitindustrie, die Weiblichkeit und Erotik in zuvor ungeahnter Weise für den Verkauf ihrer Produkte instrumentalisierte“.[8] Trotzdem waren diese Rollenbilder als Ideal wirkmächtig für Frauen. Die sollten nicht mehr nur den Haushalt schmeißen, Kinder bekommen und großziehen, arbeiten und wählen, sondern nebenbei auch noch knabenhaft schlank, modern frisiert und gekonnt geschminkt das Nachtleben aufpeppen. Das bedeutete für Frauen vor allem eins: enorme Anstrengung. Und nicht selten versteckten sich hinter dicken Schichten von Make-Up Erschöpfung, Einsamkeit und Desillusionierung.[9] „Bilder von Weiblichkeit waren in der Weimarer Gesellschaft also primär durch den männlichen Blick aufgebaut und legitimiert,“ erläutert die Historikerin Lilja-Ruben Çaharnas Vowe, „zusätzlich verfestigt durch eine Konsum- und Warenwelt, welche die Kriterien der Erfüllung des Ideals stets präsentierte.“[10]

Edmonde Guy, der putzende Revue-Star der AEG-Werbung, inszeniert für einen männlichen Blick, verkörpert eine Männerphantasie, die auch heute noch wirkmächtig ist. Die Anschaffung eines AEG-Staubsaugers versprach seinem Käufer die Unterwerfung einer Frau, „die stets ihre undurchdringliche Kühle bewahrt und dem Mann nie das Gefühl endgültiger Eroberung gibt,“ so Portenlänger über den Vamp der 1920er Jahre.[11] Diese Unterwerfungsphantasie angesichts selbstbewusster Weiblichkeit existiert auch heute noch, genauso wie der AEG „Vampyr“ noch immer durch deutsche Haushalte saugt. Erst kürzlich empörte sich die Autorin Laurie Penny per Tweet darüber, die neue Trophy Wife sei nicht mehr das junge Model, sondern die brillanteste, fähigste Frau, die Du dazu bringen kannst, für Dich ihre Karriere aufzugeben, um Deine Kinder zu bekommen.[12]

Wenn wir in Berlin am 8. März die Errungenschaften für mehr Gleichberechtigung feiern, sollten wir mit Blick in die Vergangenheit den immer noch überall herumliegenden Staub ordentlich aufwirbeln und bestenfalls nicht sofort zur elektrischen Haushaltshilfe greifen. Es gibt noch einiges zu tun.

 

 

Quellen

[*] Der Titel ist eine Beschreibung gegenwärtigen feministischen Wirkens von Margarete Stokowski. Auch früher lag davon einiger herum. https://www.rowohlt.de/hardcover/margarete-stokowski-die-letzten-tage-des-patriarchats.html

[1] Monika Portenlänger: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp. Die Darstellung der Frau auf Umschlagillustrationen und in Schlagertexten der 1920er und frühen 1930er Jahre, Marburg 2006, S. 18.

[2] Vgl. Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Bonn 2010, S.252.

[3] Vgl. Lilja-Ruben Çaharnas Vowe: „1924: Wählerin und Konsumentin. Die ambivalente Doppelrolle der Frau in der Weimarer Republik.“ In: Ariadne 73-74 (2018), S.118-127, S.118.

[4] Vgl. Marie Stritt: „Germany.“ In: Jus suffragii, 6 (1919), S. 76, z.n. Marion Röwekamp: „Der graue Alltag des Stimmrechts. Die Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen als ein Schritt zu Citizenship-Rechten in der Weimarer Republik.“ In: Ariadne 73-74 (2018), S. 90-99, S. 90.

[5] Vgl. Çaharnas Vowe: „1924: Wählerin und Konsumentin“, S.118.

[6] Vgl. Ursula Büttner: Weimar, S.254.

[7] Vgl. Çaharnas Vowe: „1924: Wählerin und Konsumentin,“ S.118.

[8] Portenlänger: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp, S. 13.

[9] Julia Haungs und Anja Brauch: „Die ,Neue Frau’ der 20er“, In: SWR2 Wissen, https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/die-neue-frau/-/id=660374/did=21969824/nid=660374/1n5zp13/index.html, Zugriff 28.2.2019, 14:45 Uhr.

[10] Çaharnas Vowe: „1924: Wählerin und Konsumentin“, S. 125.

[11] Ortrud Gutjahr: „Lulu als Prinzip – Verführte und Verführerin in der Literatur um 1900.“ In: Irmgard Roebing (Hrsg.): Lulu, Lilith, Mona Lisa – Frauenbilder der Jahrhundertwende, Pfaffenweiler 1989, S.57, z.n. Portenlänger: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp, S. 18.

[12] Laurie Penny (PennyRed): „‘The new trophy wife in tech isn’t the hot young model. It’s the most brilliant, accomplished woman you can get to give up her career to have your kids.’ – a woman who works tech told me this two years ago and it still haunts me. #sexism“. 23. Februar 2019, 10:55, Tweet.

 


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Gesa Trojan

Gesa Trojan ist wissenschaftliche Referentin im Fachbereich Bildung und Vermittlung des Deutschen Historischen Museums und promoviert über die Rolle von Alltagspraktiken in Prozessen von Identitätsbildung am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin. Sie hasst staubsaugen und ist erreichbar über Twitter.