Zeitsparend und effizient – die Frankfurter Küche
Stefanie Müller | 2. April 2019
In der jungen Weimarer Republik herrschte ein enormer Wohnraummangel. Zur Sicherung des sozialen Friedens wurde das Recht auf eine „gesunde Wohnung“ in der Verfassung verankert. Vor allem die Kommunen setzten seit 1924 große Wohnungsprogramme um, zu denen auch die Optimierung der Wohnungseinrichtung zählte. Stefanie Müller stellt im DHM-Blog einen der Klassiker der Zeit vor: die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky.
Das bisschen Haushalt… Immer noch genug werden viele jetzt denken. Zum Glück erleichtern praktische und zunehmend smarte Haushaltsgeräte die Arbeit und sparen Zeit. Zahlreiche dieser heute selbstverständlichen Haushaltshelfer nahmen ihren Anfang in den 1920er Jahren und auch der Ursprung der modernen Einbauküche liegt in der Weimarer Republik. Rationalisierung zur Arbeits- und Zeitersparnis war bereits damals die treibende Kraft hinter vielen technischen Neuerungen. Doch nicht nur das: Die Weimarer Republik bot auch die Möglichkeit für eine kulturelle Modernisierung der Gesellschaft. Aber was genau hat das jetzt mit Haushalt und Küche zu tun?
Neue Zeit – Neue Lösungen
Die junge Republik stand vor großen Herausforderungen – eine davon war der enorme Wohnungsmangel, vor allem in den Städten. Um gegen die katastrophalen hygienischen und sozialen Zustände vorzugehen, wurde der Staat aktiv und finanzierte große Bauprogramme. So auch in Frankfurt am Main, wo Ernst May (1886-1970) 1925 die Leitung des städtischen Bauamts übernahm. Mit kommunalpolitischer Unterstützung wollte er Wohnraum zum günstigen und dennoch hochwertigen Massengut machen. Wie viele moderne Architekten setzte May dafür auf Normierung, neue Baumethoden und Materialen sowie deren industrielle Serienfertigung. Aber nicht nur der Bauprozess, auch die Gestaltung der Wohnungen und allem voran die Küchen sollten rationaler werden. Um das zu schaffen, berief May die junge Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) in sein Team.
Inspiriert von Speisewagenküchen in Zügen untersuchte sie die genauen Bewegungsabläufe während der Hausarbeit. Jeder Arbeitsschritt wurde mit der Stoppuhr gemessen, um daraus eine möglichst effiziente Gestaltung der Küche zu ermitteln. 1926 präsentierte sie das Resultat ihrer Studien – die sogenannte Frankfurter Küche.
Innovation auf kleinstem Raum
Ergebnis der Forschungen Schütte-Lihotzkys war eine etwa sechs Quadratmeter große Küche, die nicht mehr als Wohnküche, sondern nur noch als Arbeitsraum gedacht war. Geeignetes Mobiliar für diese Raumgröße existierte nicht, so dass die Architektin ein Modulsystem entwickelte, bei dem die Möbel kostengünstig in großer Stückzahl produziert werden konnten. Ihr Design mit den zahlreichen praktischen Extras war wegweisend und wirkt noch heute modern.
An der Arbeitsplatte unterhalb des Fensters konnten anfallende Lebensmittelreste über eine Klappe direkt in eine Abfallrinne entsorgt werden. Neben einem Doppelspülbecken verfügte die Küche über ein Abtropfbecken und einen Abtropfhalter, sodass das Abtrocknen entfiel. Mit Auszügen am Unterschrank konnte die Arbeitsfläche erweitert werden, eigens entwickelte Aluminiumschütten machten Vorräte stets griffbereit. Ein belüfteter Speisekasten als eine Art Kühlschrank, ein Herd mit Dunstabzug sowie eine Kochkiste zum Warmhalten und Garen der Speisen erhöhten den Komfort. Als zusätzliches Extra konnte ein Bügelbrett über die gesamte Zimmerbreite geklappt werden. Der verwendete Petrolton der Küchenmöbel – heute wieder absolut im Trend liegend – basierte auf Untersuchungen der Frankfurter Universität, die ergeben hatten, dass ein blaugrüner Anstrich besonders gut Fliegen abhalte. Je nach Raumsituation wurden die Einzelmodule in Variationen arrangiert und zwischen 1926 und 1932 in etwa 10.000 Frankfurter Wohnungen eingebaut.
Neue Küche – Neuer Mensch
Ernst May, Margarete Schütte-Lihotzky und andere moderne Architekten nutzen den Aufbruch in der Weimarer Republik, um mit neuen Materialien, Methoden und einer neuen sachlichen Formensprache Wohnen gesünder, billiger und gerechter zu machen. Der Pomp der Kaiserzeit und mit ihm die Monarchie galten als überholt. Im sozialen Wohnungsbau bot sich den progressiven Architekten die Möglichkeit, die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse baulich sichtbar zu machen. Doch nicht nur das: mit ihrer Arbeit verfolgten sie auch die Vision von einem geistigen Wandel – Neues Bauen für den „Neuen Menschen“. Die nun demokratische Gesellschaft brauchte aktive Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die es zu erziehen galt. Hierzu sollte auch die äußere und innere Gestaltung des Wohnraums ihren Beitrag leisten. Für die zunehmend berufstätigen Frauen bedeutete die Innovationen der Frankfurter Küche einerseits Entlastung und zugleich eine Anpassung an die vorgefundene Standardeinrichtung. Eingesparte Zeit sollte für gesellschaftliches Engagement und Selbstqualifizierung genutzt werden, die klaren Formen eine Klarheit des Geistes fördern. Das wegweisende Design Margarete Schütte-Lihotzkys steht daher nicht einfach nur für praktische Küchenmöbel, sondern verkörpert die dahinter stehende Idee von der mentalen Formung der Bewohnerinnen und Bewohner im Sinn einer neuen, demokratischen Gesellschaft.
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Stefanie MüllerStefanie Müller ist Kunsthistorikerin und Historikerin, ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie war zuletzt als Kuratorin für die Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ am Deutschen Historischen Museum tätig. |