Bestechend modern und bis heute aktuell – die Arbeitslosenversicherung der Weimarer Republik
Simone Erpel | 23. Mai 2019
Den Grundstein für die Arbeitslosenversicherung, so wie wir sie heute kennen, legten demokratische Politiker*innen in der Weimarer Republik. Was für uns heute selbstverständlich ist – ein rechtlicher Anspruch auf staatliche Arbeitslosenunterstützung – war damals etwas vollkommen Neues. Arbeitslosigkeit, die noch zu Kaisers Zeiten als selbstverschuldete Not galt, wurde nun als gesamtgesellschaftliches Problem aufgefasst, d.h. Arbeitslosigkeit ging alle etwas an und erforderte deshalb auch eine allgemeinpolitische Lösung.
Ein Meilenstein des Weimarer Sozialstaates
Der ambitionierte Anspruch des Gesetzgebers, sozialpolitische Maßnahmen fest in den demokratischen Staat zu verankern, zeichnete sich bereits 1919 in der Weimarer Reichsverfassung ab. Die Verfassung formuliert beispielsweise in dem Artikel 163 einen Rechtsanspruch von Erwerbslosen:
„Soweit ihm [dem Erwerbslosen] angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.“
Doch erst 1927 wurde nach langen parlamentarischen Debatten das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verabschiedet. Es war eines der bedeutendsten sozialpolitischen Reformprojekte der Weimarer Republik.
Was war neu?
Die bestehende staatliche Erwerbslosenfürsorge wurde in eine beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung verwandelt. Neu war, dass es sich um eine Versicherung handelte, d.h. die finanzielle Unterstützung richtete sich nun nach dem vorherigen Lohn bzw. Gehalt und nicht mehr an der Bedürftigkeit der Arbeitslosen. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zahlten paritätisch Beiträge von 3 Prozent des Grundlohns in die Versicherung ein. Arbeiter*innen und Angestellte hatten damit erstmals einen echten Rechtsanspruch auf Unterstützung. An diesem Prinzip hat sich bis heute nichts geändert: Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung liegt aktuell bei 2,5 Prozent.
Ein Kompromiss
Die Einführung der staatlichen Arbeitslosenversicherung ist ein Beispiel für eine gelungene Kompromisspolitik. Nach langen Verhandlungen mit Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber sowie Debatten im Reichstag wurde das Gesetz parteiübergreifend und mit großer Mehrheit schließlich am 7. Juli 1927 verabschiedet. Doch war es nicht die SPD, wie man annehmen könnte, sondern die „Bürgerblock“-Regierung unter dem Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrumspartei), die das Gesetz im Reichstag einbrachte. Dieser Erfolg war wesentlich Heinrich Brauns zu verdanken, der den christlichen Gewerkschaften nahestand. Er war Priester, Zentrumspolitiker und ohne Unterbrechung in zwölf Kabinetten der Reichsarbeitsminister (1920-1928). Diese erstaunliche personelle und damit auch politische Kontinuität sowie sein Priesteramt brachten ihm bereits damals den Spitznamen „Heinrich, der Ewige“ ein.
0,25 Prozent
Die Zahl der Arbeitslosen schnellte infolge des Börsencrash am 24. Oktober 1929 und der Weltwirtschaftskrise in die Höhe. Um die Erwerbslosen zu unterstützen, reichten die finanziellen Mittel aus der Arbeitslosenversicherung schnell nicht mehr aus. Diese war auf lediglich 700.000 Arbeitslose ausgelegt, doch bereits 1930 waren 3 Millionen Menschen ohne Arbeit.
Die SPD, die mittlerweile wieder in Regierungsverantwortung war, wollte den Beitragssatz um 0,25 Prozent erhöhen, ihre bürgerlichen Koalitionspartner wollten Leistungen kürzen. Die Große Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller (SPD) zerbrach an diesem Streit. Mit dem Rücktritt Heinrich Müllers endete die letzte Regierung der Republik, die von einer demokratischen Reichstagsmehrheit getragen wurde. Die Unfähigkeit der Koalitionspartner, sich zu verständigen, gilt bis heute als mahnendes Beispiel dafür, dass fehlende Kompromissbereitschaft zwischen den politischen Parteien die Demokratie gefährdet.
Dieser Beitrag wurde im Rahmen der Blogparade #DHMDemokratie verfasst.
Simone ErpelSimone Erpel ist promovierte Historikerin und lebt in Berlin. Sie kuratierte die Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ am Deutschen Historischen Museum. |