7 Fragen an Antje Liebers
Zur Rekonstruktion der Frankfurter Küche aus der hauseigenen Kunstgewerbe Sammlung
Miriam Barnitz | 4. September 2019
Die Frankfurter Küche und ihre Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die das „Neue Bauen“ insbesondere in Frankfurt prägte, sind im diesjährigen Bauhaus-Jahr und der aktuellen bauhauswoche berlin nicht wegzudenken. Auch in unserer Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ hat die innovative und gesellschaftsverändernde Erfindung einen zentralen Platz. Nach einer intensiven und aufwändigen Restaurierung sowie Teilrekonstruktion kann unsere Frankfurter Küche, die seit 1992 im Sammlungsbestand ist, sich jetzt als eine der wenigen noch vorhandenen Zeitzeuginnen der Öffentlichkeit in Gänze präsentieren. Verantwortlich dafür ist Antje Liebers, seit 30 Jahren Holzrestauratorin am Haus. Warum sie die Restaurierung der Frankfurter Küche so schnell nicht vergessen wird, erzählt sie unserer wissenschaftlichen Volontärin Miriam Barnitz!
Frau Liebers, die Restaurierung einer gesamten Küche hört sich erstmal nach einer komplizierten Aufgabe an. Wie haben Sie reagiert, als man mit dieser Anfrage auf Sie zugekommen ist?
Antje Liebers: Ich kenne unsere Frankfurter Küche seit Mitte der 1990er Jahre und wusste sofort: das wird eine Herausforderung, die es zu meistern gilt! Da sie noch nie für eine Gesamtpräsentation zusammengestellt wurde, bestand sie immer noch aus Einzelteilen. Wichtige Elemente haben gefehlt. Sie wurde auch bis dahin nur teilweise und eher unfachmännisch überarbeitet. Doch so ein Ausstellungsprojekt ist für die Sammlungsobjekte oft ein Glücksfall, denn sie müssen nachhaltig ausstellungsfähig gemacht werden. Es ist die Gelegenheit, sich ihnen mit intensiver Aufmerksamkeit zu widmen. Problematisch ist immer die geringe Zeit, die einem zur Vorbereitung und Durchführung bleibt. Wie kann ich auf dem schnellsten Wege, mit kurzen Kommunikationswegen und möglichst sparsamer Verwendung von Finanzmitteln das Objekt präsentierbar und fit für die Zukunft machen? Schnell und sparsam ging am besten im eigenen Haus, wo viele wichtige Fachleute vor Ort sind. Mit ihnen waren Recherchen notwendig, um Lösungskonzepte zu erarbeiten, insbesondere im Falle der Farbrekonstruktion – ein Thema, dass mich und unsere Sammlungsleiterin Dr. Leonore Koschnik intensiv beschäftigt hat!
Also hat der Prozess eine Menge Teamarbeit gefordert. Wer hat alles mitgewirkt und wie?
In unserem Museum arbeiten viele fachspezifische Expert*innen sowohl in der Restaurierung als auch in den Werkstätten. Wir haben dort unter anderem Tischler*innen, Maler*innen und Schlosser*innen, die alle hoch professionell arbeiten und langjährige Erfahrungen mitbringen. Deshalb habe ich mir gedacht, dass es doch nur positiv sein könnte, wenn man diese Erfahrungen aktiv einbringt und wir uns zusammen an dieses Projekt wagen. In unserem Museum mit den ständigen wechselnden Ausstellungen, müssen die Kolleg*innen immer mit Termindruck umgehen und auch die Zeit bis zur Ausstellungseröffnung war knapp. Umso mehr haben mich die Zusagen meiner Kollegen Torsten Ketteniß und Kai-Evert Kriege aus der Tischlerei, Gunnar Wilhelm aus der Malerwerkstatt und Jens Albert aus der Schlosserabteilung besonders gefreut. Gemeinsam wollten sie diese ungewöhnliche Aufgabe mit mir meistern und sich von Anfang an innovativ am Projekt beteiligen. Unter anderem haben wir dann andere Museen, wie das Bröhan-Museum oder das Werkbundarchiv – Museum der Dinge, aufgesucht und die dortigen Frankfurter Küchen genau betrachtet, fotografiert und vermessen. Jeder hat sich seine Gedanken gemacht und so sind wir Schritt für Schritt dahinter gekommen, wie unsere Frankfurter Küche am besten restauriert und rekonstruiert werden kann. Im ganzen Verlauf ist uns das Projekt sehr ans Herz gewachsen. Eine Portion Vorfreude, das fertige Objekt endlich in der Ausstellung zu sehen, kam auch noch hinzu und auf die Reaktionen der Kolleg*innen haben wir regelrecht hingefiebert.
Eine große Rolle spielten die Rekonstruktionen der fehlenden Teile der Frankfurter Küche. Was machen diese denn so besonders?
Alle Frankfurter Küchen sind im Großen und Ganzen immer mal unterschiedlich. Unsere stammt aus der Frankfurter Siedlung Römerstadt, die Ende der 1920er-Jahre entstanden ist und vom Städteplaner Ernst May geplant wurde. Die Küchen der jeweiligen Siedlungsstraßen wurden nach bestimmten Vorgaben auf wenige Quadratmeter angelegt. Diese Informationen über die Provenienz des Objekts waren hilfreiche Orientierungspunkte für mich. Die Recherchen und Untersuchungen an der eigenen Küche und denen der anderen Museen sowie einiger Veröffentlichungen zu diesem Thema halfen mir, die Küchenauslegung nachzuvollziehen. Ich fertigte also Zeichnungen mit mehreren Anordnungsvorschlägen für unsere Ausstellungspräsentation in Anlehnung an die damaligen Küchengrundrisse an.
Dank dieser ersten Zeichnungen wusste ich genau, welche Teile wir rekonstruieren mussten. So sollte es neben dem Schubladenschrank, der in unserer Sammlung vorhanden war, ja auch eine Doppelspüle geben, die es damals in ganz unterschiedlichen Varianten, wie Porzellan, Keramik oder mit Blech beschlagen, gab. Und gerade auch die Details, wie das Abtropfgitter, das Bügelbrett und die Arbeitsplatte vor dem Fenster mitsamt der Abfallschublade waren wichtig zu ergänzen! Sie sind die Innovation, die zeigt, wie „Kleinigkeiten“ Arbeitsvorgänge erleichtern können.
Letztlich war neben der Rekonstruktion der Farbe, gar nicht so viele Teile zu ergänzen, doch sie hatten es alle in sich. Mit Detail-Verliebtheit, wenn man das so sagen kann, haben unsere beiden Tischler an den Ergänzungen gearbeitet. Neben der Maßgenauigkeit war die Materialwahl entscheidend. Wie haben die Elemente früher ausgesehen? Welches Material wurde verwendet und wie wurden sie verarbeitet? Letztlich war bei allen zu rekonstruierenden Elementen und bei aller Detailgenauigkeit immer wichtig, dass sich diese natürlich in die Küche einfügen, aber den Besucher*innen gleichzeitig transparent zeigen, dass sie Nachbauten sind. Genau das ist die Herausforderung.
Unter anderem waren Sie im Bröhan-Museum und im Werkbundarchiv – Museum der Dinge. Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Häusern?
Die Zusammenarbeit mit den anderen Museen war ganz wunderbar. Man kann ja nicht immer davon ausgehen, dass man an fremde Objekte einer Sammlung im Ausstellungsgeschehen herankommt und diese auch gleich vermessen darf. Doch nachdem ich unser Vorhaben erklärt habe, wurden wir stets ohne zu zögern eingeladen. Im Bröhan-Museum hat uns der Direktor Tobias Hoffmann mit seiner zuständigen Kollegin Sonja Jastram begrüßt und uns noch einige Fragen beantwortet. Außerdem hat er mir einen wertvollen Kontakt zu einem Sammler vermittelt, der viele Erfahrungen mit dem Design der Frankfurter Küchen hat. Ich konnte mich mit ihm intensiv austauschen und er hat mir angeboten, nach originalen Ersatzteilen für unser Objekt Ausschau zu halten. Obwohl mir das aus Zeitgründen etwas zu knapp war, fand ich den Vorschlag sehr zuvorkommend!
Vor der Restaurierung sah die Frankfurter Küche des Deutschen Historischen Museums vor allem farblich ganz anders aus. Wie sind Sie zu der jetzigen Farbe gekommen?
1997 ist es zu einer ersten Überarbeitung der einzelnen Elemente unserer Küche gekommen. Damals wurde extern versucht, der Küche eine neue Farbe zu verleihen. Leider wurden sämtliche aufliegenden Altfarbschichten entfernt. Aus heutiger Sicht ist das nicht wirklich zufriedenstellend gelaufen, besonders weil man den Flächen einen schnellen Acrylanstrich in sogenanntem „Flaschengrün“ verpasste. Das Original aber hatte einen Ölanstrich. Das ist ein großer Unterschied in der Wirkung der Farbgebung. Um den Unterschied des Auftrages erkennbar zu machen, hat Herr Wilhelm extra Probebretter mit den verschiedenen Farbaufträgen angefertigt. Frau Koschnik und ich waren uns schnell einig, dass wir uns dem Original unbedingt so weit wie möglich nähern müssen.
Im Depot fand ich zusätzlich noch alte zugehörige Profilleisten, an denen noch Farbreste zu finden waren. Hier hatte ich die Möglichkeit, mikroskopisch den Farbschichtaufbau zu untersuchen. Ich konnte insgesamt 6 Farbschichten feststellen, die ich mit einer Art Schnittplan dokumentiert habe. Nun kann man zwar von einer Profilleiste nicht auf alles andere schließen, doch in einer der untersten Schichten, gab es einen blaugrünen Farbton. Unsere Sammlungsleiterin kannte die Frankfurter Küche im heutigen ernst-may-haus der Ernst-May-Gesellschaft. Die dortige Küche hat einen ähnlichen blaugrünen Farbton. Doch natürlich wollten wir die genaue Farbe unseres Objekts ermitteln! Es folgten weitere Recherchen an den Objekten der anderen Museen, deren Originalfarben zwischen Elfenbein und Creme noch erkennbar oder zum Teil freigelegt sind.
Den ausschlaggebenden Punkt fanden mein Team und ich dann aber im Werkbundarchiv, als uns eine kleine Broschüre in die Hände fiel: „Die Frankfurter Küche. Eine museale Gebrauchsanweisung“[1]. Darin abgedruckt war ein „Übersichtsblatt mit nachgemischten Farbmustern nach originalem Befund an Frankfurter Küchen der Siedlung Römerstadt“[2] vom Archiv der Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege. Aufgeführt war auch die Hadrianstraße, aus der unsere Küche stammt! Nach intensiven weiteren Nachforschungen und Erkenntnissen, beispielsweise dass in der Siedlung straßenweise eine Farbe verwendet wurde, sowie Abgleichungen mit diversen Farbkatalogen, konnten wir den genauen Farbcode feststellen. Es handelte sich um die RAL Farbe 6004 (Blaugrün). RAL (Reichs-Ausschuß für Lieferbedingungen und Gütesicherung) wurde 1925 gegründet, um der Industrie technische Regelungen für die einheitliche Herstellung von Gütern zu vermitteln. Ab 1927 bestimmte RAL Farben konkrete RAL-Farbtöne, die mit eindeutigen Namen, Nummern und Mischverhältnissen festgelegt wurden. So garantierten RAL Farben eine präzise Herstellung des gewünschten Farbtons und das bis heute. Wie schon erwähnt, befand sich unter den vielen Farbschichten der alten Profilleisten dieser ähnlich blaugrüne Farbton. So führt die Ermittlung des Farbcodes tatsächlich zur Rekonstruktion einer Farbe in geeignetem und damals angewandten Bindemittel Öl, die es so vom Farbspektrum her auch um 1927/29 schon gegeben haben müsste. Bei solch einer Entdeckung war die Freude im Team natürlich groß! Auch Herr Wilhelm wusste endlich, mit welcher Farbe er arbeiten konnte. Umso schwieriger war es für ihn, auf die bestehende Acrylfarbe die neue Ölfarbe so aufzubringen, dass Struktur und Haptik des hölzernen Untergrundes und die alten Spuren der Verarbeitung sichtbar bleiben. Seiner Akribie und seiner Arbeitserfahrungen ist es zu verdanken, dass das Ergebnis der Ausführung so hervorragend geworden ist. Es ist aber auch schön zu sehen, wie viel Eindruck diese Farbe bei allen hinterlässt. Sie gefällt fast jedem und ist absolut zeitlos. Ich bin mir sicher, dass den Gestalter*innen die Zeitlosigkeit der Farbe durchaus bewusst war!
Und was werden Sie vom gesamten Prozess besonders in Erinnerung behalten?
Nie vergessen werde ich die intensive und echt tolle Teamarbeit. Die war für mich wirklich etwas ganz Besonderes. Dass sich alle gleich bereit erklärt haben, unermüdlich an der Frankfurter Küche zu arbeiten, war großartig. In kürzester Zeit sind so viele Dinge zusammengekommen: Wir haben zusammen an Lösungen gearbeitet, Entdeckungen gemacht, Ersatzteile gefunden, neue Elemente aufwändig hergestellt, sind mit interessanten Leuten in Kontakt gekommen, haben uns ausgetauscht und sind schrittweise zu einem überraschenden Ergebnis gekommen! Das hätte ich ohne mein Kolleg*innen nicht geschafft. Auf sie bin ich besonders stolz! Umso schöner war es auch, die Dankbarkeit des Projektteams und der Geschäftsleitung zu spüren! Die Anerkennung im gesamten Haus war sehr groß. Das fand ich bemerkenswert!
Abschließend fragen wir uns noch, was als nächstes ansteht! Woran arbeiten Sie zurzeit?
Neben den aktuellen Leihanfragen bereite ich unsere nächste Ausstellung „Die Armbrust – Schrecken und Schönheit“ vor, die am 20. September eröffnet wird. Die aufwändig gearbeiteten und teilweise über 600 Jahre alten Objekte stammen aus unserer Militaria-Sammlung und wurden schon mit langer Vorlaufzeit von mir restauratorisch betreut. Da auch ein Katalog für die Ausstellung veröffentlicht wird, mussten einige der schweren Waffen im Vorfeld bearbeitet werden, damit sie unbeschadet fotografiert werden konnten und künftig ausstellungsfähig sind. Viele weitere Waffen, die aus unterschiedlichen Materialien bestehen wie Holz, Knochen und Perlmutt müssen aber noch bearbeitet werden. Die Herausforderung für Restaurator*innen ist dabei immer, zu einem für das Objekt geeigneten Ergebnis zu gelangen, es weiter künftig zu erhalten und bei doch notwendigen Eingriffen nichts von dessen Patina und dessen Aura zu verlieren. Doch genau diese Herausforderungen und die Begegnungen mit den vielen faszinierenden Objekten – von der Armbrust bis zur Frankfurter Küche – machen meinen Beruf so spannend!
Verweise
[1] Die Frankfurter Küche. Eine museale Gebrauchsanweisung, hrsg. v. Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin und Renate Flagmeier, Berlin 2012.
[2] Ebd, S. 86f.