Dem Entdecker auf der (Duft-)Spur
Redaktion | 3. Dezember 2019
Seit 2014 setzt sich das Deutsche Historische Museum verstärkt für die Umsetzung eines barrierearmen Angebots in seinen Ausstellungen ein. So auch in der aktuellen großen Ausstellung „Wilhelm und Alexander von Humboldt“. Neben einem taktilen Bodenleitsystem, Videos in deutscher Gebärdensprache, Ausstellungstexten in Braille, kontrastreicher Großschrift und Leichter Sprache sind als eine der Inklusiven Kommunikationsstationen fünf Geruchsstationen erlebbar. Brigitte Vogel-Janotta, Fachbereichsleiterin Bildung und Vermittlung, erklärt am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, warum bei dieser Ausstellung zusätzlich olfaktorische Stationen als barrierefreie Elemente zum Einsatz kommen.
Brigitte Vogel-Janotta: Die Themenräume der Ausstellung „Wilhelm und Alexander von Humboldt“ sind zugänglich gestaltet. Es gibt unterfahrbare Vitrinen, einen taktilen Grundrissplan und ein Bodenleitsystem sowie Audiodeskriptionen in der Hörführung. Sieben interaktive und multisensorische Stationen, so genannte Inklusive Kommunikationsstationen (IKS), können von allen Besucher*innen genutzt werden und dienen gleichermaßen als Kurzrundgang durch die Ausstellung. Es ist dem Deutschen Historischen Museum wichtig, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe für alle durch unterschiedliche Medien und Wege zu ermöglichen.
Eine dieser IKS spricht den Geruchssinn an. Gemeinsam mit dem Duftatelier Urban Scents sind fünf olfaktorische Stationen entstanden, die mit der Idee Alexander von Humboldts korrespondieren, den Geruchssinn als empirisches Mittel zur Erkenntnis einzusetzen. Es war unser Ziel, Gerüche zu kreieren, die Humboldt in seinen Aufzeichnungen detailliert beschrieben hat – beispielsweise wie es unter Tage, am Rande eines Vulkans oder im Dschungel roch. Natürlich handelt es sich um Interpretationen der von Humboldt beschriebenen Sinneseindrücke, die bei allen Besucher*innen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen können.
Unsere Gerüche haben die Namen Eau admirable, Underworld, Tiere, Aire y volcan und Pulque erhalten. Pulque beispielsweise, der Geruch eines mexikanischen Getränks aus vergorenem Agavensaft, stellte Alexander von Humboldt vor ein Rätsel, das er gerne wissenschaftlich ergründet hätte. Und er hatte den richtigen Riecher: Anders als die meisten alkoholischen Getränke fermentiert Pulque nicht mit Hefepilzen, sondern, wie wir heute wissen, durch ein besonderes Bakterium. Dazu schrieb er:
Das Getränk gleicht […] dem Cider, und hat einen äußerst unangenehmen Geruch, wie von faulem Fleische. […] Über die wahre Ursache des Faulgeruchs des Pulque sind die Bewohner des Landes sehr geteilter Meinung. Gewöhnlich versichert man, dass dieser, den animalischen Stoffen analoge, Geruch von den Schläuchen herrühre, in welche man den frischen Agaven-Saft füllt. […] Ich […] muss es […] sehr bedauern, dass ich diesen merkwürdigen Punkt in der vegetabilischen Chemie nicht durch direkte Versuche aufklären konnte. Vielleicht kommt dieser Geruch auch von der Zersetzung eines vegetabilisch-animalischen Stoffes her, der dem, in dem Agaven-Saft enthaltenen, Gluten analog ist.
– Alexander von Humboldt, Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien, Tübingen 1813
Zusammenarbeit und Förderung
Für diese Geruchsstationen haben das Deutsche Historische Museum mit dem Duftatelier Urban Scents der Französin Marie Urban Le Febvre und ihrem aus Österreich stammenden Ehemann Alexander Urban zusammengearbeitet. Ihre Expertise liegt in der Kreation von Düften, sowohl von Parfums als auch von olfaktiven Beschreibungen. Schon immer galten Düfte als etwas Besonderes und Kostbares, auch heute sind besondere Düfte noch so selten und begehrt wie vor tausenden Jahren. Ihre Inhaltsstoffe sind rar, schwer zu finden und wertvoll. Die intensive Auseinandersetzung des Duftateliers mit den detaillierten Beschreibungen Alexander von Humboldts haben ein Geruchsergebnis und -erlebnis hervorgebracht, dass sich sehen (und riechen) lässt.
Die olfaktorischen Stationen wurden im Rahmen des Förderprojekts Verbund Inklusion umgesetzt. In diesem von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages geförderten Projekt (4. Dezember 2018 bis 2022) erarbeiten sieben Museen, begleitet beim Kick-Off vom Netzwerk Kultur und Inklusion e.V. sowie dem Bundesverband Museumspädagogik e.V. die notwendigen Veränderungen des Ressourcenmanagements und der Arbeitsprozesse in den Museen, um einerseits die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention voranzutreiben und andererseits die gesellschaftliche Teilhabe für alle Interessierte unabhängig von ihren körperlichen und kognitiven Voraussetzungen zu ermöglichen.
Entwickelt werden zukunftsweisende und übertragbare Ansätze beispielsweise im Hinblick auf Inklusion und Barrierefreiheit, für eine inklusive Gestaltung bestehender Ausstellungen beziehungsweise neuer Sammlungspräsentationen oder einer inklusiven Organisations- und Institutionsentwicklung. Dokumentiert und ausgewertet werden neben den einzelnen Projekten und Maßnahmen auch die erforderlichen zeitlichen, personellen und finanziellen Mittel. Nach Projektende können die Ergebnisse bundesweit von Museen und anderen Einrichtungen genutzt werden.
Die beteiligten Museen spiegeln die Vielfalt und die Gattungen der deutschen Kulturlandschaft wider. Sie sind in ihrer inhaltlichen Ausrichtung unterschiedlich, grenzen sich im Bildungsauftrag ab und wirken in verschiedenen Kulturregionen. Damit soll eine Austauschmöglichkeit von verschiedenen Museumsgattungen gewährleistet werden. Es finden sechs themenspezifische Verbundworkshops an wechselnden Orten (2019-2022) statt, und nach der Transferphase (2022) wird es eine Abschlussveranstaltung 2022 geben.
Die einzelnen Maßnahmen sind strukturell wie inhaltlich individuell am jeweiligen Haus, seinen Erfordernissen oder Sammlungen ausgerichtet und ermöglichen damit in ihrer Synopse unter der gemeinsamen Fragestellung der Inklusion eine umfassende Entwicklung und Auswertung hinsichtlich Prozessen und Parametern eines inklusiven Wandels von Institutionen. Gemeinsam sollen auf diese Weise zukunftsweisende und übertragbare Ansätze sowie die notwendigen Ressourcen für inklusive Planungen an Museen allgemein erarbeitet und Transfereffekte ermöglicht und verankert werden.
Die fünf olfaktorischen Stationen der Ausstellung „Wilhelm und Alexander von Humboldt“ sind noch bis 19. April 2020 riech- und erlebbar.