Glückauf! Glückauf!
Sabine Witt | 19. Mai 2020
Am 21. Dezember 2018 endete in Deutschland die rund 200 Jahre zurückreichende Tradition der Steinkohleförderung. Im Sommer 2018 konnte Sammlungsleiterin Dr. Sabine Witt noch einmal bei einer Grubenfahrt die Arbeit unter Tage kennenlernen. Anlässlich der Schenkung mehrerer Objekte aus der Zeche Prosper-Haniel seitens des Betreibers, der RAG Aktiengesellschaft, berichtet sie von ihrer Grubenfahrt, den Arbeitsabläufen im Bergbau und den Objekten, die sich jetzt in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums befinden.
„Glückauf!“ ist im Museumsalltag, jedenfalls in Berlin, ein eher ungewöhnlicher Gruß. Nicht jedoch in Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet. Dort ging im Dezember 2018 mehr als eine Wirtschaftsära zu Ende: Mit der Schließung der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop endete die Steinkohlenförderung in Deutschland. Kürzlich hat das Deutsche Historische Museum vom Betreiber, der RAG Aktiengesellschaft, mehrere Objekte aus Prosper-Haniel als Schenkung für die Museumssammlung erhalten. Dazu zählen neben technischen Gerätschaften und Schutzausrüstung auch Plakate zur Arbeitssicherheit, Bergmannskleidung, Warn- und Hinweisschilder sowie weitere Gegenstände.
Von der Zeche ins Museum
Bei dem Festakt zur Schließung am 21. Dezember 2018 wurde an die jahrhundertelange Geschichte der Steinkohleförderung, die besondere Tradition, Solidarität und Verantwortung der Bergarbeiter erinnert. Von sichtlich bewegten Kumpels der letzten Schicht im Schacht erhielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das letzte zu Tage geförderte Stück Steinkohle überreicht. Etwas kleiner sind die Stücke, die Sabine Witt, Sammlungsleiterin für Alltagskultur im DHM, aus der Zeche Prosper-Haniel mitbrachte. Gemeinsam mit Abteilungsdirektor Fritz Backhaus hatte sie im Sommer 2018 Gelegenheit, bei einer Grubenfahrt die Arbeit unter Tage kennenzulernen.
Heiß ist es dort drunten, rund 1.200 Meter näher am Erdmittelpunkt, dunkel sowieso. Wie tief das ist, darüber denkt man besser nicht nach. Man vergisst es auch ziemlich schnell auf der rasanten Fahrt dorthin. Zunächst geht es mit einem Aufzug hinab, dann knapp eine halbe Stunde in einer sanft schaukelnden Personengondel zum Streb, also dorthin, wo die Kohle abgebaut wird. Aufgrund des unebenen Bodenniveaus ist die Einschienenbahn, die von einer Dieselkatze betrieben wird, als Hängebahn konstruiert, die Schienen verlaufen entlang der Schachtdecke, genannt First. Eine der gut fünf Meter langen Gondeln befindet sich nun in der Sammlung Alltagskultur des DHM.
Bergleute benutzten allerdings vorzugsweise die deutlich schnelleren Förderbänder, mit denen auch die Kohle unter Tage transportiert wurde, um an ihre teils mehrere Kilometer entfernten Arbeitsstätten zu gelangen. Den Material- und Kohletransport hatten noch bis Mitte der 1960er Jahre Grubenpferde mit schultern müssen.
Arbeitswelt zwischen Anpacken und Hightech
Die Arbeitsabläufe und Technik im Bergbau veränderten sich über die Jahrzehnte enorm. Davon zeugen auch die jetzt in die Sammlungen des DHM gelangten Objekte: War der Streb, also der Abbaubereich in dem die Kohle abgebaut wurde, früher mit Holzpfählen abgestützt, so sicherten später per Fernsteuerung elektrisch-hydraulisch betriebene Stahlschilde (Schildausbau) die Strebdecken, auf denen die Last von mehreren hunderten, bisweilen über tausend Meter Gebirge ruhte. Einen der vergleichsweise zierlichen Stempel eines solchen C-Schildes besitzt jetzt das DHM. Zu den imposantesten Neuerwerbungen aber zählt der Querschneidkopf einer Teilschnittmaschine, mit der bis zum 14. September 2018 in der Zeche Prosper-Haniel in rund 1.200 Meter Tiefe Kohle abgebaut wurde.
An das oberirdische Zechen-Arbeitsleben erinnern mehrere Gitterkörbe aus der Kaue, dem Wasch- und Umkleidebereich. In diesen Körben bewahrten die Bergleute ihre Straßen- bzw. Arbeitskleidung auf. An Ketten konnten die Körbe platzsparend an die Decke gezogen werden, zugleich waren die persönlichen Gegenstände so vor Zugriff gesichert.
Von den ganz spezifischen Bedingungen in dieser gleichermaßen archaischen wie hochtechnisierten Arbeits- und Männerwelt unter Tage, von den überlebenswichtigen Ge- und Verboten und Warnhinweisen für die Beschäftigten geben auch mehrere Schilder und Plakate aus der aktuellen Kampagne zur Arbeitssicherheit Zeugnis.
Solidarität sowie Verantwortungsbewusstsein für sich und andere waren unverzichtbar, um Arbeitsunfälle zu vermeiden und Risiken durch die tief in der Erde herrschenden Naturgewalten zu begegnen. Und schließlich vertraute man auch auf Hilfe von höherer Stelle: Ein Bildnis der Heiligen Barbara, Schutzheilige der Bergleute, war in (fast) jeder Zeche präsent. Eine hölzerne Barbarafigur wacht nun auch im DHM.
Der Steinkohlenbergbau und die damit verbundenen Industrien waren sowohl Triebfeder für die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als auch der treibende Motor für das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere im Ruhrgebiet – seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die größte Montanregion Europas –, aber ebenso im Saarland und den Kohlerevieren im Rheinland (Aachen) spielte die Montanindustrie, also die Kohle- und Erzförderung und Stahlproduktion, die prägende Rolle für den wirtschaftlichen Aufschwung. Politisch und ökonomisch begründete die internationale Zusammenarbeit dieser Industrien den Zusammenschluss in Europa: Aus der 1952 gegründeten Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ging zunächst die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), schließlich die Europäische Union (EU) hervor.