Bilder einer trügerischen Idylle
Carola Jüllig | 23. März 2021
Seit mehr als einem Jahr prägt die Corona-Pandemie den Alltag der Menschen. Der erste Lockdown in Deutschland begann Mitte März vergangenen Jahres, inzwischen sucht die Politik nach Wegen aus dem zweiten Lockdown. Die Einschnitte der Corona-Pandemie haben ihre Spuren hinterlassen. In unserer Serie geben fünf Sammlungsleiter*innen Einblicke, wie die Corona-Pandemie Einzug in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums gehalten hat. Carola Jüllig, Leiterin der Fotosammlung und des Bildarchivs, schildert, dass vor allem eins auffällt: In den Bildern fehlen die Menschen.
Die tiefen Veränderungen, die die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen – auf unsere Gesellschaft haben würden, war offenbar vielen Menschen sehr schnell klar. Dass in einer Wohlstandsgesellschaft plötzlich in Supermärkten leergekaufte Regale zu finden waren, gehörte sicher zu den einschneidendsten Erfahrungen – das Thema beherrschte die tägliche Berichterstattung. Folgerichtig erhielten wir als erstes „Corona-Motiv“ ein eindrucksvolles Foto dieser neuen und ungewohnten Situation. Es folgte ein Foto zum Thema „Toilettenpapier“, auch dies ein „Aufreger“ im Frühjahr 2020. Mehr als einhundert Fotografien zum Thema „Corona“ erhielten wir als Schenkung– von Menschen, die als aufmerksame Beobachter*innen im Bild festhielten, was uns im Negativen wie im Positiven bewegte.
Neben der plötzlich auftretenden „Hamster“-Mentalität wurden weitere Motive bildwürdig: Ein Land, eine Stadt im Stillstand und das wortwörtlich. Die tägliche Hektik, gerade für Berlin kennzeichnend, wich einer oft beklemmenden Ruhe, die nicht nur das öffentliche Leben, sondern auch die private Lebensplanung vieler Menschen traf. Es boten sich aber auch Gelegenheiten, die sonst so quirlige und oft stressige Stadt neu und anders zu erleben. Und auch der berühmt-berüchtigte Berliner Humor fand Niederschlag während der Pandemie.
Doch nicht nur Fotografien aus Berlin kamen in die Sammlung: Während einer Radreise entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze im Mai und Juni 2020 sammelte ein Hobbyfotograf unterschiedlichste Motive zum Umgang mit Corona und den Maßnahmen. Seine Bilder sind menschenleer – ein Motiv, das auch in den anderen Aufnahmen vorherrscht: Menschen sind nicht zu sehen – wer konnte, folgte der Aufforderung „Wir bleiben zuhause“.
Neben den Schenkungen aus der Bevölkerung erstellten auch die Fotograf*innen des Deutschen Historischen Museums ausführliche Bilderstrecken mit ganz unterschiedlichen Motiven. Auch hier sind keine Menschen zu sehen.
Auch ein stärker künstlerisch ausgerichtetes Fotoprojekt fand als Ankauf den Weg in die Sammlung. Die Berliner Fotografin Dagmar Gester schuf mit ihrer Serie „It’s your climate too – Nachbilder einer Pandemie“ eindrucksvolle Motive. Sie konzentrierte sich ganz auf eines der allgegenwärtigen Objekte im ersten Lockdown: Das weiß-rote Absperrband. Es zog sich quasi durch ganz Berlin und machte die Einschränkungen des öffentlichen Lebens überdeutlich. In einem ungewöhnlich sonnigen und warmen Frühjahr erschien Berlin plötzlich wie reingewaschen, ein strahlend blauer Himmel ganz ohne Flugzeuge wölbte sich über menschenleere Parks und Spielplätze. So entstanden Bilder einer trügerischen Idylle.