Die Pandemie in Plakaten
Andrea von Hegel | 25. März 2021
Seit mehr als einem Jahr prägt die Corona-Pandemie den Alltag der Menschen. Der erste Lockdown in Deutschland begann Mitte März vergangenen Jahres, inzwischen sucht die Politik nach Wegen aus dem zweiten Lockdown. Die Einschnitte der Corona-Pandemie haben ihre Spuren hinterlassen. In unserer Serie geben fünf Sammlungsleiter*innen Einblicke, wie die Corona-Pandemie Einzug in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums gehalten hat. Andrea von Hegel, Leiterin der Plakatsammlung, wirft einen ersten resümierenden Blick auf Plakate, die die umfassende Umstellung im täglichen Verhalten und Miteinander dokumentieren und im öffentlichem Raum sichtbar waren.
Im März 2020 stieg auch in Deutschland die Zahl der mit dem Virus SARS COV 19 Infizierten und daran Verstorbenen dramatisch an, die Krankenhäuser waren überfordert mit der durch dieses neuartige Virus entstandenen pandemischen Situation. Am 22. März 2020 beschloss die Bundesregierung ein weitreichendes Kontaktverbot, mit dem das öffentliche Leben nahezu lahmgelegt wurde.
Wenige Tage später waren im öffentlichen Raum erste Plakate zu sehen, die mit lockeren Sprüchen und Wortspielen einer seuchenentwöhnten Gesellschaft die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen und der Einhaltung von Verhaltensregeln zum Schutz vor Corona – Distanz, Hygiene, Mundschutz – kommunizierten. Herausgeber waren Wirtschaftsunternehmen, die auf diese völlig neuartige, ungewöhnliche Situation reagierten und sich, auch im eigenen Interesse, im Kampf gegen das abstrakt scheinende Corona-Virus mit Medien-Kampagnen gesellschaftspolitisch engagierten. Im Verlauf des Frühjahrs 2020 fanden die Auswirkungen der Kontakt- und Veranstaltungsverbote Widerhall in Plakaten u.a. von Hilfsorganisationen, von Kommunen, von Veranstaltern.
Ein erster resümierender Blick auf einige Plakate aus dieser ersten Phase der Corona-Kontaktsperre, die dem Deutschen Historischen Museum von den Herausgeber*innen für seine Sammlung schenkungsweise überlassen wurden, ruft in Erinnerung, welcher umfassenden Umstellung im täglichen Verhalten und im Miteinander es bedurfte, um mit der Corona-Krise fertigzuwerden. Sie spiegeln die Herausforderungen im Umgang mit der Pandemie, mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und persönlichen Problemen, die im Verlauf der durch die Corona-Kontaktsperre bedingten Isolation auftraten oder sich verstärkten.
„Bring Corona nicht zur Oma“ lautet einer der ersten Titel der von der apothekereigenen Unternehmensgruppe NOVENTI lancierten „Initiative gegen Corona“. Einer auf körperliche Nähe gestimmten Gesellschaft musste die Dringlichkeit und Sinnhaftigkeit der verordneten Maßnahmen zunächst nahegebracht werden. Vor ein stilisiertes Virus platzierte Appelle wie „Bleib zu Haus. Schick Liebe raus“, „Zusammenhalten. Abstand halten.“, „Diese Werbung kann Leben retten“ oder „Share nicht das Virus. Schere deine Maske“ warben für die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln, für soziale Nähe trotz räumlicher und körperlicher Distanz, das Tragen eines Mundschutzes, Rücksichtnahme auf Alte und Menschen aus Risikogruppen. Der auffordernd-optimistische Tonfall dieser Plakatserie sollte Mut machen und signalisieren, dass Verzicht und Corona-korrektes Verhalten letztendlich zur erfolgreichen Bekämpfung des Virus führt.
Die von fischerAppelt veröffentlichten Motive der Solidaritätskampagne „Alle für Alle – Deutschland gegen Corona“ mit vergleichbaren Botschaften waren zunächst als bewegliche, digitale Anzeigen im Plakatformat zu sehen und wurden später als Print hergestellt. Die Plakate illustrieren die von den Virologen und der Politik empfohlenen Verhaltensweisen. Der Spruch „Genug ist genug“ übte Kritik an den bereits kurz vor dem ersten Lockdown einsetzenden Hamsterkäufen, vor allem von Toilettenpapier.
„Seid die Bringer“ appelliert mit der jugendsprachlichen Bedeutung von „bringen“ – nützlich sein, erfolgreich sein – an die Hilfsbereitschaft vor allem junger Menschen. Zugleich wird suggeriert , dass solidarisches Verhalten die Corona-Krise besiegen kann.
Vorreiter bei der Einführung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung war auf kommunaler Ebene die Stadt Jena. Gestaltet in der Art von Straßenverkehrsschildern mit Text und Piktogrammen bekommen diese Plakate den Charakter einer Rechtsverordnung, die für die Bevölkerung verbindlich einzuhaltende Regeln aufstellt. Die Plakate der Kampagnen „Coronavirus – Wir bleiben solidarisch“ und der „Jenaer Bündelstrategie gegen Corona“ führen konkret und detailliert die Bandbreite an Verhaltensregeln und Einschränkungen vor Augen. Sie dokumentieren zudem die Anstrengungen und die Verantwortung, vor die Gemeinwesen und Stadtverwaltung gestellt wurden, um die Bevölkerung vor Corona zu schützen und durch die Krise zu lotsen.
Unter dem Motto „As soon as possible“ – ASAP – hätte vom 6. bis 8. Mai 2020 die Digitalkonferenz re:publica in Berlin stattfinden sollen. Veranstaltungen in der Größenordnung der re:publica mit Tausenden von Besuchern durften zu diesem Zeitpunkt nicht durchgeführt werden. Die Organisatoren der re:publica verlegten daraufhin die Konferenz komplett ins Internet und diskutierten mit den Teilnehmer*innen auf der neu entwickelten Online-Plattform www.re-publica.tv. Auf diese Änderung wies das kleine lila Plakat „Republica im digitalen Exil!“ aufgeklebt auf das farbkräftige, weithin leuchtende, großformatige Plakat ASAP, hin.
Wochenlanges Zuhause-Bleiben – unter Umständen auf engem Raum –, Arbeitslosigkeit, Angst vor wirtschaftlicher Not und der Zukunft, erzwungene Isolation, fehlende Kontakte verstärkten Aggressionen, Depressionen und Suizidgedanken.
Die Kampagne des WEISSEN RING „Schweigen macht schutzlos, mach Dich laut“ thematisierte die Zunahme der häuslichen Gewalt gegenüber Frauen in der Corona-Krise. Prominente Frauen stellten sich pro bono für die Kampagne zur Verfügung, um auf diese Gefahr öffentlich hinzuweisen und betroffene Frauen zu ermutigen, sich Hilfe zu suchen. Der WEISSE RING, seit 1976 in der Opferhilfe tätig, wollte den Schutz vor Corona mit dem Opferschutz verbinden. Die Masken wurden von Insassen einer Justizvollzugsanstalt im Rahmen eines Rehabilitationsprogramms hergestellt.
Viele Jugendliche leiden in der Corona-Krise besonders stark unter Kontaktverlust, Isolation, Perspektivlosigkeit und unter häuslicher Gewalt und Kindesmissbrauch. Das Motiv des jungen Menschen im Kapuzenpulli mit Handy, bedroht von dem Schatten eines Erwachsenen mit geballter Faust, veranschaulicht diese Bedrängnis. Die Plattform Krisenchat.de wurde zu Beginn der Corona-Pandemie von jungen Menschen für Kinder und Jugendliche unter 25 Jahren gegründet, um kostenlos psychosoziale Ersthilfe zu ermöglichen. Die professionellen, ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter*innen von Krisenchat.de sind sieben Tage die Woche 24 Stunden für hilfesuchende junge Menschen erreichbar. Die Nachfrage nach Krisenchats ist bedenklich hoch.