Report from Exile

Ayham Majid Agha | 12. Mai 2021

Wie oft am Tag erinnern wir uns, dass wir im Exil sind?

Wir zählen es nicht, weil wir es immer an unseren grauen Haaren und Falten sehen, wann immer wir uns auf einem Bild oder in einem Spiegel erblicken.

Auf Steins Fotos wird das Exil nicht an einem bestimmten Ort oder im Abstand anderer Länder sichtbar, vielmehr in den Gesichtern, Herzen und Körpern einer Person, die auf Nachrichten wartet, was aus ihrer Heimat geworden ist.

In der Ausstellung „Report from Exile“ stellte sich mir die Frage: Welches war härter, das Pariser oder das amerikanische Exil?

Die Porträts aus Paris erinnerten mich an unsere Gesichter bei den ersten Aufenthalten in unserem syrischen Exil in der Nähe unserer Landesgrenze. Gesichter, die noch von Angst und Panik gezeichnet sind. Es versetzte uns in Schrecken, wenn uns jemand anstarrte. Wir konnten uns damals gar nicht mehr daran erinnern, dass es eine Art der Kommunikation ist, einen anderen Menschen anzusehen. Wir konnten uns nur langsam zurechtfinden, weil wir im Herzen wussten, dass Damaskus kaum eine Stunde entfernt war. Die meisten von uns sind in einem Jahr um zehn Jahre gealtert.

Hatten die Personen in Steins Portraits diese Angst, dass ihnen noch Gefahr drohte, und hofften sie auf Rückkehr, vielleicht schon morgen?

Sich an den Grenzen des eigenen Heimatlandes im Exil zu befinden, macht das Herz schwer und gibt einem seltsamerweise ein Gefühl der Sicherheit – und das Gegenteil.

Brecht in Paris im Jahre 1935 sieht älter aus als Brecht in New York im Jahre 1943. Dasselbe gilt für Anna Seghers und Alfred Kantorowicz; ihre Augen waren wie offene Fenster in die Geschichte, die ihre Tage erdrückte und ihre Seelen verwundete.

Trennen Entfernungen auch unsere Gefühle ab – nicht nur unsere Körper?

Werden die Nachrichten aus der Heimat dadurch weniger schmerzhaft und erdrückend?

Exil wird durch all diese Menschen, ihre Geschichten, Tagebücher, Verluste und Schicksale umfasst.

Fred Steins Fotos beleuchten die Verbindung der Porträtierten zu ihrer Heimat und folgen ihnen dorthin. Er verbindet die Worte dafür, was es bedeutet, im Exil zu sein, nicht durch einen Faden, sondern durch die einzigartigen Details, die in jedem Bild kunstvoll verwoben sind. Dadurch wird eine leere Seite aufgeschlagen, groß wie die Erde, die dich auffordert, sie mit Schriften, Zeichnungen und Bildern deines eigenen Landes zu füllen.

Ich tappe nicht in die Falle eines Vergleichs, jedenfalls hoffe ich das sehr, sondern versuche eher, die Mechanismen des Schreibens und Dokumentierens während und nach diesen erzwungenen Erlebnissen zu verstehen.

Die Arbeit mit und in dem Deutschen Historischen Museum bietet eine Möglichkeit, verschiedene Mechanismen der künstlerischen Dokumentation und Erzählung zu untersuchen und Ereignisse und ihre Narrative in den Blick zu nehmen in der Hoffnung, sie eines Tages auf unser Exil als historisches Ereignis anwenden zu können.


© Privat

Ayham Majid Agha

Ayham Majid Agha ist Schauspieler, Autor und Regisseur. Er wurde in Syrien geboren und absolvierte das Higher Institute of Dramatic Arts in Damaskus, wo er von 2006 bis 2012 als Juniorprofessor tätig war. Er war Mitbegründer und Mitglied des Theatre Studio, das interaktive Theaterprojekte in syrischen Dörfern durchführte. Er hatte zahlreiche Engagements an Theatern in Damaskus, Manchester, Amman, Beirut, Kairo, Seoul, Paris, Lyon, München und Hannover. Er lebt seit 2013 in Deutschland und arbeitete am Maxim Gorki Theater in Berlin, zuletzt als Senior Director und Mitbegründer des Exil Ensembles. Sein Stück „Skelett eines Elefanten in der Wüste“ wurde 2018 beim Festival Radikal Jung mit dem Young Theatre Critics Award ausgezeichnet.