Mit der U-Bahn ins Museum
Sabine Witt | 9. Juli 2021
Mit der Eröffnung des U-Bahnhofes Museumsinsel der Linie U 5 wird der Weg zur Kunst und Kultur in der Mitte Berlins denkbar kurz. Der nördliche Bahnhofszugang liegt direkt am Zeughaus des DHM. Anhand von Objekten aus unseren Sammlungen wirft Sabine Witt, Leiterin der Sammlung Alltagskultur, einen Blick auf die wechselvolle Geschichte des Berliner U-Bahnnetzes unter und über dem Asphalt.
Die U 5 verbindet den Berliner Haupt- und Fernbahnhof nahe dem Regierungsviertel mit dem Verkehrsknotenpunkt Alexanderplatz und den östlichen Stadtteilen. Sie steht einerseits in einer gewissen Tradition der Berliner Verkehrsgeschichte und ist doch auch ein Novum: Vor 125 Jahren, im Herbst 1896, erfolgte der Spatenstich für die Berliner Hoch- und Untergrundbahn, und nach sechsjähriger Bauzeit rollten 1902 die ersten Züge über die sogenannte „Stammstrecke“ (heute U 1). Damit war der Grundstein für ein Verkehrsnetz gelegt, um die seit 1882 bestehende Stadt- und Ringbahn mit den am Rande des Stadtzentrums liegenden Kopf- und Fernbahnhöfen zu verbinden.
Mobilität für die junge Metropole
Mit einem rasanten Bevölkerungswachstum war Berlin im Kaiserreich zu einer Metropole geworden und zählte um 1900 rund 1,8 Mio. Einwohner*innen. Der von Werner von Siemens entwickelte Elektromotor ermöglichte seit 1879 den Bau elektrischer Lokomotiven und damit den Aufbau eines effizienten Transportsystems, das den öffentlichen Nahverkehr der Großstadt bewältigen konnte.
Von der Hoch- zur Untergrundbahn
Die Stammstrecke führte als Hochbahnstrecke von der Stadtbahn-Haltestelle Warschauer Straße über die Oberbaumbrücke, das Schlesische Tor und den Görlitzer Bahnhof, das Kottbusser und Hallesche Tor passierend Richtung Westen zum Nollendorfplatz. Die Verhandlungen mit der damals selbständigen Stadt Charlottenburg über den weiteren Streckenverlauf zur Stadtbahn-Haltestelle Zoologischer Garten und darüber hinaus gestalteten sich schwieriger: Charlottenburg hatte aus städtebaulichen Gründen eine oberirdische Bahn auf Viadukten abgelehnt, so dass die Strecke ab dem Nollendorfplatz abgesenkt und als Untergrundbahn realisiert werden musste. Die Berliner Gegenargumente von damals sind die bautechnischen Herausforderungen von heute: ein hoher Grundwasserspiegel, ein schwieriger Baugrund, Schwimmsand sowie eine gewisse Konkurrenz der städtischen Infrastruktur um den Platz im Untergrund, erst kurz zuvor war das Berliner Kanalisationsnetz fertiggestellt worden.
Die Bautechnik freilich hat sich über die Jahrzehnte geändert. Die Stammstrecke war 11,2 km lang, kostete 25 Mio. Reichsmark und wurde in zwei Etappen eröffnet. Es folgten weitere, von den – bis zur Bildung Groß-Berlins im Jahre 1920 – eigenständigen Städten und Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf oder eben Charlottenburg entwickelte Linien. Mit der 1908 eröffneten „Innenstadtlinie“ (heute U 2) wurde das alte Stadtzentrum besser erschlossen. Sie schlängelte sich unterirdisch, aufgrund der Spree und Fischerinsel durch teils schwieriges Terrain vom Potsdamer Bahnhof am Leipziger Platz zum Spittelmarkt, bis 1913 erfolgte der Anschluss an den Alexanderplatz. Die heute geläufige Nummerierung erfolgte übrigens erst seit 1966. Seit Ende der 1920er Jahre wurden die Linien mit Buchstaben bezeichnet. Die 1930 eröffnete Strecke zwischen Alexanderplatz und Friedrichsfelde, heute Teil der U 5, war damals als Linie E bekannt.
Nicht vor des Kaisers Haustür
Ein „weißer Fleck“ auf der Berliner Verkehrskarte aber blieb die zentrale Straßenachse Unter den Linden. Zwar verkehrten dort Omnibusse, darunter laut alten Fahrplänen die Buslinie 1. Als einzige Nord-Süd-Verbindung durfte seit 1894 eine Pferdestraßenbahn die Linden kreuzen. Sie führte von der Straße Hinter der katholischen Kirche – also östlich der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und der Oper – hinüber zum „Kastanienwäldchen“ an der Neuen Wache. Straßenbahnen mit elektrischen Oberleitungen aber lehnte Kaiser Wilhelm II. als dem repräsentativen Charakter des Prachtboulevards unangemessen ab. Nichts sollte die Blickbeziehungen zwischen den historischen Bauten Unter den Linden – dem Zeughaus, der Oper oder dem Berliner Dom – und dem Stadtschloss stören. Dass die westliche Schlossfassade selbst hinter einer Reihe älterer Bauten an der sogenannten „Schlossfreiheit“ verdeckt war, missfiel Wilhelm II. nicht minder. 1894 wurden sie abgerissen und an ihrer Stelle das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal errichtet. Künftig soll dort das Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen.
Erst 1916 wurde an der oben benannten Stelle der Lindentunnel angelegt, der sich im südlichen Teil verzweigte und durch den mehrere elektrische Straßenbahnlinien fuhren. Mit 123 bzw. 187 Meter Länge fiel er eher kurz aus, und entspricht in etwa dem neuen U-Bahnhof Museumsinsel. Als 1923 die unterirdische Nordsüdbahn (heute U 6) ihren Betrieb aufnahm, wurde die Straßenbahnverbindung zunehmend obsolet und im gleichen Jahr teilweise, schließlich 1951 endgültig aufgegeben.
Bahnhofsarchitektur auf höchstem Niveau
Die Museumsinsel bildete mit dem von Karl Friedrich Schinkel entworfenen und 1825 eröffneten (Alten) Museum das kulturelle Zentrum der Stadt, das bis 1930 um vier weitere Museumsbauten erweitert wurde. Erreichbar war sie vom Bahnhof Börse (ab 1951 Marx-Engels-Platz, seit 1992 Hackescher Markt) jenseits der Spree. Mit dem Bahnhof Museumsinsel erhalten die Kunst- und Kulturtempel Berlins erstmals einen unmittelbaren Anschluss an das ÖPNV-Netz. Den hatte sich gut 90 Jahre zuvor ein Konsumtempel gleich gesichert: Das 1929 eröffnete Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz besaß einen direkten, unterirdischen Zugang zum U-Bahnhof. Dessen Architekt Alfred Grenander prägte seit 1902 und wie kein zweiter die Bauten der Berliner Hoch- und Untergrundbahn. Die Mehrzahl der Bahnhöfe, für die er eine jeweils individuelle Gestaltung und Kennfarbe entwickelte, geht auf Grenander zurück, auch der 1927-1930 zum Knotenpunkt dreier Linien ausgebaute Bahnhof Alexanderplatz.
Als dezente Reminiszenz an die Berliner Architektur- und Kunstgeschichte präsentiert sich nun auch der Bahnhof Museumsinsel. Bewusst nimmt dessen Architekt Max Dudler Bezug auf die Historie des Ortes: Die gewölbten Gleisdecken mit ihrer tiefblauen Farbigkeit und 6.662 Lichtpunkten greifen den Sternenhimmel aus Karl Friedrich Schinkels historischem Bühnenbild zu Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ auf. Nur, dass statt der berühmten Koloraturarie der Königin der Nacht hier im 5-Minutentakt das nicht minder markante Warnsignal der sich schließenden U-Bahn-Waggontüren ertönt.