Der Abbau des „Gläsernen Mannes“
Claartje van Haaften | 14. September 2021
Claartje van Haaften ist Kunststoffrestauratorin am Deutschen Historischen Museum. Sie betreut den Abbau des „Gläsernen Mannes“, eine Figur, die so fragil ist wie sie sich anhört, die jedoch trotz der Namensgebung nicht aus Glas besteht. Wir berichten über den Umgang mit diesem schwierigen Objekt und dessen Abbau.
Mit Beginn meiner Tätigkeit als Restauratorin für die Betreuung und langfristige Erhaltung aller Sammlungsobjekte aus Kunststoff im Oktober 2020, wurde dieser Materialgruppe und den besonderen Objekten und Gegenständen die aus synthetisch hergestellten Werkstoffen angefertigt sind, im DHM ein eigener Fachbereich, zusätzlich zu den Fachbereichen Holz, Buch, Plakat, Papier, Glas und Keramik, Textil, Metall und Gemälde, zugeordnet. Eine Aufgabe der Restaurator*innen ist, wissenschaftlich begründete, tragfähige Konservierungs- und Restaurierungskonzepte für die Objekte der Sammlung zu entwickeln und diese z.T. auch gemeinsam mit Sammlungskurator*innen, hauseigenen Techniker*innen und weiteren Kolleg*innen umzusetzen.
Im Fall des Gläsernen Mannes, einer Ausstellungsikone des Hauses, konnte ich mich auf die Erfahrungswerte eines Projektes beziehen, das in einem Forschungskolleg des Deutschen Hygiene-Museum in Dresden (DHMD) 2016 bis 2020 durchgeführt wurde und damit hochaktuell ist. Das Forschungsteam untersuchte 2017 auch den seit 2006 in der Dauerausstellung des DHM ausgestellten Gläsernen Mann. Die gläsernen Figuren zeigen exemplarisch Skelett, innere Organe und Blutgefäße. Durch den transparenten Kunststoff Cellon (chemischer Name: Cellulose Acetat), der die Haut darstellt, wird das Innere der Figuren sichtbar. Damit erhalten die Betrachtenden einen dreidimensionalen Einblick in den Körper. Im DHM war die Figur auch auf dem ursprünglichen Holzpodest und dem Sockel aus dem Jahr 1935 präsentiert. Die Elektrik für die Beleuchtung der Organe, die später zum Teil allerdings erneuert wurde, war nicht angeschlossen.
Bei unserem Gläsernen Mann handelt es sich um die dritte Figur aus der Produktion der Modellbauwerkstatt von Franz Tschakert im Deutschen Hygiene-Museum. Ein Prototyp wurde bereits 1927 entwickelt. Die zweite Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden, 1930-31, war Anlass, den Gläsernen Mann zum ersten Mal der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Buffalo Museum of Science in den USA hat danach, 1933, eine Sonderanfertigung der Figur in Auftrag gegeben – in diesem Fall interessanterweise ohne Geschlechtsorgan. Sie kam 1989 nach Deutschland in die Sammlung des DHM. Eine Gläserne Frau aus demselben Herstellungszeitraum wurde dem DHM bereits 1988 aus dem Bestand des Museum of Science and Natural History of St. Louis geschenkt. Diese Figur ist aktuell als Dauerleihgabe im Deutschen Hygienemuseum in Dresden ausgestellt. Im Rahmen des Forschungsprojektes am DHMD wurden mehrere Figuren vergleichend untersucht und deren Zustand dokumentiert. Es umfasst zwei gläserne Männer von 1935 und 1962, eine gläserne Kuh von 1983 und den Torso einer gläsernen Schwangeren von 1985. Zusätzlich wurden die Entstehungsgeschichte und die Herstellungsmethode erforscht. In dem uns vorliegenden Bericht heißt es: „Für die Gläserne Frau und den Gläsernen Mann des Deutschen Historischen Museums Berlin ergibt sich jedoch zusammen mit dem Gläsernen Mann von 1935 des Deutschen Hygiene-Museums die einmalige Chance, gleich drei Figuren aus demselben Herstellungszeitraum untersuchen zu können. Zusätzlich zur Vergleichbarkeit über die Jahrzehnte, führt dies dazu, dass vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Objektgeschichte, Alterungsphänomene beinahe gleichaltriger Gläserner Figuren miteinander verglichen und Rückschlüsse auf deren Mechanismen gezogen werden können.“ Diese Erkenntnisse wiederum, tragen zur Entwicklung von Behandlungsmethoden und präventiven Maßnahmen für den Bestandserhalt, die sogenannte aktive und passive Konservierung, bei.
Eine besondere Rolle wurde dabei dem Kunststoff der transparenten Außenhaut zugeschrieben, Cellulose Acetat. Es zeichnet sich zunächst durch seine hervorragende Verarbeitbarkeit, Biegsamkeit und Transparenz aus. Seine Alterung ist jedoch mit negativen Prozessen verbunden. Eingebrachte Additive wandern aus dem Material heraus und lassen es schrumpfen und verspröden. Als Reaktionsprodukt tritt Essigsäure aus, die in einer Kettenreaktion wiederum weitere Schäden induziert. Schließlich tritt eine Verfärbung auf und es entstehen durch die Verformungen Risse und Sprünge im Kunststoff.
Trotz der Stabilisierungen durch frühere konservatorische Eingriffe bleiben diese Sammlungsobjekte äußerst fragil und die Abbauprozesse der Werkstoffe sind nur zu bremsen. Eine Verlangsamung des Zerfalls der verwendeten Materialien ist mit optimalen Ausstellungsbedingungen aber durchaus erreichbar. Hierzu zählen klimatisierte und belüftete Vitrinen, niedrige Beleuchtungswerte, das Vermeiden von Transporten und ein Schutz vor Berührungen. Bei dem nun unvermeidbaren Transport des Gläsernen Mannes aus dem Zeughaus ins Depot im Rahmen des Abbaus der Dauerausstellung müssen alle Vorkehrungen für eine absolute Minimierung der Risiken bei Verpackung und Transport vorgenommen werden, um neue Schäden weitgehend zu vermeiden.